Ein Haltung der Integrität

Steigende  Wissenschaftskritik gab es ab ca 2010. Nach den wachsenden Betrugsfälle  Ende der neunziger Jahren mit Herrmann/Brach, Schön, Suk, Han, Bulfone kam dann um 2010 Retraction Watch auf die Bühne.
immer wieder brachte auch das Laborjournal einen Artikel und dann gab es auch die  eine oder andere DFG Kommission, wenn der Druck zu groß wurde.

Ioannides setzte nach mit “lies, damned lies” und  “Why Most Published Research Findings Are False“, einer der am häufigsten zitierten Artikel , der ein ganzes Set von strukturellen Problemen aufzeigt, warum Wissenschaft nicht (mehr) funktioniert. Das liest sich in dem Update 2014 dann so:

Science has grown from the occupation of a few dilettanti into a vibrant global industry with more than 15,000,000 people authoring more than 25,000,000 scientific papers in 1996-2011 alone. However, true and readily applicable major discoveries are far fewer.

Mit dem Übergang in die industrielle Forschung gingen nicht nur Forschungstraditionen und -werte verloren. Jeder konnte seine eigene Arbeitsgruppe aufmachen, es zählte nur noch “Impact” und nicht mehr wirklicher Fortschritt. Damit konnten aber nun ganz andere Typen punkten: Karrieresüchtige Egoshooter, finanzielle Spekulanten und “Top”-Manager. Das allgemeine Geltungsbedürfnis stieg, dazu permanenter Zeitdruck und Gruppendruck. Wen wundert es da, wenn da Ergebnisse beschönigt oder unterdrückt wurden?

Es ist jedenfalls katastrophal, was (unabhängige) Replikationsstudien aus der Industrie zu Tage förderten: Bayer kann nur gerade mal 14 von 67 Studien reproduzieren, Novartis gerade mal 6 von 53. Ein SZ Kommentar letzte Woche kommt zu dem Schluss, daß wir alle versagen, nicht einzelne, das ganze System, wir alle.

Das gilt … für die gesamte Medizin. Gemeint sind hier nicht absichtliche Fälschungen, sondern die große Zahl verzerrter, intransparenter und nicht reproduzierbarer Studien sowie solcher, die aufgrund unpassender Ergebnisse gar nicht veröffentlicht werden. Forschungsinstitute, Medizinfakultäten, Ärzteverbände, aber auch Ethikkommissionen, Gesetzgeber und Förderverbände tragen zu dem Missstand bei – und schaden damit Patienten, Ärzten und der Pharmaindustrie.

Friedrich Herrmann war der Star der Onkologen mit vielen Drittmitteln und hoch publizierten Artikeln. Seine Stellungnahme, daß er “in keiner der Publikationen … von Fälschungen in den Veröffentlichungen wußte” erinnert an Jan Ullrichs berühmten Satz „Ich habe in meiner ganzen Karriere niemanden betrogen und auch keinen geschädigt.” Natürlich hat Ullrich andere betrogen, nämlich die Fahrer, die trotz vergleichbar hartem Training nicht mithalten konnten und damit keine solch lukrativen Sponsorenverträge hatten.

Und natürlich ist es  Betrug an der Science Community, wenn einer der Protagonisten nicht weiss, wie seine  Veröffentlichungen zustande kamen (ganz abgesehen von der Aussage die Marion Brach gemacht hat, dass er aktiv gefälscht hat). Was Herrmann und Ullrich sonst noch verbindet? Sie kamen beide lächerlich billig weg: 10.000 Schweizer Franken an die UCI (Ullrich) und 8000 Euro “Auflage” (Herrmann) bei Schadenssummen in Millionenhöhe.

friedhelm

Man könnte meinen, die fehlende Glaubwürdigkeit der Wissenschaft sei vielleicht ein Problem hierzulande, aber es ist ein weltweites Phänomen. Die New York Times diesen Monat schreibt über “Scientists who cheat”. Nature hat ebenfalls diesen Monat ein Feature über “Misplaced Faith”. Und der Wissenschaftsrat veröffentlicht -passend zur Misere- dazu “Empfehlungen zur wissenschaftlicher Integrität” obwohl wir Zitat “mehr als Regeln brauchen”. Sagt Manfred Prenzel, Vorsitzender des Wissenschaftsrates. Denn “wichtig für deren Anwendung und Verinnerlichung ist eine Haltung der Integrität”. Nur fatalerweise wird genau diese Eigenschaft in dem aktuellen System nicht belohnt, sondern wer möglichst viele Drittmittel einwirbt und möglichst vielzitierte Artikel veröffentlicht.

Update 10.8.2017

Für einen Vortrag im nächsten Monat habe ich nachrecherchiert. Interessant dazu die Webseite von Dr. med. Daniela Grenacher-Horn (https://www.münchner-onkologie.de/vita)

Zum 1. April 2017 habe ich die Onkologische Schwerpunktpraxis von Herrn Prof. Dr. med. F. Herrmann übernommen. Seit dem 15. Mai 2017 kann ich nach gründlicher Sanierung und vielfältigen Modernisierungsmaßnahmen die Diagnostik und Therapie aller hämatologischer und onkologischer Erkrankungen anbieten.

Die Sanierung war wohl notwendig, siehe auch Focus 2016.