Beutegemeinschaften

Ulrich Dirnagl hat ein lesenswertes Stück im LJ 11/2017, S.25

… Wir arbeiten in Gruppen von im Schnitt acht Forschern (inklusive Studenten), die durchweg Arbeitsverträge über wenige Jahre haben – und mit Fördergeldern, die höchstens für drei Jahre gesichert sind. Die Forschungsstrategien und Ergebnisse werden bis zur endgültigen Publikation unter Verschluss gehalten, man könnte ja gescoopt werden.

Data Sharing? Um Himmels willen. Hab’ ich ja nichts davon, könnte im Zweifelsfall sogar schaden. Wie verrückt aber ist die Frage, ob sich die grundlegenden Fragen der Biowissenschaften und der Medizin nicht besser in multinationalen, koordinierten sowie ausreichend und langfristig alimentierten Kooperationsprojek-ten aufklären ließen? Sollte man das wenigstens nicht mal ausprobieren?

Sie verdrehen die Augen? Sie denken an EU-Antragsbürokratie, an AZA-Formulare, endlose Listen von Milestones und Deliverables? Leider nicht ganz richtig, denn die derzeitigen Kollaborationen in den Life Sciences laufen ja gar nicht im CERN-Stil. Es sind vielmehr meist Beutegemeinschaften, die lokale Projekte finanzieren, welche aus anderen Quellen keine Förderung erhalten haben – oder auf diese Weise auffinanziert werden…

Aber warum funktionieren die Lebenswissenschaften so anders? Muss das etwa so sein? Liegt es daran, dass die erwähnten Projekte der Physik nur an Maschinen durchgeführt werden können, deren Anschaffung im Haushalt von nationalen Volkswirtschaften sichtbar werden? Der Zwang zur Kooperation spielt hier sicher eine große Rolle.

Es hat aber auch sehr viel mit der Wissenschaftskultur der einzelnen Disziplinen zu tun, die natürlich wiederum von Infrastrukturfragen beeinflusst wird. Karin Knorr-Cetina hat in Epistemic Cultures – “How the Sciences Make Knowledge”  die Organisation und Durchführung von Forschung in der Hochenergiephysik und der Molekularbiologie verglichen. Wie sind jeweils Labore strukturiert, wie werden Gruppen geleitet, wie und auf welchem Level findet „Wettbewerb“ statt, wie wird kooperiert, und so weiter…?

Die von ihr ausgemachten Unterschiede könnten nicht drastischer sein….

Epistemic Cultures war im übrigen 1999!