Wissenschaftsjournalismus (6000 Tote XIV)

Nachdem zu Beginn der Diskussion die FAZ Wissenschaftsredaktion  Öl ins Feuer gegossen hat, versucht sich nun Nina Weber an einer Schadensbegrenzung.

Eine logischen Dekonstruktion könnte in der Tat helfen, leider macht auch Frau Weber den Fehler, Feinstaub und Stickoxide in der Diskussion nicht zu trennen. Aber tun wir mal nun so, als würden wir nur über Feinstaub reden. Hier die beiden Aussagen

Gesundheitsschädliche Effekte von Luftschadstoffen sind sowohl in der Allgemeinbevölkerung als auch bei Patienten mit verschiedenen Grunderkrankungen gut untersucht und belegt.

Stimmt.

Lungenärzte sehen in ihren Praxen und Kliniken diese (durch Zigarettenrauch bedingte) Todesfälle an COPD und Lungenkrebs täglich; jedoch Tote durch Feinstaub und NOx, auch bei sorgfältiger Anamnese, nie.

Stimmt.

Die epidemiologische Untersuchung in Aussage 1 hat mit der klinischen Untersuchung in 2. das Objekt, nämlich die Toten gemeinsam (sagen wir 100.000 im ersten Fall und 100 im zweiten Fall). Nicht gemeinsam ist die Methode. Nicht gemeinsam ist der Schluss, der daraus gezogen wird.

In konträrem Gegensatz stehen in der Logik zwei Aussagen gegenüber, die sich gegenseitig ausschließen, jedoch einen gemeinsamen übergeordneten Gattungsbegriff besitzen. Es gibt zwar hier einen gemeinsamen übergeordneten Gattungsbegriff, womit die Aussagen konträr wären. Bei genauerem Hinsehen widersprechen sie sich aber nicht. Mit der Anamnese bei ein paar Todesfällen kann der Arzt in Schmallenberg das niedrige Risiko nicht erkennen. Allerdings heisst das aber nicht, dass es dieses Risiko nicht gibt, denn er hat keine Methode, ein Risiko zu erkennen, das erst bei 101 Personen zu erkennen gewesen wäre.

Aussage 2 ist also nicht die Negation von Aussage 1. Die Konjunktion ist richtig: sowohl Aussage 1 als auch Aussage 2 ist richtig.

Auf Deutsch, hier reden zwei Menschen aneinander vorbei.

(Abseits von der Logik, gibt es noch mehr Unterschiede, zum Beispiel aus psychologischer Sicht. Aussage 1 ist mehr der Wissenschaft und Abstraktion zuzuorden, Aussage 2 mehr der praktischer Erfahrung. Eine Typologiefrage also, wer nun welcher Aussage primär zuneigt. Und auch politisch gibt es Unterschiede: Der “gesunde Menschenverstand” der Aussage 2 fällt mehr in die Kategorie “das muss man doch mal sagen dürfen”, die vor allem im rechten Spektrum bedient wird).

(Logik für Fortgeschrittene: Auch Aussage 1 beruht auf Modellannahmen und nicht der Wirklichkeit. Was ist dabei “gut” – einem Begriff aus der Ethik? Aussage 2 zu Rauchen beruht auf der geschmähten Methode von Aussage 1, siehe British Doctors Study).

Kommen wir zu Frau Weber zurück: Was sie im Spiegel mit false balance als Erklärungsmodell will, ist gut gemeint. Nur leider bedeutet der Begriff etwas ganz anderes:

False balance, also bothsidesism, is a media bias in which journalists present an issue as being more balanced between opposing viewpoints than the evidence supports. Journalists may present evidence and arguments out of proportion to the actual evidence for each side, or may omit information that would establish one side’s claims as baseless.

“False balance” ist also ein Medienbias, bei dem Journalisten parteiisch sind, nicht objektiv berichten. Also Meta-ebene, nicht Objekt-ebene. Der Spiegel Artikel ist damit selbst zu einem unfreiwilligen Beispiel von “false balance” geworden.

Zurück zum Thema. Wir haben  also zwei richtige Aussagen. Bleibt die Frage: Sind die Aussagen überhaupt relevant? Das darf jetzt jeder selbst entscheiden.