Warum das Beispiel “Mukoviszidose” des Ethikrates zu Genome Editing unglücklich ist

Der Deutsche Ethikrat betrachtet in seiner Analyse ein hypothetisches Fallbeispiel, bei dem beide Elternteile an Mukoviszidose erkrankt sind und sich ein gemeinsames Kind wünschen. In diesem Fall würde ein Keimbahneingriff den Eltern den einzigen Weg eröffnen, ein gesundes, genetisch mit beiden Partnern verwandtes Kind zu bekommen. Sie könnten zum Beispiel an einer ersten klinischen Studie zu Keimbahneingriffen teilnehmen, falls die bisherige Forschung eine dafür ausreichende Sicherheit und Wirksamkeit der Technik nachweisen konnte.

Gesund und genetisch verwandt schliesst sich hier in der Tat aus, allerdings nur, wenn beide Eltern dieselbe Mutationen im CFTR Gen haben. Das ist in 70-80% der Patienten der CF (cystische Fibrose, “Mukoviszidose”) der Fall mit der deltaF508 Deletion. Insgesamt gibt es aber über 2,000 beschriebene Mutationen, die in 7 Klassen eingeteilt werden (de Boeck 2017).

Ein paar Zahlen: Es gibt ca 80.000 CF Patienten weltweit, pro Jahr werden ca 200 Schwangerschaften (in England) registriert, bei denen ein Elternteil CF hat.  Mit einer Heterozygotenrate von 1/50 und damit einer Prävalenz von (1/50^2)^2 ist die Konstellation aber für ein doppelt homozygotes Paar jedenfalls extrem selten. Wenn wir von Deutschland ausgehen: Bei 784.000 Geburten jährlich und ohne “assortative mating” liegt die Inzidenz bei 784.000*(1/50^2)^2= 0,12 , oder anders ausgedrückt – das Ereignis kommt nur ca alle 8 Jahre einmal vor. Und da erst in den letzten Jahren die Lebenserwartung überhaupt in das Erwachsenenalter reicht, hat wohl kaum ein deutscher Humangenetiker diesen Beratungsfall jemals gehabt. Macht es also Sinn, eine ethische Betrachtung über einen praktisch nicht vorkommenden Fall anzustellen?

Zudem kommt: 98% der CF Männer sind infertil (bilaterale Aplasie des Vas deferens), d.h. eine Schwangerschaft lässt sich nur über eine testikuläre Spermienextraktion und anschliessende IVF bewerkstelligen. 50% der Frauen haben zudem novulatorische Zyklen und erhöhte Viskosität des Zervixsekrets. Es ist also – selbst wenn es diesen einen Fall tatsächlich einmal geben sollte – praktisch nicht möglich, auf natürlichem Weg schwanger zu werden. Dazu bringt die Schwangerschaft auch für die Mutter zusätzliche Risiken, so dass aktuell Ethikkomitees eine PID bei CFTR Mutationen ablehnen.

Quelle: https://www.pid-zentrum.de/files/public/Downloads/Vortraege/Bonn-DGPGM_PID.pdf

Wer kümmert sich um das Kind, wenn stationäre Aufenthalte für beide Eltern nötig werden? Die Lebenserwartung beider Eltern reicht auch jetzt kaum bis zur Volljährigkeit des Kindes. Angenommen die Eltern bekommen ihr Kind mit 18 Jahren, dann werden die meisten die Volljährigkeit ihres Kindes nicht erleben trotz aller Fortschritte der Medizin denn mit 36 Jahren leben (leider) nur noch 25% der CF Patienten.

2017 Cystic Fibrosis Foundation

Ist das Beispiel CF damit für den Ethikrat wirklich ein praxisrelevantes Beispiel für die Notwendigkeit eines Keimbahneingriffes? Was soll in dem Zusammenhang die Spekulation über eine  klinische Studie, die es schon aus statistischen Gründen nie geben wird? In der Editing Szene dreht sich alles um CCR5 weil sich so ein CFTR Paar nicht auftreiben lässt.

Unter Punkt 95) führt der Ethikrat dann noch weiter aus:

Natürlichkeitsargumente sind im gegebenen Anwendungsszenario von untergeordneter Bedeutung. Wohl kaum jemand wird das zufällige, „natürliche“ Vorliegen des Mukoviszidose-Gens als einen bewahrenswerten Aspekt der Natur des Menschen verstehen.

Nicht dass ich hier mit der Natürlichkeit argumentieren wollte, aber CFTR Mutationen sind ein klassische Beispiel für Heterozygotenvorteil, daß Individuen einen größeren Fortpflanzungserfolg haben/hatten – dem CFTR wird Schutz gegen Cholera, Asthma und eine Kälteanpassung zugeschrieben. Steht auf Wikipedia aber auch jedem Humangenetik Lehrbuch.

Eine Vermeidung von Mukoviszidose per Keimbahneingriff könnte dieser Interpretation zufolge als Ausgleich einer Benachteiligung durch die „Lotterie des Lebens“ verstanden werden.

Der Ethikrat sieht das Leben also nicht als Geschenk an uns, sondern als eine Lotterie mit Nieten?