Verändert Twitter die Wissenschaftslandschaft?

Immer mehr Tweets und immer mehr Likes heissen noch lange nicht gute Wissenschaft – nachhaltiges, reproduzierbares Wissen, Erkenntnisse und Einsichten, die systematisch gesammelt, überprüft, kategorisiert, erweitert und gelehrt werden.

Bisher war es jedenfalls weitgehend egal, was mit einem Artikel passierte. Wenn eine Zeitschrift einmal einen Artikel gedruckt hatte, dann war er gedruckt. Und ob er positiv oder negativ aufgenommen wurde, das zeigte sich dann über die kommende Jahre. Irgendwann wurde die neue Erkenntnis in Reviews aufgenommen, landete in einem Lehrbuch oder in einer Vorlesung, wenn sie allgemein akzeptiert wurde. Oder sie wurde schlicht vergessen.

Was bei Twitter stand, war noch vor 2 Jahren ganz nett zu lesen, gossip oft, immer mal ein gute Idee, aber nicht wirklich relevant. Das ändert sich langsam, wie man an dem Fall von Vilariño-Güell sehen kann.

Vilariño-Güell veröffentlichte ein Paper bei PLoS Genetics, das offensichtlich das relativ rigorose Peer Review überstand. Aber dann schreibt ihm die Zeitschrift, dass der Artikel viele Tweets provoziert hätte, die überwiegend negativ waren – und zwar von “Influencern” der Szene. Selbst die Zahl der Follower wird angegeben: “MacArthur (32.9k followers)”. Mac Arthur ist ein supersmarter, proliferativer australischer PhD, der jetzt am Broad Institute arbeitet, sein h-index von 64 kommt primär aus Konsortialpapern wie 1000 Genome.

Nur dummerweise ist der Tweet von MacArthur gelöscht und er selbst kann sich nicht mehr erinnern, warum er gelöscht ist und auch nicht mehr, was darin stand. Irgendwie sah er eine Diskrepanz zwischen den gezeigten Daten und der Interpretatation, die jetzt zu einer Warnung bei PLoS Genetics führte.

Vilariño-Güell wehrt sich dagegen mit einem bisher unveröffentlichten Manuskript “Science by tweet: Unethical practices at PLOS Genetics“.

Keine Frage, Twitter fördert auch Denunzianten. Die ungehinderte destruktive Kritik Einzelner verbreitet sich rasend schnell und schwächt das formale Peer Review. Nicht zuletzt verhindert die Kritik die Replikation der Studie denn wer will schon eine offensichtlich fehlerhafte Studie replizieren?

Warum  wohl PLoS Genetics vor dem Druck von Social Media eingeknickt ist? Wenn Trump sein Tweets abfeuert, gehen auch (manche) CEOs und (manche) Regierungschefs in die Knie. Und auch PLoS Genetics muss sich schliesslich finanzieren.

Früher hätte man einen Letter schreiben müssen, wenn man Einwände gegen eine Veröffentlichung hatte. Der Letter wäre auch erst mal peer-reviewed worden. Damit wäre nicht nur die Geschwindigkeit herausgenommen worden, es wäre auch erstmal  nur Meinung gegen Meinung gestanden. Und irgendwann hätte sich eine neue Erkenntnis herausgestellt oder der Konflikt wäre ad acta gelegt worden.

So aber endet alles in einem hässlichen Machtspiel von Twitter, Journal und Autor. Ich jedenfalls will keinen expression of concern an einem Artikel kleben haben.  Und der Clou – nachdem ich den Text geschrieben habe – distanziert sich Mac Arthur auch noch von PLoS Genetics.

Twitter isn’t a substitute for peer-reviewed publication, but neither is it unfair for the  @PLOSGenetics editorial team to use information on Twitter to guide a formal investigation.