Tirschenreuth I: Das Bierfest

Alle Welt redet über die Gangelt Studie, nicht zuletzt durch die mediale Begleitung. Tirschenreuth ist aber mit Abstand der wichtigste Hotspot in Deutschland. Luisa Hommerich hat in der ZEIT beschrieben, dass die Todesrate in Tirschenreuth die höchste im Bundesdurchschnitt war. Es ist im Augenblick schwer zu sagen, was wirklich in dem Landkreis Tirschenreuth passierte, solange man nicht die individuellen Kontaktdaten einsehen kann. Zitat aus der ZEIT

Und noch etwas ist seltsam: Es gab in Tirschenreuth nicht nur extrem viele Corona-Kranke – ganze elf Prozent von ihnen starben auch, obwohl die Todesrate im Bundesdurchschnitt bei nicht einmal fünf Prozent liegt.

Schauen wir also nach der CFR in Deutschland nun auch noch den Zeitverlauf der CFR für Tirschenreuth an.

Case Fatality Rate CFR, rot) definiert als kumulative Sterblichkeit innerhalb eines 7 Tage Zeitfensters das 14 Tage auf das symmetrische 7 Tagesfenster um den Indextag folgt. Fallzahlen hinterlegt in grau für den jeweiligen Indextag. Todesfälle schwarz. Loess Smoother mit span=0.5. Datenstand: RKI 4.6.2020

Die CFR geht ab dem 1.4. in ein Plateau und steigt danach sogar wieder an.  Die CFR ist dabei höher als im übrigen Bayern, wohl durch eine hohe Zahl von asymptomatisch Infizierten, weniger eine ungünstigere Überlebensrate. Nach RKI Daten ist jedenfalls die Aussage fraglich, die der neue Landrat und ehemalige Bürgermeister von Mitterteich gegenüber der ZEIT gemacht hat, dass es zum damaligen Zeitpunkt (7.3.) noch keine Corona-Fälle im Landkreis gab. Zehn Fälle gab es definitiv schon laut RKI Datensatz, ich schätze es waren 20-30 Fälle allein aus dem späteren Verlauf.

Die ersten Corona Fälle im Landkreis Tirschenreuth aus dem RKI Datensatz passen dabei besser zu der ZEIT Darstellung. Allerdings wurden weder der 50jährige “Brunner” noch der “Musiker” getestet, obwohl sie an dem Fest Symptome hatten. Zwei der bekannten 10 Fälle sind mittlerweile verstorben.

Weltweit gab es am 7.3. aber bereits 35.000 Fälle laut Worldometer, die ersten Fälle in Deutschland waren sechs Wochen zuvor aufgetreten, sicher keine harmlose Situation um noch am 7.3. zu einer “Massen-Schluckimpfung” einzuladen.

Starkbierfest Mitterteich Mitterteich war bisher mehr als Atommüll Zwischenlager bekannt als für die Brauerei Hösl  

Eigenartigerweise wurden die ersten Erkrankungsfälle des Landkreises alle erst nach dem Fest gemeldet. Der Landkreis hat 73.000 Einwohner, Mitterteich 7.000, die meisten der 1200 Teilnehmer kam aus dem Umland. Warum wurde der erste Fall im Landkreis 23 Tage lang nicht gemeldet? Und der zweite Fall auch erst 21 Tage später? Eigenartig ist die zeitliche Reihung der Meldungen von Fällen, die aber mehr oder weniger gleichzeitig aufgetreten sind. Die einschlägige Vorschrift dazu ist eigentlich klar

Die namentliche Meldung muss unverzüglich erfolgen und dem zuständigen Gesundheitsamt spätestens 24 Stunden, nachdem der Meldende Kenntnis erlangt hat, vorliegen. Eine Meldung darf wegen einzelner fehlender Angaben nicht verzögert werden (vgl. § 9 Abs. 3 IfSG)….

Zum Vergleich ein anderer Zeitablauf: In München traten am 24.1. die ersten Symptome auf, drei Tage später war die erste PCR positiv, ein Tag später wurde gemeldet und am 5.3. ist der Artikel im New England Medical Journal erschienen.

Leider kam es in dem Landkreis nach offiziellen RKI Daten auch zu einem Exzess an Erkrankungen bei Frauen, zuerst ein geringerer im letzten März Drittel, und dann ein zweiter in den ersten Aprilwochen, die beide sicherlich unabhängig von dem Starkbierfest waren und trotz Ausgangssperre ab 18.3. aufgetreten sind.

RKI Daten Tirschenreuth: Signifikanter Anstieg der Inzidenz bei Frauen auch noch nach der Ausgangssperre

Es wurde also nicht nur die Fallmeldung an das Gesundheitsamt versäumt, es wurde auch noch eine Großveranstaltung erlaubt, die man zu dem Zeitpunkt nicht hätte erlauben dürfen. Und es wurde wohl in einer oder zwei Frauenarztpraxen gegen Infektionsschutzmassnahmen verstoßen, ohne dass das bis heute bekannt wäre.

Leider gibt es bisher in Deutschland kaum backward tracing wie in anderen Ländern. Was die drei RKI Experten herausgefunden haben, die ab dem 27.4. vor Ort waren, wird interessant sein. Der Bericht steht noch aus. Ich vermute, es gibt noch mehr Gründe, warum die Tirschenreuth so stark betroffen war. In Tirschenreuth lag im übrigen eine Strafanzeige gegen unbekannt vor, allerdings sagt der Oberstaatsanwalt Gerd Schäfer der lokalen Tageszeitung am 16.4.

“Die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit einer Infektion auf dem Starkbierfest in Mitterteich reicht nicht zur Begründung dieses strafrechtlichen Vorwurfs einer fahrlässigen Körperverletzung aus”, erklärt Schäfer. Es gebe keine sicheren Erkenntnisse über eine solche Infektion.”

Ob die Vorfälle strafrechtlich relevant sind, sei dahingestellt, die Begründung ist sicher falsch. Es gab mehrere infizierte Teilnehmer auf dem Fest und im Anschluss daran gab es den  höchsten Anstieg an Infektionen in Bayern.

Mit der üblichen Ermittlungsmethoden (die auch sonst an Tatorten üblich sind) hätte man die Infektionskette zweifelsfrei nachweisen können und zwar in unter 24 Stunden. Auch hätte man alle Festteilnehmer am 8.3. oder 9.3. unter Quarantäne stellen können. Man hätte nur wollen müssen. Und nicht erst am 18.3. eine Ausgangssperre verhängen dürfen als bereits 15 Patienten im Krankenhaus lagen.

Nachtrag 6.6.2020