Tirschenreuth III: Der RKI Report

Seit gestern ist der RKI Bericht nun online verfügbar, Luisa Hommerich (ZEIT), Thomas Scharnagl (Frankenpost) und Maximilian Gerl  / Matthias Köpf (SZ) haben bereits Kommentare dazu veröffentlicht.

Die  Aussage von Ex-Landrat Lippert “dass unsere Maßnahmen gegriffen haben, zeigt auch der Rückgang der Coronazahlen, zeitweise auf Null” ist nicht so ganz nachvollziehbar. Aber schauen wir uns an, was es an Neuigkeiten zu der Frühphase gibt. Bisher wussten wir, dass

  1. bereits 10 Fälle zur Zeit des Bierfestes in Mitterteich am 7.3. erkrankt waren. Allerdings wurde im Mittel erst nach 13 Tagen gemeldet, also nach der Inkubationszeit von 4-12 Tage.

    Die ersten 293 Fälle des LK Tirschenreuth mit Erkrankungsdatum vor dem 19.3.: Das Gesundheitsamt beginnt erst am 10.3. zu melden wobei die Melde-Intervalle immer länger werden. Der Zeitpunkt des Starkbierfestes ist mit einer vertikalen grünen Linie markiert, die Inkubationszeit von 4 bis 12 Tagen mit einer roten Linie. 74% der Fälle treten in der Inkubationszeit nach dem Starkbierfest am 7.3. auf, 16% bereits vor der Inkubationszeit des Zoigl.
  2. Der Landkreis hatte den höchsten Anstieg von allen Bierfesten in Bayern wobei es schon vor dem Bierfest eine hohe Dunkelziffer gegeben haben muss.

    Alle bayrischen Landkreise, Bierfeste sind als Punkte markiert. LK Tirschenreuth mit Mitterteich ist schwarz markiert. Stand 20.4.2020
  3. Mitterteich ist auch jetzt, mehr als 3 Monate später, immer noch der Hotspot der Region, hier gab es auch die meisten Todesfälle.
LK Tirschenreuth, Covid-19 Erkrankungsfälle, Stand 19.6.2020

 

Nun zum RKI Bericht “April-Juni 2020” von Regina Selb, Michael Brandl und Sybille Rehmet. S.10 Abbildung 4 enthält dabei bisher nicht bekannte Daten

Expositionsfakoren laut RKI Bericht “April-Juni 2020” veröffentlicht am  15.7.2020

 

Der Bericht sagt dazu

Zehn Fälle (9%) besuchten das Starkbierfest am 7.3.2020 in Mitterteich, 12 Fälle (11%) machten einen Skiurlaub in Italien oder Österreich im Februar oder März und 14 Fälle (13%) waren zu Gast beim Zoigl in Mitterteich zwischen dem 3.3. und 7.3.2020. 12 (11%) der Fälle waren zum Zeitpunkt der erneuten Befragung zu möglichen Expositionen (12.-14.05.2020) bereits verstorben … Von den 98 erneut befragten Fallen hatten 33 mindestens eine dieser drei Expositionen. Ein Zusammenspiel dieser drei Faktoren zu einem Zeitpunkt, als noch kein einziger Fall aus dem Landkreis gemeldet war, scheint wahrscheinlich als Ursache für die rasante Ausbreitung des neuen Coronavirus in der Stadt Mitterteich.

Interessant ist in dem Zusammenhang auch die Aussage des Gesundheitsamtes gegenüber der ZEIT Journalistin

Darüber habe das Gesundheitsamt keine Informationen, sagt Grillmeier. Ein Sprecher ergänzt per E-Mail: “Ob sich auf dem Fest eine bereits mit Covid-19 infizierte Person aufgehalten hat, ist bisher mehr oder weniger eine Vermutung.”

Das Gesundheitsamt weiss also angeblich von keinem einzigen Fall. Das heisst nichts anderes aks dass eine meldepflichtige Erkrankung von den Ärzten nicht gemeldet wurde oder dass das Gesundheitsamt die Meldung erstmal verschwiegen hat. Wie auch immer, Wochen später wurde die Meldung weiter gegeben. Der Bericht sagt das auch verklausuliert

Jedoch gibt es Hinweise darauf, dass zwischen Symptombeginn und Nachweis des SARS-CoV-2 Virus in Tirschenreuth mehr Zeit verging als in den Vergleichsregionen.

Man sieht auf den ersten Blick,  wie das Intervall zwischen Erkrankung und Meldung immer länger wird, am Ende sind es über 6 Wochen! Die RKI ExpertInnen meinen, dass der hohe Anteil der Fälle aus der Gemeinde Mitterteich am Ausbruchsgeschehen im Landkreis mit der Exposition in Mitterteich zusammenhängen.

Ausser dem Oberstaatsanwalt in Weiden Opf. hatte bisher daran auch niemand ernsthaft Zweifel.

Der Zoigl Kalender 16.7.2020 http://www.oppl-zoigl.de/Oppl.php

Das RKI will aber (S.11) die Ausbreitung nicht primär auf das Starkbierfest zurückführen. Ich frage mich, worauf dann? Etwa auf die Zoigl Wirtschaft, die mit wenigen Tischen vom 3.-7.3 geöffnet hatte? Einer einzelnen Wirtschaft kann man kaum viele Fälle zuordnen, solange man nicht auch die Besucherzahlen in anderen Restaurants oder in den Gottesdiensten untersucht hat. Der RKI Bericht hat also wohl nicht nur eine der Hauptinfektionsquellen übersehen, es wichtet auch die Zoigl Wirtschaft zu stark im Verhältnis zu den 1200 Personen, die am 7.3. beim Singen, Tanzen und Trinken beim Starkbierfest in der Mehrzweckhalle den Virus verbreitet haben. Das Starkbierfest passt sehr viel besser zum Zeitverlauf als die Zoigl Wirtschaft, da eine Woche darauf die meisten Fälle gemeldet wurden.

Zwei Maxima des Häufigkeitsverlaufes nach dem 7.3.. Werte vor dem 7.3. deuten auf eine Ausbreitung vor Zoigl und Bierfest. Das Maximum der Weibull Funktion wird am 8. Tag nach dem Bierfest erreicht; ca 20% der Werte liegen ausserhalb der Verteilung und machen den ersten Peak aus, der wohl der Zoigl Wirtschaft bzw anderen Faktoren zuzuordnen ist. Für die Weibull Funktion siehe Daten von https://doi.org/10.2807/1560-7917.ES.2020.25.5.2000062

 

So steht dann auch auf S.14 des Berichtes

Die deutliche Überproportionalität der Falle in der Gemeinde Mitterteich an der Gesamtfallzahl im Landkreis zu Beginn des Ausbruchs deutet darauf hin, dass die beiden Biertraditionen dort als Katalysator des Geschehens dienten.

Oder auf S.19

Der hohe Anteil an positiven SARS-CoV-2 Befunden trotz der überproportional hohen Anzahl an Testungen im Landkreis Tirschenreuth deutet auf ein großes Ausbruchsgeschehen hin.

Dem ZEIT Artikel stimme ich damit in der Wertung zu

Die Studie wirft neue Fragen zum Krisenmanagement im Landkreis auf. Denn anders als nach anderen bekannten Superspreading-Ereignissen in Deutschland stellte das örtliche Gesundheitsamt die Festbesucherinnen und -besucher von Mitterteich nicht systematisch unter Quarantäne, nachdem das Amt von den Infektionen im Zusammenhang mit dem Fest erfuhr. Das Fest wurde auch nicht als Ansteckungsherd kommuniziert. “Man kann ja nicht 1.200 Festbesucher unter Quarantäne stellen oder die alle testen lassen”, begründete Landrat Roland Grillmeier das Vorgehen gegenüber der ZEIT. Andere Landkreise taten jedoch genau das: Der Landkreis Heinsberg schickte etwa nach einer Karnevalsfeier im Februar immerhin rund 300 Besucher in Quarantäne.