COVID19 Mortalität III: Wie gut ist die Leitlinie zur Beatmung?

Schauen wir uns die Therapieempfehlung einmal genauer an, die vorgestern abend von der DIVI  verschickt wurde.  Wird die Leitlinie dem Anspruch gerecht,  Empfehlungen zu geben  “basierend auf der identifizierten Evidenz, der klinischen Expertise und den Patientenpräferenzen”?

Es folgt eine formale (nicht inhaltliche) Analyse der Quellen wobei für den Originaltext blaue und für die Kommentare schwarze Farbe verwendet wird.  Screenshots der Quellen können jeweils durch Klicken vergrössert werden.

5. Maßnahmen bei akuter hypoxämischer respiratorischer Insuffizienz
5.1. Sauerstoffgabe, High-Flow-Sauerstofftherapie, nichtinvasive Beatmung

EMPFEHLUNG 11:
Ziel bei akuter hypoxämischer respiratorischer Insuffizienz bei COVID-19 ist es, eine adäquate Oxygenierung sicherzustellen. Es sollte eine SpO2 ≥ 90 % (bei COPD-Patienten > 88 %) bzw. ein PaO2 > 55 mmHg erreicht werden (52, 53). ⇑

EMPFEHLUNG 12:
Wir schlagen vor, bei Patienten mit COVID-19 und hypoxämischer respiratorischer Insuffizienz (PaO2/FiO2 = 100-300 mmHg) unter kontinuierlichem Monitoring und ständiger Intubationsbereitschaft einen Therapieversuch mit High-Flow-Sauerstofftherapie (HFNC) oder nichtinvasiver Beatmung durchzuführen (54). ⇑

EMPFEHLUNG 13:
Wir schlagen vor, bei Patienten mit COVID-19 und einer schwereren Hypoxämie (PaO2/FiO2 < 150 mm Hg) und Atemfrequenzen > 30/min die Intubation und invasive Beatmung zu erwägen, bei einem PaO2/FiO2 von < 100 mmHg sollten im Regelfall eine Intubation und invasive Beatmung erfolgen. ⇑

Zum Hintergrund: Raumluft enthält normalerweise 21% O2 =0.21 (Ausatemluft 16%=0.16). Zusätzliche 5 Liter O2/min erreichen max 45% =0.45 „Fraction of Inspired Oxygen“ FiO2. Normwert paO2 arteriell ist 70–105 mmHg, kapillär  >80mm Hg. Sp02 ist die kapilläre Sättigung mit normalerweise >90%. Der Horovitz Quotient pO2/FiO2 bei Raumluft 100/0.2=500 mm Hg soll also bei 60/0.2=300 mm Hg zur Intubationsbereitschaft und (mit Empfehlung 12) ab ca 50/0.5=100 mm Hg zur Intubation bzw Beatmung führen.
HFNC “High flow nasal cannula”
COT “conventional oxygen therapy”
NIV “non invasive ventilation”
ARDS “adult respiratory distress syndrome”
CBS “confounding by severity”
CPAP “continuous positive airway pressure”

Ref 52: Belegt die vorstehende Aussage nicht – mit spO2<90% soll mit Sauerstoffgabe begonnen werden.

Ref 52

Ref 53: Belegt die vorstehende Aussage ebenfalls nicht, die Quelle sagt.

Ref 53

Ref 54: Zirkuläres Zitat, da mit einer früheren Version derselben Leitlinie keine Aussage begründet werden kann.

 

Therapeutisch stehen bei Vorliegen einer Hypoxämie bzw. einer respiratorischen Insuffizienz zunächst die Gabe von Sauerstoff über Nasensonde, Venturi-Maske, und High-Flow- Sauerstofftherapie (HFNC) im Vordergrund (Abbildung 1) (54, 55).

Ref 54: siehe oben.

Ref 55: Auch Ref 55 ist ein Positionspapier. Als Beleg für Aussagen würde ich Originalstudien oder Verweis auf eigene Erfahrung erwarten.

 

Die High-Flow- Sauerstofftherapie wird bei akuter hypoxämischer respiratorischer Insuffizienz häufig eingesetzt und kann im Vergleich zur konventionellen Sauerstofftherapie die Notwendigkeit einer Intubation reduzieren, ohne die Sterblichkeit signifikant zu beeinflussen (56).

Ref 56: Die Quelle ist eine narrative (und nicht Covid-19 spezifische) Literaturübersicht bei hypoxämischen Patienten. Die erste Aussage stimmt, die zweite nur begrenzt. Ein signifikanter Effekt auf die Sterblichkeit kann man natürlich nur nachweisen wenn man entsprechend Daten hat.

Ref 56

Die Autoren räumen ein, dass mit 4 Studien die Aussage begrenzt ist: “Posthoc analysis in of the FLORALI trial did not demonstrate this potential harm of HFNC in delaying intubation as no association between timing of intubation and risk of mortality was demonstrated. These studies evaluating the risk of delayed intubation are conflicting however the panel was reassured that there was no increase in mortality or duration of ICU/hospital length of stay with HFNC…”

 

Bei progredienter Verschlechterung des Gasaustausches und vermehrtem Sauerstoffbedarf ist die Indikation zur CPAP-Therapie oder nichtinvasiven Beatmung (NIV) bzw. invasiven Beatmung zu überprüfen. In verschiedenen retrospektiven Kohortenstudien wurde eine ergänzende Bauchlagerung bei wachen nicht invasiv beatmeten oder mit HFNC therapierten Patienten für wenige Stunden beschrieben, die sich allerdings nicht für alle Patienten unter NIV oder HFNC als tolerabel oder durchführbar erwies (57-59).

Ref 57: ist nun die erste empirische Studie, die hier zitiert wird. Sie sagt eigentlich das Gegenteil aus wie die Leitlinie. Bei 83% liess sich die Bauchlage mit gutem Erfolg durchführen.

Ref 57

Ref 58: ist eine kleine empirische Studie zur Bauchlage. Die 4 der 25 Patienten die nicht teilnehmen wollten, wurde intubiert (nur in der intubierten Gruppe verstarben Patienten). Widerspruch also zum Leitlinientext.

Ref 58

Ref 59: Große Studie, niedrige Datenqualität,  schwer einzuschätzen was tolerabel und durchführbar war. Zitat “given the observational nature of our study, these results should be interpreted with caution and by no means considered definitive.”

Ref 59

 

Oftmals fand sich darunter eine Verbesserung der Oxygenierung, andererseits wurden auch Intubationsverzögerungen beschrieben. Eine Empfehlung dazu kann momentan aufgrund möglicher Komplikationen (Aspiration) und fehlender randomisierter Studien nicht abgegeben werden. Der Einsatz der NIV beim mittelschweren und schweren ARDS führt zu einem Therapieversagen in mehr als 50 % der Fälle. Dieses ist bei schwerem ARDS mit Letalitätssraten von fast 50 % assoziiert (60, 61).

Auch hier verzerrte Aussagen. Statt Intubationsverzögerung hätte man auch Intubationsvermeidung schreiben können. Es wird wohl niemand bei einer Pneumonie nur zur Aspirationsvermeidung intubieren. Die ARDS Letalitätsrate ist generell hoch, auch nicht “assoziiert”, sonder verläuft zu 50% letal.

Ref 60: wieder nur Zitat einer älteren Leitlinie, die zwar die Aussage belegt aber die Subjektivität nicht bestreitet.

Ref 60
Ref 60

Ref 61: Leitlinie schreibt von Leitlinie ab, auch hier. Im Gegensatz zu der deutschen Leitlinie sagt aber Ref 61 “Given the uncertainty of evidence we are unable to offer a recommendation for this question.”

Ref 61

 

Dabei erweist sich neben der Schwere des aktuellen Krankheitsbildes das Ausmaß der Oxygenierungsstörung als Prädiktor für das NIV- Versagen; als kritische Grenze für eine erhöhte Letalität wird ein PaO2/FiO2 < 150 mmHg beschrieben (62). Auch hohe Tidalvolumen (> 9,5 ml/kg KG) in den ersten vier Behandlungsstunden sind prädiktiv für ein NIV-Versagen (63).

Ref 62: Das NIV Versagen hängt natürlich primär von der Pathophysiologie, der Grunderkrankung und dem klinischen Zustand ab von PaO2/FiO2. Die 150 mm Hg stammen wohl aus dem folgenden Abschnitt

Ref 62

und stellt keine “kritische Grenze” dar. Intubiert wurde in einem weiten Range von 152 plus/minus 68 mm Hg. Bei allen Schweregraden war zudem die NIV der MV überlegen, wie in der nächsten Tabelle zu sehen ist.

Ref 62

Ref 63 Beobachtungsstudie mit 62 Patienten in den Jahren 2010-2013  mit 51% NIV Versagen, klassisches CBS. Die Zahl von  9,5 ml/kg KG stimmt, stammt aber ausser einer Untergruppen.

Ref 63

 

Da es bei diesen Patienten zu einer raschen Verschlechterung kommen kann, ist ein kontinuierliches Monitoring unter ständiger Intubationsbereitschaft zu gewährleisten. HFNC und NIV sind bei akuter hypoxämischer Insuffizienz auf der Intensivstation durchzuführen. Kommt es unter den durchgeführten Maßnahmen zur weiteren Progression der akuten respiratorischen Insuffizienz, ist ohne zeitliche Verzögerung die Intubation und nachfolgende invasive Beatmung angezeigt. Bei COVID-19 Patienten mit schwerer respiratorischer Insuffizienz sind bislang die für eine NON-COVID-Situation gültigen CPAP/NIV-Empfehlungen angewendet worden. Dennoch zeigt sich im Hinblick auf die in praxi erfolgten therapeutischen Entscheidungen eine extreme Heterogenität, sowohl was HFNC, CPAP oder NIV mit nachfolgender Indikation zur Intubation betrifft, als auch die darunter erzielten Ergebnisse. Die bisher publizierten Studien müssen immer auch im Zusammenhang mit begrenzten Therapieressourcen und primär festgelegten Therapiebegrenzungen interpretiert werden.
Das Therapieversagen unter nicht-invasiver Behandlungsstrategie bei COVID-19 schwankt erheblich. Für High-Flow werden Versagerquoten von 32.2 % (64) und 35.6 % (65) berichtet.

Ref 64:  Die Aussagen etwa zur Heterogeneität und der akuten Verschlechterung sind wohl richtig, werden aber nicht belegt. Mangelnde Therapieressourcen (sind damit Pflegekräfte gemeint?) können natürlich Gründe für eine weniger efolgreiche Therapie sein. Die 32.2% sind richtig (Rundungsfehler, es sind 32.1% ). Allerdings wundert das Ergebnis nicht, wenn 9 Patienten schon bei Einschluss in die Studie nicht mehr auf COT reagiert haben.

Ref 64

Ref 65: In der Studie wurden weniger als 1/4 der Patienten aufgenommen, Kriterien zum Einschluss oder Therapiewahl werden nicht berichtet. Die Zahl in der Leitlinie stimmt, unterschlagen wird, dass Intubation eine vielfach höhere Mortalität hat.

Ref 65

 

Für CPAP/NIV liegen sie zwischen 27.9 % (66) und 61.5 % (67); speziell für die CPAP- Therapie mit Helm werden 44.6 % berichtet (68).

Ref 66: Zahl stimmt. D-Dimer ist prädiktiv. Von den 17 intubierten starben 15, also fast alle.

Ref 66

Ref 67: zeigt eine überforderte Klinik ohne Erfahrung, die ohne nachvollziehbare Indikationsstellung agiert. Wie die Zahl aus der Leitlinie zustande kommt, ist nicht nachvollziehbar, liegt eher noch höher als 61.5%.

Ref 67

Ref 68: Zahl stimmt.

 

Die Letalitätsraten unter HFNC werden mit etwa 15 % angegeben (63, 64), wobei hierbei der Stellenwert von HFNC im Rahmen der Therapiealgorithmen und das oft retrospektive Studiendesign zu berücksichtigen ist (65, 69).

Ref 63: siehe oben. 15% findet sich weder in dem Artikel, noch lässt sie sich berechnen.

Ref 64: siehe oben. 15% findet sich weder in dem Artikel, noch lässt sie sich berechnen.

Ref 64

Ref 65: Aussage belegt. Zur objektiven Darstellung hätten man hier aber alle retrospektiven Studie zitieren müssen

Ref 69: Korrekt. Diese Studie hätte im übrigen eine ausführlichere Würdigung verdient.

Ref 69

 

Wie beim klassischen ARDS ist die Letalität des CPAP/NIV-Versagens hoch, kann bis zu 50 % betragen und ist abhängig von der Schwere der Oxygenierungsstörung (9, 70).

Ref 9: Ref 69 widerspricht natürlich Ref 9, während das Zitat selbst korrekt ist. Der Sachverhalt ist allerdings entstellt wenn bei Intubation die Letalität bei 53% liegt und ohne Beatmung bei 16%.

Ref 9

Ref 70: Keine Aussage zu CPAP/NIV Versagen (im übrigen eine Studie bei der 82% der Patienten Hydroxychloroquin verabreicht wurde).

 

Einflussfaktoren für ein schlechteres Outcome sind zusätzlich Alter, BMI, Niereninsuffizienz, Hypertonus, eine hämodynamische Instabilität und ein erhöhter APACHE-II-Score, sowie eine verlängerte Zeitspanne von nicht-invasiven Verfahren bis zur Intubation. Raoof et al. empfehlen aktuell bei Versagen oder nicht-ausreichendem Effekt der nicht-invasiven Maßnahmen im Fall schwerer respiratorischer Beeinträchtigung (PaO2/FiO2 < 150 oder SpO2/PaO2 < 196 oder hämodynamische Instabilität oder drohender Atemstillstand) eine Intubation und invasive Beatmung gemäß ARDS-NET (71).

Ref 71: Korrekt zitiert.

 

Die aus mehreren nationalen Registern bzw. Studien zusammengetragenen PaO2/FiO2-Werte bei Intubation von Covid-19- Patienten schwankten zwischen 83 und 220 mmHg (72, 73).

Ref 72:  Falsch zitiert. Korrekt wäre 103-102 mmHg.

Ref 72

Ref 73: Fallstudie von 22 Patienten. Verwechslung?

 

Unter Berücksichtigung der für die jeweiligen Studien angegebenen medianen Werte und der Größe der Kollektive ergibt sich unter Berücksichtigung von 8254 Patienten aus diesen Studien ein mittlerer PaO2/FiO2 von 125 mmHg bei Intubation. Wie die mitunter deutlich unter einem PaO2/FiO2 von 150 mmHg und z.T. sogar unter 100 mmHg liegenden Werte zeigen, bei denen nicht-invasive Verfahren noch fortgesetzt wurden und/oder erst Intubationen erfolgten (64, 72, 73), kann ein PaO2/FiO2-Schwellenwert, bei dem intubiert werden sollte, nur einen Richtwert darstellen.

Es ist unklar woher die Zahl 8.254 stammt, nicht aus den vorher angeführten Quellen.

Ref 64:  Zitat korrekt.

Ref 72:  Zitat korrekt.

Ref 73:  Zitat nicht korrekt, da PaO2/FiO2 bei 194 mmHg lag.

 

Er kann lediglich dazu dienen, bei Vorliegen eines derartigen Index engmaschig die Dynamik des Krankheitsverlaufs und die klinischen Stabilitätskriterien im Blick zu behalten und diese neben Komorbiditäten bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. Aufgrund des erhöhten Letalitätrisikos bei Versagen nicht-invasiver Therapieverfahren sollte ab einem PaO2/FiO2 von < 150 mmHg unter gleichzeitiger Einbeziehung von komorbiden Risikofaktoren und klinischen Stabilitätskriterien (Hämodynamik, Atemarbeit) eine Intubation erwogen werden. Bei einem PaO2/FiO2 von < 100 mmHg und Atemfrequenzen von > 30/min sollte jedoch eine Intubation und invasive Beatmung erfolgen.

Zum Schluss stellt sich die Frage, welche Studien/Artikel nicht zitiert wurden. Sehr viele Studien fehlen, so zB die ARDS Studien aus Ref 60 oder die doch unbestritten wichtige Studie von Oranger.

Oranger et al. Continuous positive airway pressure to avoid intubation in SARS-CoV-2 pneumonia: a two-period retrospective case-control study. https://doi.org/10.1183/13993003.01692-2020 3 Im ERJ am 13.8.2020 erschienen  aber nicht in der Leitlinie vom 23.11.2020 enthalten.

Ob die Leitlinie den Sachstand korrekt zusammenfasst, ist nach der formalen Analyse hier nicht zu sagen. Die Überprüfung der Quellen erlaubt aber eine Aussage zur Qualität der Leitlinie.

 

RefWertung
9richtig
52fehlerhaft
53zirkulär
54zirkulär
55zirkulär
56richtig
57falsch
58falsch
59richtig
60zirkulär
61zirkulär
62fehlerhaft
63richtig
64richtig
65richtig
66richtig
67fehlerhaft
68richtig
69richtig
70fehlerhaft
71richtig
72fehlerhaft
73falsch

 

10 der 23 Quellen sind richtig benannt, die übrigen Quellen sind zirkulär (5), fehlerhaft (5) oder falsch (3).