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Das jüdische Bioethik Paradox

Es ist ein interessantes Phänomenon.

Auf der einen Seite gibt es kein liberaleres Land für Stammzellforschung, genetische Tests, IVF und Abtreibung. Gleichzeitig aber wird assistierten Suizid und Sterbehilfe abgelehnt.

Die häufigste Erklärung dafür ist die jüdische Einstellung pro Science. So etwa hat in Tikkun Olam die Verpflichtung auf eine bessere Welt eine lange Tradition. “Gentechnik” gab es schon 1.800 v. Chr. in der Jakobsgeschichte. Das erklärt allerdings nicht die Ablehnung der Sterbehilfe.

Dmit kommen wir zum nächste n Punkt: Das Judentum ist auch pro vita eingestellt, alles ist gut, was Leben schafft und bewahrt. Der Genesis Auftrag heisst “fruchtbar zu sein und sich zu mehren”.

Allerdings spricht die Freigabe der Abtreibung (auf Entscheidung eines Komitees) dann doch gegen eine reine Vermehrungsstrategie.. Wie kann nur eine “konservative” Religion eine so “progressive” Ansichten hervorbringen? Shai Navi bietet dafür zwei Erklärungen.  Zum einen unterscheidet das Rabbinertum deutlich zwischen Mittel und Zweck. Mittel und Zweck lassen sich trennen, damit läuft im Endeffekt doch alles auf der pro vita Schiene.

Die folgende Erklärung dagegen scheint mir am überzeugendsten: Rabbiner folgen einer alten phänomenologischen Überlieferung und nicht der modernen wissenschaftlich ontologischen Tradition.

The Jewish position concerning the status of the fertilized egg is based on the Talmud which says that before the 40th day the fetus is “mayim be alma” no more than plain water
[…]
Several leading Orthodox rabbis have rejected the modern definition of brain death and have insisted on maintaining the traditional definition of the cessation of respiration and heart beat.

Wasser bleibt Wasser, selbst wenn man mit dem Mikroskop darin etwas lebendiges erkennen kann. Aber ein Mensch, der atmet, ist niemals tot, selbst wenn sein EEG nur eine Nulllinie zeigt.
Das ist in der Tat eine konsistente phänomenologische Argumentation.

Die Phänomenologie wurde Anfang des 20. Jahrhunderts maßgeblich von Edmund Husserl geprägt. Und Husserl ist im Alter von 27 Jahren vom Judentum zum Protestantismus übergetreten…