13.07.2016

Gleitsichtbrille im Gehirn


Bionity hat einen Bericht über eine interessante neue Arbeit einer Tübinger Arbeitsgruppe, die zeigt dass visuelle Reize ober- und unterhalb des Horizonts unterschiedlich verarbeitet werden:

Das Forscherteam unter Leitung von Dr. Ziad Hafed vom Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN) der Universität Tübingen konnte bei nichthumanen Primaten nachweisen, dass verschiedene Teile des Sichtfeldes im Colliculus superior – einem Teil des Mittelhirns, der bei der visuellen Wahrnehmung und dem Verhalten eine zentrale Rolle spielt – asymmetrisch repräsentiert sind: Für das obere Sichtfeld steht mehr Gehirngewebe zur Verfügung als für das untere. Visuelle Reize oberhalb des Horizonts werden daher schärfer, präziser und schneller verarbeitet: Unser Gehirn trägt sozusagen eine Gleitsichtbrille.

Wenn wir sehen, nehmen wir die Welt fast ohne bewusste Absicht wahr. Wir sehen in der Mitte unseres Sichtfeldes – entlang der Blickachse – viel besser als in der Peripherie. Wenn unser Gehirn daher ein interessantes Objekt in der Peripherie wahrnimmt, löst es sofort eine Augenbewegung aus, so dass unsere Blickachse durch das Objekt verläuft. Sobald es in unserer unmittelbaren Sichtlinie ist, können wir das Objekt dann tiefenscharf wahrnehmen.

Das liegt teilweise an der extremen Dichte der Fotorezeptoren im Zentralbereich unserer Netzhaut, der Fovea. Aber die Vorliebe der visuellen Wahrnehmung für die Mitte unseres Sichtfeldes ist auch im Gehirn repräsentiert. Sie zeigt sich in jenen Hirnstrukturen, die Reize aus der Fovea verarbeiten. So ist im Colliculus superior (CS) – einer Region des Mittelhirns, die Augenbewegungen auf periphere Reize hin anregt – wesentlich mehr Hirnmasse auf die Verarbeitung fovealer Signale ausgerichtet als auf die von peripheren Signalen. Dieses Phänomen nennt man ‚foveale Vergrößerung’.

Das Team um Dr. Hafed konnte nun zeigen, dass auch andere Teile des Sichtfeldes als nur die Fovea im CS ‚vergrößert’ werden. Ihre Ergebnisse machen klar, dass das bisher verwendete Modell des CS, das nur foveale Vergrößerung kennt, nicht ausreicht.

Angenommen das stimmt, hat es Konsequenzen? Ich denke schon wenn man an den Tesla Crash denkt

Bei einem Unfall Anfang Mai war ein Tesla mit eingeschaltetem “Autopilot”-System unter einen Lastwagen-Anhänger gerast, der die Fahrbahn überquert hatte. Tesla erklärte, das System habe die weiße Seite des Anhängers für ein hochhängendes Autobahnschild gehalten. Der Fahrer des Tesla starb bei dem Crash.

Kein Mensch würde die weiße Seite eines Anhängers für ein hoch hängendes Autobahnschild halten.

Aber auch die Bildgestaltung könnte man sich einmal neu überlegen…