Über Blockwarte und U-Boote

Zu dem angekündigten Rentzing Rücktritt muss man eigentlich nichts mehr sagen. Evelyn Finger und Wolfgang Thielmann haben in dieser Woche in der ZEIT die Diskussion erschöpfend zusammengefasst “Ein Bischof flieht aus dem Amt“.

Rentzing wurde Bischof im Jahr der Flüchtlingskrise, in einem Bundesland, wo später die blauen Erfolgswahlkreise der AfD genau auf dem Gebiet der frommen Gemeinde lagen: im Erzgebirge, im Vogtland, im evqngelikalen bible belt des Ostens. Wo in manchen Dörfern am Ende der kirchenfeindlichen DDR noch immer neunzig Prozent Kirchenmitglieder leben. … Nein, Rentzing sei absolut kein Rechter gewesen, …., aber er hätte gegen rechts mehr in die Offensive gehen müssen.

Aber dass nun wieder ein systematischer Theologe aufsteht, diesmal Rochus Leonhardt, und das wieder bei zeitzeichen, ja wieder zeitzeichen, das ist nun doch bemerkenswert. Zitat Leonhardt (geboren 1965 in Leipzig)

Wie etlichen anderen Akteuren im gesamtdeutschen kirchenamtlichen Protestantismus ist daher auch den Leipziger Petenten vorzuwerfen, dass sie dazu neigen, ihre – als solche respektablen – politischen Auffassungen religiös zu überhöhen, indem sie die von ihnen affirmierte AfD-Ausgrenzungs-Agenda als alternativlose handlungspraktische Folge des christlichen Glaubens ausgeben.
Mit Nächstenliebe hat das alles nichts zu tun, eher mit einer denunziatorischen Leitkultur, in der sich kleingeistige Blockwartmentalität als vom Glauben getragene demokratische Gesinnung ausgibt. Und von Klarheit kann erst recht keine Rede sein. Es sei denn, man versteht darunter die filterblasentypische fensterlose Helle einer voll ausgeleuchteten politischen Homogenität. Ich hoffe, dass in dieser Art von Klarheit nicht die Zukunft des evangelischen Christentums in Deutschland liegen wird.

Die AfD scheint also auch für diesen Theologen eine durchaus wählbare Alternative darzustellen, wenn er von Ausgrenzungs-Agenda spricht. Hat er überhaupt die Original Texte Rentzings gelesen?

Ich hoffe jedenfall weiter auf klare Worte der evangelischen Kirche zu Fremdenhass und Homophobie.  Philipp Greifenstein brandmarkt auch umgehend seine Nazirhetorik und fährt fort

Die sächsische Landeskirche befindet sich in einer geistlichen Notlage. Das gilt für Rentzings Gegner wie Freunde. Letztere wähnen den Bischof als Opfer der „political correctness“ und des Furors der Liberalen. Ihre Entrüstung wird von Akteuren der christlichen Rechten wie Helmut Matthies (Idea), Politikern der AfD und CDU und evangelikalen Kulturkämpfern wie Ulrich Parzany geschürt und kanalisiert. Diesen Kräften entgleitet im zurücktretenden Landesbischof eine Symbolfigur für den Kampf gegen die Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften im Besonderen und „den Zeitgeist“ im Allgemeinen. … Andere sehen in Carsten Rentzing ein „U-Boot“ genau dieser rechten Kreise, das nun – angestoßen von einem anonymen Informanten – enttarnt werden konnte. Die Idee ist amüsant, dass es in den evangelischen Kirchen rechter „U-Boote“ bedürfte. Rechte Christen operieren nicht im Verborgenen, ihre Medien und Vereine sind in den evangelischen Kirchen allgegenwärtig – und zwar überall im deutschsprachigen Raum!

Allein mir fehlt der Glaube, dass die Unterscheidung von vorletzten und letzten Dingen von Greifenstein wirklich weiter hilft, Eure Rede sei nein, nein – ἔστω δὲ ὁ λόγος ὑμῶν ναὶ ναί, οὒ οὔ· τὸ δὲ περισσὸν τούτων ἐκ τοῦ πονηροῦ ἐστιν.

Ach Sachsen, schreibt die ZEIT.

Sachsen sei von Pietismus genauso geprägt wie von der Aufklärung. SED Hochburg und am Ende doch die friedliche Revolution.

Aber “wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen. Wer die Gegenwart nicht versteht, kann die Zukunft nicht gestalten” (Bergmann). Daher also doch noch ein Blick zurück. In den Kommentaren bei der Petition schreibt  Karl Nolle

Rentzing wird wohl in der Dresdner Frauenkirche nicht mehr predigen und dort an die Tradition des von 1933-1945 amtierenden Landesbischof Friedrich Coch, anknüpfen, der seit 1931 Mitglied der NSDAP und Mitglied der NSDAP Gauleitung war (natürlich war das auch reine Privatsache). Coch ist der Landesbischof, der 1934 die Frauenkirche in Dresden zum Dom Deutscher Christen umbenannte. Er durchschritt zu seiner Amtseinführung mit Hitlergruß ein Spalier von vor der Frauenkirche angetretenen Hitlerjugend. Die ehrwürdige Frauenkirche war mit einer riesigen Hakenkreuzfahne geschmückt, als das neue Symbol deutscher Christen, ein Kreuz mit Haken.

Warum die Alliierten auf die Frauenkirche Ihre Bomben abgeworfen haben (das Lutherdenkmal daneben aber stehen liessen) scheint mir nun auch keine große Frage mehr zu sein.

Addendum 12.11.2019

Arnd Henze

Die Debatte um den rechtsnationale Vergangenheit des sächsischen Bischofs Carsten Rentzing hat eine viel dramatischere Nachricht überlagert: bei den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen hat fast ein Viertel der Kirchenmitglieder die AfD gewählt! Alle Hoffnungen, der christliche Glaube bilde eine immunisierende Kraft gegenüber den Verlockungen völkisch-nationalistischer und autoritärer Ressentiments, sind damit empirisch widerlegt. Im Raum der evangelischen Kirche formiert sich eine Religiöse Rechte, die überall dort Raum greift, wo ihr nicht entschieden Grenzen und überzeugende Alternativen entgegen gesetzt werden.