Argumente gegen das Zwangszölibat und für die Frauenordination

Ein Studie, abgedruckt im deutschen Ärzteblatt, zeigt das Ausmass der Missbrauchs durch katholische Geistliche. Mal abgesehen von der furchtbar hohen Zahl, zeigt schon die erste Tabelle einen frappierenden Unterschied zwischen Diakonen (Männer, die heiraten dürfen), Priestern (Männer, die nicht heiraten dürfen) und Pastoralreferenten (u.a. Frauen).

Priester werden fast fünfmal häufiger beschuldigt als Diakone (OR 4.8, 3.2-7.2, P<=0.0001). Auch wenn es noch mehr Unterschiede zwischen Diakonen und Priestern gibt als das Zölibat, so ist dies doch ein starkes Argument, das Zwangszölibat abzuschaffen. Da Frauen offensichtlich auch nicht beschuldigt werden, liefert die Studie auch ein Argument, die Frauenordination  in der katholischen Kirche zuzulassen, statt durch eine Selektion auf Männer mit offensichtlich zweifelhafter Persönlichkeitsstruktur zu bauen.

Aber stimmt das so wirklich? Die Studie untersucht 1946 bis 2014, also in 68 Jahren 1.670 Beschuldigte aus einer Grundgesamtheit von 38.156 Personen. Da die Grundgesamtheit aber nicht die ganzen 68 Jahre bestand, sondern nur kumulativ zur Zeit der Erhebung und ausserdem Beschuldigungen nicht mit Taten gleichzusetzen sind, nehmen wir großzügigerweise nur 40 Jahre und 19.000 Tateinheiten in die Modellrechnung und kommen damit auf 760.000 Personenjahren. Mit 1.670/760.000 errechnet sich eine Inzidenz von 0,22% pro Personenjahr.

Nun zum Vergleich die allgemeine Bevölkerung. Pro Jahr gibt es ca 15.000 Opfer bei geschätzt 82 Millionen Einwohner in Deutschland. Ziehen wir davon 15 Millionen Menschen unter 18 ab, und nehmen vom Rest nur die 50% Männer, so kommen wir auf eine jährliche Inzidenz von 15.000/33.000.000 oder 0,045%. Das bedeutet eine 4,8 mal höhere risk ratio (RR) als in der Normalbevölkerung und ist identisch mit dem odds ratio (OR) zwischen Diakonen und Priestern. Diakone unterscheiden sich also nicht von der allgemeinen Bevölkerung, das Risiko eines Übergriffs durch zölibatäre Priester ist dagegen sehr hoch. Um zukünftigen Missbrauch in der katholischen Kirchen zu verhindern, schafft man also in der Tat am besten das Zwangszölibat ab.

Allerdings steht schon bei Mt 19,27 (wo es um das Heiraten geht), dass dies nicht alle verstehen werden.  Das Zweite Vatikanische Konzil fordert dennoch „religiösen Gehorsam“ für die „mit der Autorität Christi ausgerüsteten“ Bischöfe und für den Papst „ehrfürchtige Anerkennung“ (Konstitution über die Kirche, Nr. 25).

Seit Paul VI. versichern die Päpste, Christus habe „es so festgelegt“. Er habe die erwählt, „die er wollte“ (Mk 3,13), „gemäß dem ewigen Plan Gottes“. So sagte es auch Papst Johannes Paul II. in der Erklärung „Ordinatio Sacerdotalis“ von 1994. Ebenso bestätigte sein Nachfolger, dass die Kirche für die Priesterweihe von Frauen „keine Vollmacht vom Herrn erhalten“ habe. Zuletzt beklagte eine auf Mai 2018 datierte Erklärung von Kardinal Luis Ladaria, dem Präfekten der Glaubenskongregation, die noch immer aufflackernden Zweifel an der „endgültigen“ Ablehnung der Ordination von Frauen durch die letzten Päpste. Summarisch heißt es, Christus habe zum Aposteldienst nur Männer berufen; das Mann-Sein der Priester sei unverzichtbar, da sie Christus als „Bräutigam der Kirche“ durch die Sakramente vergegenwärtigen.

Warum Jesus nur Männer als Jünger ausgewählt hat? Ich vermute mal, die Männer hatten es besonders nötig, von ihm Nachhilfe zu bekommen, der jähzornige Petrus, der ungläubige Thomas, der kriegerische Simon Zelotes und der verräterische Judas.
Das Argument, dass Priester Männer sein müssen, weil Christus ein Mann ist, verstehe ich nicht ganz. Oder allenfalls mit der genau entgegengesetzten Intention.

Ein Mitglied der Kongregation für die Glaubenslehre versteigt sich noch höher wenn man seine Predigt vom 14.6. nach liest:

Jesus hat bewusst nur Männer als Apostel berufen, als Stammväter des neuen Israel, die ihn dann zu vergegenwärtigen hatten auch im christlichen Kult. Das hat nichts zu tun damit, dass man sich in der Antike weibliches Priestertum nicht vorstellen konnte. Im Gegenteil: Die Religionen und Kulte Griechenlands und Roms kannten vor allem ein weibliches Priestertum. Ihr Dienst war oft verbunden mit der Tempelprostitution als Darstellung der Fruchtbarkeit der Erde im ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen. Davon setzt sich gerade die in der Bibel bezeugte Offenbarung ab mit ihrem Verweis auf die Geschichtsmächtigkeit Gottes…

Wegen der Prostitutionsneigung von Frauen in der Antike dürfen sie auch heute nicht zum Priesteramt zugelassen werden?? Das sagt tatsächlich ein Bischof eine Woche nachdem die Studie erschienen ist.

Nota bene: Die Diskussion ist natürlich nicht auf die katholische Kirche beschränkt, es gibt sie auch bei Baptisten in den USA mit aktuell 700 Fällen, aber auch in der evangelischen Kirche Deutschland wurden bisher 600 Missbrauchsfälle gemeldet. Beim DOSB (der Dachorganisation des deutschen Sportes liegen 1700 Meldungen vor.

Addendum 15/72019

https://www.sueddeutsche.de/kultur/zoelibat-kirche-hubert-wolf-1.4522081

Der Theologe Hubert Wolf hat ein Buch mit 16 Thesen geschrieben, die den Zölibat sehr alt aussehen lassen. Dabei geht er auch auf die historische Dimension des ewigen Streitfalls ein. Er illustriert die Dringlichkeit der Debatte auch am Priestermangel in europäischen Diözesen und zeigt den Zölibatsverteidigern ihre selbstfabrizierten Widersprüche auf.

Addendum 21/9/2019

Bischof Felix Genn in der F.A.Z. https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/bischof-felix-genn-wir-brauchen-eine-neue-machtverteilung-in-der-kirche-16394943.html

Was haben Sie aus der sogenannten MHG-Studie gelernt?Priesterliche und vor allem die zölibatäre Lebensform ist keine einfache Erklärung für sexuelle Missbrauchshandlungen an Minderjährigen.