Es ist ja nicht so, daß sich die Diakonie – der soziale Dienst der Evangelischen Kirche in Deutschland EKD – umgehend nach dem Hamas Überfall im Oktober 2023 mit Spendenaufrufen gemeldet hätte (ohne selbst vor Ort aktiv gewesen zu sein).
Oder daß die EKD nicht zu Gebeten für den Frieden aufgerufen hätte. Aber hat sie die Bundesregierung jemals für die Waffenlieferungen in dieKriegsregion kritisiert?
Wenn auch nicht gleich in 2023 aber dann doch 2024 nach der zunehmend brutaleren Kriegsführung Israels?
Haftbefehl aus Den Haag für Netanjahu? Zerbombte Krankenwägen? Und das 5. Gebot? Oder die verhungernden Kinder in Gaza? Völkerrechtswidriger Angriff auf den Iran?
Nichts davon ruft in der EKD eine grösseren Aufschrei hervor. Es stehen eben 104 evangelische Militärpfarrämter der EKD genau 0 Bundesbeauftragten für den Zivildienst gegenüber.
Und ein EKD‑Friedensbeauftragter Landesbischof Friedrich Kramer, der formuliert:
„Unsere Solidarität mit Israel und das Existenzrecht Israels stehen außer Frage. Und gerade angesichts des schrecklichen Terrors der Hamas gilt unser Mitgefühl den Menschen in Israel.“
Die katholische Kirche hat hier eine andere Position, zum Beispiel hier zusammengefasst
Die katholische Kirche lehnt eine theologische Grundlage für den Zionismus ab und hat sich historisch dagegen gestellt. Dennoch nahm der Vatikan 1993 diplomatische Beziehungen zum Staat Israel auf – eine Entscheidung, die auf der Anerkennung politischer und gesellschaftlicher Realitäten beruhte, nicht auf christlich-zionistischer Theologie. Heute erkennt der Vatikan sowohl Israel als auch den Staat Palästina an und befürwortet eine Zwei-Staaten-Lösung. Wichtig ist, dass die katholische Lehre den Gläubigen keine bestimmte politische Haltung zur Existenz Israels vorschreibt. Daher gibt es weltweit eine Vielfalt katholischer Meinungen zu diesem Thema.
Die Verlautbarungen des Ökumenischen Rates der Kirchen zu dem Konflikt ist somit aus katholischer Sicht verständlich. Der ÖRK hat nicht zuletzt auch eine Stellungnahme zu Palästina und Israel veröffentlicht, in der Israel vorgeworfen wird, den Palästinensern ein Apartheid-System aufzuerlegen. Das hat vor allem im konservativen evangelischen Lager zu Verärgerung geführt wo Kritik sofort als antisemitisch gebrandmarkt wird. Dabei hat Bedford-Strom in seiner Funktion als Vorsitzender des ÖRK Zentralausschusses doch klar gemacht, was gemeint ist:
Ich habe öffentlich, aber auch in den Sitzungen darauf hingewiesen, dass ich Analogien und Unterschiede [in der Apartheid Diskussion] sehe. Es gibt Analogien, weil es tatsächlich, etwa in der Westbank, eine Situation gibt, wo eine bestimmte Gruppe von Menschen, in diesem Fall eben die Palästinenser, bestimmte Rechte nicht hat. Da werden Leute ohne Verfahren inhaftiert über lange Zeit. Da wird sich Land genommen, was anderen gehört, und die Polizei schaut zu. Gleichzeitig gibt es aber auch Unterschiede. Der größte Unterschied für mich besteht darin, dass wir es in Israel nicht mit weißen Kolonialisten zu tun haben, die sich Land nehmen, um dort wirtschaftlich zu prosperieren, sondern hier handelt es sich um ein absolut traumatisiertes Volk, bei dem bis 1945 sechs Millionen Menschen ermordet worden sind und das durch den UNO-Beschluss den einen Ort auf der Welt fand, wo es sich sicher fühlen kann. […] Die Eskalation in jüngerer Zeit hat das noch verschärft: Die brutalen Morde des 7. Oktober, dann die völlig unverhältnismäßige Reaktion auf diesen Angriff. Dann ist Trump in den USA gewählt worden. Ein US-Botschafter ist nach Israel berufen worden, Mike Huckabee, der als christlicher Zionist bekannt ist und der überhaupt kein Hehl draus macht, dass er eine Annexion der besetzten Gebiete durch Israel anstrebt. Er spricht auch nur von Judäa und Samaria, nicht von Palästina.
Und die offizielle EKD Reaktion auf die ÖRK Resolution und ihren früheren Vorsitzenden? Sie tritt zwar für Einhaltung des “humanitären Völkerrechts”, aber ignoriert die Siedlungspolitik. Beschämend.
Die Erklärung des ÖRK-Zentralausschusses zu Palästina und Israel relativiert in ihrem Titel den Beschluss der Vollversammlung des ÖRK vom September 2022, demzufolge Israel nicht als Apartheidstaat bezeichnet wurde. Diese Relativierung kann die EKD nicht teilen. Die EKD hält an ihrer Positionierung von 2022 fest, dass der Begriff „Apartheid“ die komplexe Realität in Israel und den palästinensischen Gebieten nicht in geeigneter Weise beschreibt. Der Begriff entstammt dem spezifischen historischen Kontext des südafrikanischen Systems der gesetzlich verankerten rassistischen Trennung und Unterdrückung. Eine Übertragung dieses Begriffs auf die Situation in Israel und den besetzten Gebieten greift aus unserer Sicht zu kurz und trägt nicht zu einer sachgerechten und verantwortlichen Debatte bei. Unrecht und Leid durch die fortgesetzte Besatzung des Westjordanlandes und den Krieg in Gaza müssen benannt werden. Die EKD tritt für die Einhaltung des humanitären Völkerrechts ein und fordert eine Lösung, die Sicherheit und Rechte für alle Menschen in der Region gewährleistet.
Warum unterscheidet sich aber nur evangelische Kirche hier so sehr von der katholischen Bischofskonferenz? Ich sehe zwei Gründe – zum einen die nationale Herkunft der EKD, zum anderen ihre “sola scriptura” Flagge.
Zunächst zu sola scriptura – nur die Schrift soll gelten. Evangelikale Christen legen die Bibel wörtlich aus. Sie verstehen die Rückkehr der Juden heilsgeschichtlich ins Land Israel und die Gründung des Staates Israel 1948 als Erfüllung biblischer Prophezeiungen (z. B. nach Hesekiel 37, Jesaja 11). Dadurch wird die moderne israelische Politik als Teil des göttlichen Plans gesehen. Einflussreiche protestantische Strömungen wie der Dispensationalismus lehren, dass Gott mit Israel einen bleibenden Bund hat, unabhängig von Jesu Kommen. In dieser Sicht wird zwischen der „Gemeinde/Kirche” und „Israel“ unterschieden. Sie glauben, dass Israel in der Endzeit eine zentrale Rolle spielt. Die Bibel kennt allerdings keine UN-Charta, keine universellen Menschenrechte, nur Verheißungen und Prophezeiungen die nur dem einem, nämlich dem eigenen Volk gelten. Die politische Unterstützung Israels wird also entgegen der universellen Menschenrechte als religiös geboten verstanden. Jahrtausende alte prophetische Texte werden dabei für eine aberwitzigen Rechtfertigung missbraucht. Prophezeiungen, die sich nun erfüllen – Thomas Theorem „Wenn die Menschen Situationen als wirklich definieren, sind diese in ihren Konsequenzen wirklich“.
Aber nicht genug damit, Luthers sola scriptura führt ausserdem zu einer starken Gewichtung des Alten Testamentes, die praktisch gleichwertig mit dem Neuen Testament ist, ohne kirchliche Traditionen oder Dogmen als Deutungsrahmen. So wird Israel als Gottes „auserwähltes Volk“ ohne irgendeine theologische Relativierung gesehen. Der aktuelle Krieg erinnert damit in einigen Aspekten auch an die vielen Kriege des orientalischen Hirtenvolkes das in den Büchern Josua, Richter, Samuel und Könige gegen alle andere Völker kämpft, was nicht zuletzt auch das Rollenmodell für das aktuelle Selbstverständnis ist. Es sind Kriege, die von Gott persönlich befohlen wurden – etwa wie die Eroberung Kanaans (Josua 6). Teilweise wurde schon damals der sogenannte Herem (חֵרֶม die vollständige Vernichtung des Gegners) praktiziert – eine Form heiliger Kriegsführung, bei der ganze Städte ausgelöscht wurden. Kriege dienten der Erweiterung des „verheißenen Landes“ wie auch jetzt wieder im aktuellen Gaza Krieg. Nach der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre ist ein Staat nicht verwerflich der Krieg führt, wenn dies zur Aufrechterhaltung der Ordnung notwendig ist. GOTT MIT UNS war nicht nur auf der Gedenkmünze zum 400-jährigen Reformationsjubiläum 1917 geprägt, sondern auch die Inschrift auf dem Koppelschloss der deutschen Wehrmacht bis 1945.
Die katholische Kirche betrachtet Krieg dagegen als moralisches Übel, das nur unter sehr engen Bedingungen gerechtfertigt sein kann. Das Ideal ist der gerechte Friede justa pax. Zudem interpretiert die katholische Kirche die alttestamentliche Verheißungen geistlich / symbolisch, d. h. sie sieht die Kirche als das „neue Israel“ an. Sie sieht diese Verheißungen in Christus erfüllt und auf die Kirche hin vollendet. Diese Sichtweise hat ihren Ursprung nicht in kirchlicher Willkür, sondern ist in der Bibel und frühkirchlichen Theologie verankert etwa bei Paulus „Nicht alle, die aus Israel stammen, sind Israel […], sondern die Kinder der Verheißung gelten als Nachkommen.“ (Röm 9,6–8 oder 2,28-29; Gal 3,26; 1. Petr 2,9).
Dazu ist die katholische Kirche aber auch weitaus mehr überstaatlich orientiert als die nationalstaatliche evangelische Kirche. Es ist der strukturelle Unterschiede von globaler vs. föderaler Organisation. Die katholische Kirche hat eine zentrale, hierarchische Struktur mit dem Papst als oberstem Hirten in Rom. Der Vatikan ist ein eigenständiger Staat und Akteur im internationalen diplomatischen Gefüge, die meisten Entscheidungen und Positionen werden auf globaler Ebene (Konzilien, Enzykliken, Bischofssynoden) abgestimmt, was eine supranationale Sichtweise und Diplomatie fördert. Die EKD dagegen ist ein Zusammenschluss aus 20 Landeskirchen mit föderalem Charakter, stark auf nationale Kontexte bezogen und ohne einheitlichem, zentralem Lehramt wie dem des Papstes. In ihrer ÖRK Antwort ist sie dadurch befangen und wirkt durch die Ausrichtung an nationalen und regionalen Fragen geradezu engstirnig. Der Nationalismus dagegen gilt Katholiken als problematisch, weil er die Einheit der Kirche untergräbt. Die katholische Soziallehre betont die universale Menschenrechte, Gerechtigkeit, Gemeinwohl (vgl. Gaudium et Spes, Caritas in Veritate).
Die Reformation dagegen war eng mit dem Aufstieg des Nationalstaats verbunden. Luther selbst betonte immer wieder das Prinzip der “Obrigkeit” (Röm 13) und die enge Verbindung von Kirche und Staat. Die evangelische Kirche in Deutschland wurde über Jahrhunderte hinweg als “Volkskirche” verstanden – eng mit dem deutschen Staat und der deutschen Nation verbunden. “Etwa 20 Prozent der evangelischen Pfarrer waren [NSDAP] Parteimitglieder, die Anzahl der katholischen Priester lag bei unter einem Prozent“ sagt Manfred Gailus. Aber auch aktuell sind die EKD-Stellungnahmen meist auf deutsche Themen fokussiert: deutsche Erinnerungskultur, deutscher Sozialstaat, die spezifisch deutschen Verantwortung für Israel. Während die katholische Kirche überstaatlich geprägt ist durch ihre universale Struktur der Weltkirche, bleibt die EKD kleinstaatlich und national rückständig, weil sie historisch und strukturell einer deutschen Staatsräson verhaftet ist, die schliesslich auch von einer Protestantin 2008 so formuliert wurde.
Ist das nun also ein Plädoyer zur Konvertierung? Nein, Theodore McCarrick, Ida Raming, Rainer Woelki, Franz-Peter Tebartz-van Elst, Gerhard Ludwig Müller, Joseph Ratzinger, Hortense McNamara und Herwig Gössl sprechen dagegen. allenfalls Matteo Zuppi dafür. Aber ein Plädoyer zur Konversion ist es durchaus.
8 Aug 2025
Die Bundesregierung beendet die Lieferung von Rüstungsgütern für Israel auch ohne EKD Intervention.
14 Aug 2025
Zumindest ein weiterer Evangelischer der nicht wegschauen will: Hans-Jürgen Abromeit
Niemand wird aber im Ernst bestreiten, dass ein Volk, dem vor 80 und 90 Jahren großes Unrecht angetan worden ist, in einer anderen Konstellation heute selbst Unrecht tun kann. Teile des jüdischen Volkes, sowohl einzelne jüdische Menschen und Gruppen als auch Organe des Staates Israel verletzen gegenwärtig systematisch Menschenrechte und Völkerrecht, ja verstoßen auch gegen ausdrückliche Gebote der Thora und der Propheten. Den Palästinensern, egal ob beteiligt am Terror gegen Israel oder nicht, egal ob Muslime oder Christen, wird die Lebensgrundlage entzogen. Große Teile der deutschen Gesellschaft, die deutsche Politik und auch viele Christen und die evangelischen Kirchen sind aber bereit, dieses Unrecht zu übersehen… Netanjahu [hielt] am 28. Oktober 2023 seine Rede, in der er eine lange Tradition der Rechten und Faschisten in Israel aufnahm, nach der die Palästinenser das heutige Amalek seien. Amalek ist nach 5. Mose 25, 17-19 und 1. Samuel 15 der Erzfeind Israels und muss ausgelöscht werden. Seitdem verfolgt Israel eine Politik der Vernichtung der Palästinenser oder zumindest des Transfers aus dem Gazastreifen.