Tue Gutes und rede ständig darüber?

Werner Hosemann, Greifswald, hat anlässlich eines HNO Kongresses am 13. Mai eine bemerkenswerte Rede gehalten “Tue Gutes und rede ständig darüber? Anmerkungen zur Systemkollision von Ökonomie und Medizin”, Quelle HNO Informationen 3/2105, 102, hier in Auszügen:

In nahezu jedem Krankenhaus stecken Einnahmequellen, die nicht genutzt werden. Täglich werden dort zahlreiche Leistungen erbracht, die sich vermarkten ließen oder mit denen sich ein Haus gegenüber dem Wettbewerb profilieren könnte. Diese Leistungen sichtbar zu machen und zu kommunizieren, ist eine der wesentlichen Aufgaben von Krankenhausmarketing
[…]
Eine Marketing-Offerte steht zu dieser therapeutischen Offerte in einem deutlichen Spannungsverhältnis
[…]
Exemplarisch mache ich auf vier Folgen aufmerksam:
– Das Arzt-Patient-Verhältnis wird zum ökonomischen Tauschverhältnis, der Patient wird Kunde.
– Die Konkurrenzfähigkeit einer Klinik wird zum Kriterium der Güte.
– Der Arzt wird mehr und mehr vordergründig Teil in einem Wirtschaftsbetrieb.
– Die öffentliche und interne Kommunikation ändert sich.
Zum Patienten als Kunden stelle ich mit Kick fest:
– Der Status des Kunden ist frei bestimmbar – der Status des Patienten nicht.
– Zielwert eines Kunden ist eine Anforderung – Zielwert eines Patienten eine Entlastung.
– Im Zentrum der Interaktion mit dem Kunden steht die Darlegung von Interesse und Bedarf – beim Patienten die Objektivierung der Befundlage.
Ich wage zu behaupten, dass der Patient abseits der wunscherfüllenden Medizin in der überwiegenden Anzahl seiner Eigenschaften und in multiplen sozio-psychologischen Dimensionen definitiv kein Kunde ist. Die Marktbeziehung ist gerade für ernsthaft Kranke nicht geeignet.
[…]
Bei einer Umfrage unter Chefärzten für Chirurgie im Jahr 2011 wurde an vierter Stelle der subjektiven Belastungen dieser Chefärzte, d.h. nach bürokratischer Belastung, Personalknappheit und Problemen mit dem Arbeitszeitgesetz eine „Respektlosigkeit der Geschäftsleitung im Umgang mit dem Chefarzt” angegeben.
In diesen Gegensätzen spiegelt sich die Ambivalenz der Maxime „Tue Gutes und rede darüber” – es können mehrere alternative Positionen in Theologie und Philosophie zitiert werden:
– Im Matthäus-Evangelium 6, 1-2 steht: „Hütet euch, eure Gerechtigkeit vor den Menschen zur Schau zu stellen … Wenn du Almosen gibst, lass es also nicht vor dir herposaunen, wie es die Heuchler tun …, um von den Leuten gelobt zu werden …”.
– Im gleichen Sinn fordert der zeitgenössische Islamist Gülen: „Tue Gutes und lasse es wirken”.
– In der historischen Philosophie selbst findet man ähnliche Maximen: nach Kant’s deontologischer Ethik „muss man gut sein und das übrige erwarten”…
Werbende Darstellungen fördern grundsätzlich die allgemeine Ansicht, dass es gute und schlechte Ärzte gibt. Sie führen über längere Frist zu einem „Produktionsverständnis in der Medizin”.

Mit Kick ist dabei Hermes Andreas Kick gemeint der bereits 2006 im Ärzteblatt das auf den Punkt brachte

RollenaspektPatientKunde
Anthropologische BeziehungskonstellationNot-Hilfe-BeziehungGeschäftsbeziehung
Statusnicht frei bestimmbarfrei bestimmbar
MotivationKrankheit: NotBedarf: Wunsch
Aktualisierungnicht können könnennicht wollen wollen
Freiheitsgradekrank, abhängigmündig, autonom
ZielwertEntlastungAnforderung
EthikSchonung / Privilegien des PatiententenGleichheit / Fairness der Partner