Von der Bildmanipulation zur Millionen Entschädigung

Was der Fall des Dana-Farber Cancer Institute über die Grenzen wissenschaftlicher Selbstkontrolle zeigt – und warum ein solcher Präzedenzfall in Deutschland bislang undenkbar ist

Es begann unspektakulär, mit auffälligen Bildern, entdeckt in den Tiefen einer Online-Plattform. Auf PubPeer, einem digitalen Schwarzen Brett für Wissenschaft, überprüften externe Wissenschaftler über Jahre hinweg alte Publikationen des renommierten Dana-Farber Cancer Institute (DFCI) in Boston. Was sie dort fanden, wirkte auf den ersten Blick banal – Bildausschnitte, die gespiegelt oder gedreht waren, kontrastverändert oder mehrfach recycelt für unterschiedliche Experimente. Doch was in der Welt der biomedizinischen Forschung zunächst aussieht wie handwerkliche Nachlässigkeit, entwickelte sich zu einem Fall mit juristischem Nachspiel.

Denn Dana-Farber ist nicht irgendein Institut. Die Einrichtung gilt als eine der weltweit führenden Krebsforschungszentren, eng verbunden mit der Harvard Medical School und seit Jahrzehnten großzügig unterstützt durch das National Institutes of Health (NIH). Und wo so viel Geld fließt, hat wissenschaftliche Korrektheit auch eine wirtschaftliche Dimension.

Zunächst folgte das übliche Verfahren: Zeitschriften prüften die Vorwürfe, veröffentlichten Korrekturen oder zogen einzelne Arbeiten ganz zurück. Mehrere der betroffenen Artikel stammten von führenden Mitgliedern des Instituts, einige reichten Jahrzehnte zurück. In manchen Fällen waren die Originaldaten nicht mehr auffindbar, archiviert auf alten Festplatten, in Laborbüchern oder schlicht verloren. Der wissenschaftliche Schaden ließ sich eingrenzen, der wissenschaftliche Record teilweise bereinigen. In der Regel endet die Geschichte hier.

Doch in den USA nahm sie eine unerwartete Wendung. Ein Blick auf die Anträge, mit denen Dana-Farber Fördergelder eingeworben hatte, zeigte: Viele dieser beanstandeten Publikationen hatten als Vorarbeiten gedient – als Beleg für die Machbarkeit und Exzellenz kommender Projekte. Und genau an dieser Schnittstelle, dort, wo Forschung auf Verwaltung trifft, griff plötzlich das Rechtssystem.

Der englische Postdoc Sholto David, der die Unregelmäßigkeiten öffentlich gemacht hatte, argumentierte: Wenn eine Institution öffentliche Gelder auf Grundlage fragwürdiger oder manipulierter Daten erhält, dann hat sie dem Staat faktisch falsche Tatsachen vorgelegt. Juristisch ist das kein Verstoß gegen wissenschaftliche Ethik, sondern potenziell ein Fall von Betrug – und damit ein Fall für den False Claims Act (FCA). Dieses amerikanische Gesetz existiert seit dem 19. Jahrhundert, ursprünglich geschaffen, um Betrug bei Rüstungsaufträgen während des Bürgerkriegs zu bekämpfen (und wäre damit auch bei Maskendeals anzuwenden). Heute deckt es jeden Fall ab, in dem öffentliche Mittel durch Täuschung erlangt werden. Besonders bemerkenswert: Auch Privatpersonen können im Namen des Staates klagen, wenn sie glaubhaft machen, dass Steuergelder missbräuchlich verwendet wurden. Im Erfolgsfall steht ihnen ein Anteil der Rückzahlung zu.

Diese juristische Hebelwirkung führte schließlich zu einem Vergleich zwischen Dana-Farber und dem US-Justizministerium. Das Institut zahlte 15 Millionen US-Dollar, ohne ein offizielles Schuldeingeständnis, aber mit der Anerkennung, dass „problematische Daten“ Teil von Förderanträgen gewesen waren. Ein Teil des Vergleichsbetrags ging an den Hinweisgeber. Die Summe war bemerkenswert – nicht wegen ihrer Höhe, sondern wegen des Prinzips dahinter. Der Staat erhob keinen wissenschaftlichen Anspruch, sondern einen schlichten rechtlichen: Wer Forschungsmittel beantragt, schuldet dem Staat Wahrheit.

Dieser Gedanke hat in Deutschland bislang keinen Platz. Ein vergleichbarer Fall würde hier voraussichtlich im System der wissenschaftlichen Selbstkontrolle versanden – in Ombudsverfahren, internen Untersuchungen und gelegentlichen Korrekturen, irgendwann, irgendwo, meist folgenlos. Bei einem Fall an der Universität Gießen ebenfalls mit zahlreicher Manipulationsbefunde auf PubPeer, folgten nach Jahren nur einige wenige Korrekturen. Aber selbst wenn Bundes- oder Landesmittel betroffen wären, fehlt eine systematische Prüfung, ob sie auf falschen Tatsachen beruhten.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die zentrale Förderinstitution für Grundlagenforschung, versteht sich nicht als Ermittlungsbehörde. Ihre Verfahren sind auf wissenschaftliche Selbstkontrolle ausgelegt, nicht auf rechtliche Durchsetzung. Rückforderungen erfolgen nur bei formalen Verstößen – etwa, wenn Mittel zweckwidrig verwendet wurden. Ob eine Forschungsidee auf geschönten Daten beruhte, spielt keine Rolle. Der Staat als Geldgeber tritt dabei selten oder praktisch nie als geschädigte Partei in Erscheinung.

Auch Hinweisgeber, die Missstände entdecken, stehen in Deutschland weitgehend allein. Das 2023 verabschiedete Hinweisgeberschutzgesetz bietet ihnen gegenüber Arbeitgebern einen gewissen Schutz, schafft aber weder Anreize noch rechtliche Möglichkeiten, unrechtmäßig erlangte Fördermittel einzuklagen. Ein Pendant zum amerikanischen qui tam-Recht, das Whistleblowern eine aktive und belohnte Rolle einräumt, existiert nicht.

Der Kontrast könnte deutlicher kaum sein. In den USA machte ein einzelner Forscher publik, dass die Grenze zwischen wissenschaftlicher Unachtsamkeit und Täuschung dort endet, wo Steuergelder betroffen sind. In Deutschland hingegen bleibt wissenschaftliches Fehlverhalten meist eine interne Angelegenheit – geregelt durch Ethik, nicht durch Recht.

Der Fall Dana-Farber ist mehr als eine amerikanische Episode. Er ist ein Lehrstück für die Durchsetzung wissenschaftlicher Redlichkeit mit Haushaltsrecht. Wo Milliarden an Fördermitteln vergeben werden, genügt Selbstkontrolle allein nicht mehr. Ohne ein rechtliches Instrument, das die Wahrheitspflicht gegenüber der Öffentlichkeit durchsetzbar macht, bleibt wissenschaftliche Integrität allenfalls ein freundlicher Appell.

Quelle: https://retractionwatch.com/2025/12/16/dana-farber-settlement-false-claims-act-image-manipulation

 

CC-BY-NC Science Surf accessed 25.12.2025 VG Wort note save PDF