Fundamentalismus. Was mich schon immer daran gestört hat.

In einem Repost heute (Original vom 20. Juni 2016) erkärt feinschwarz/René Buchholz, was mich schon immer, seitdem ich denken kann, an dem religiösen Fundamentalismus gestört hat –  das ist die Verbindung von Religion mit einer unangreifbaren Offenbarungslegitimation mit reaktionärer, politisch rechter Identität.

Von diesem Ausverkauf der Religionen setzt sich die strong religion entschieden ab. Sie inszeniert sich nicht nur in den USA als Bollwerk gegen Relativismus, Modernismus, Werteverfall und Auflösung der Gesellschaft. Familie, Autorität – die Bibel im Sinne der Verbalinspiration und wörtlichen Inerranz eingeschlossen –, Bekenntnis zum freien Markt und zum Eigentum verschmelzen im protestantischen Fundamentalismus, der seit Beginn des 20. Jahrhunderts gleichsam die Copyrights für den Begriff hat, zu einem geschlossenen System nationaler und religiöser Identität. … Die katholische Variante der strong religion teilt mit dem protestantischen den antimodernen Affekt, betont aber weniger die Autorität der Schrift, sondern legt den Akzent auf Tradition, Lehramt und eine streng hierarchische Ordnung. Die Unterwerfung unter die Autorität – nicht nur unter die kirchliche – tritt im katholischen Fundamentalismus noch offener hervor.

Es ist einer der besten Texte zu dem Thema, wenn nicht sogar d e r ultimative Text dazu.

Auch der Fundamentalismus kennt eine Ökonomie des Tausches; er ist gnadenlos und selbst bei Gott scheint es nichts gratis zu geben: Als Gegenleistung für die Submission, die Auslöschung des Ich und die Übernahme einer geistfeindlichen, dualistischen Weltanschauung, wird die Mitgliedschaft in einer Gruppe mit bedeutender Mission gewährt … Das sacrificium intellectus ist ein autodestruktiver Gewaltakt, der alle Fundamentalismen … verbindet. Er führt aber nicht notwendig zur Gewalt gegen andere. Nur ein relativ kleiner Teil der Fundamentalisten überschreitet diese Grenze, denn menschliche Handlungen folgen nur selten einem einzigen Motiv; sie unterliegen unterschiedlichen Kriterien und Motivationen, die nicht in eine einzige Richtung deuten. Erst wo das Tötungstabu mit Blick auf vermeintlich höhere Ziele oder umgelenkte Aggression außer Kraft gesetzt wird, wendet sich die destruktive Seite des Fundamentalismus sichtbar und medienwirksam nach außen.

Ich habe lange vergeblich versucht, ein Interview mit dem Ratzeburger Kindesmörder zu führen (Karl K.), der mir aber über die Staatsanwaltschaft nur ein Bibelvers ausrichten liess (in dem Fall Lukas 9:62 – Jesus aber sprach zu ihm: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt zum Reich Gottes). Ich kann nur hoffen, dass diese Uneinsichtigkeit zur Sicherheitsverwahrung führt.

Buchholz nimmt in seinem Essay jedenfalls auch meine geplante Schlussfolgerung vorne weg

Von der Nichtigkeit des Fundamentalismus überzeugen kaum Argumente; wie beim Vorurteil werden Argument und Erfahrung ähnlich dem Kantischen Schematismus vorab auf den Wahn bezogen und so neutralisiert. Aus dem Fundamentalismus erwacht man gleichsam schockartig, wie aus Benjamins Traumschlaf der Moderne. Ob Religion während der unvermeidlichen Katerstimmung nach dem Rausch verworfen oder, mit Kritik fusioniert, erwachsen wird, lässt sich nicht voraussagen.

Ich habe beides gesehen – leider mehr die Verwerfung als das Erwachsenwerden. Die einzige Strategie, damit umzugehen? Subversion. Sagt jedenfalls  Hubert Schleichert in “Wie man mit Fundamentalisten diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren”.