Von vertikaler und horizontaler Wissenschaft

Zur Krise der Wissenschaften kann man vieles sagen. Dabei wird das eher selten gemacht, denn eigenartigerweise ist Wissenschaft nur wenig selbst reflexiv. Warum mit immer mehr Wissen und immer mehr Bildung, die eigentliche Wissenschaft – Aufstellen von Hypothesen, Überprüfen von Sachverhalt und logischen Folgerungen – in den letzten Jahren immer weiter abgetreten ist?Hat es nur mit dem schlechten Wissensmarketing zu tun (wie es EP Fischer gerade erwähnt hat), das zunehmend auch von der Spassguerilla (“Science Slam”) geprägt wird? Oder ist ganz einfach der Neoliberalismus nun auch in den Biowissenschaften angekommen, ganz im Sinn eines Marktliberalismus – es wird produziert, wonach der  Markt ruft. Ein Markt von Impaktpunkten, Drittmitteln, Doktor- und Masterarbeiten, Wissenschaftspreisen oder was auch immer. Nicht dass irgendetwas davon schlecht ist, es geht darum, daß doch nichts davon einen intrinischen Zweck hätte, ausser für den Doktoranden vielleicht. Noch vor wenigen Jahren ging es um die logische Fortführung eines Gedankens, der kritischen  Überprüfung der Aufstiegslinie, wo noch niemand vorher geklettert ist. Stattdessen wabern nur Nebelschwaden des Marktliberalismus durch das Tal? Stephan Orth befand dazu

Der Businessplan der meisten erfolgreichen Alpinisten basiert auf Einnahmen von Sponsoren, Diashows und Bildbänden. Die Erfolgsformel ist simpel: Je spektakulärer die eigenen Erfolge am Berg in Szene gesetzt werden, desto größer ist die Aufmerksamkeit, desto glücklicher sind die Geldgeber. Ob nun wirklich ein neuer Meilenstein des Bergsteigertums erreicht wurde, ist dabei nicht so wichtig.

Das ist in der Wissenschaft auch nicht anders, wenn wir mal zwei Texte der letzten Woche aneinander reihen. Da warnt Transparency vor zu enger Verflechtung von Unis und Unternehmen. Und die klassisch neoliberale Reaktion des HRK Präsidenten kommt umgehend

Der kritische Blick auf die Hochschulen ist völlig in Ordnung. Wenn allerdings das finanzielle Engagement von Wirtschaftsunternehmen unter Generalverdacht gestellt wird, skandalisiert man eine sinnvolle, für Unternehmen, Hochschulforschung, Studierende und Volkswirtschaft ertragreiche Zusammenarbeit.

Wie sollte man auch eine ertragreiche Zusammenarbeit kritisieren? Einer macht es trotzdem, Byung Chul Han

Wissenschaftler reflektieren heute nicht den gesellschaftlichen Kontext des Wissens. Sie machen eine positive Forschung. Jedes Wissen findet in einem Herrschaftsverhältnis statt. Ein Herrschaftsverhältnis, ein neues Dispositiv generiert ein neues Wissen, einen neuen Diskurs. Wissen ist immer eingebettet in eine Herrschaftsstruktur. Man kann einfach positive Forschung betreiben, ohne zu erkennen, dass man unter dem Bann dieser Macht steht, und ohne sich auf die Kontexualität des Wissens zu besinnen.

Es ist längst kein Kontextwissen mehr, was da auf den Slides steht, ein paar Ergebnisse vielleicht, viel Eigen- und Fremdmarketing mit  amateuerhaften von Förderern und Kooperationspartnern. Selbst der Spiegel redet mitterweile von Forschungsmüll, kein Wunder nach den Ionannides Arbeiten. Noch nie wurden so viele Artikel zurückgezogen, gerade jetzt erst wieder 43 Artikel auf einen Schlag, nachdem schon im letzten Jahr Fake Reviewer aufgeflogen sind. Wenn man sich die Entwicklung in den USA und in England ansieht, dann wird sich das wohl noch weiter verschärfen.

The US has worse issues .. Europe doesn’t have the Greek (fraternity and sorority) system. Europe doesn’t have the athletics problem. A recent graphic making the rounds of the internet showed the highest-paid state employees in the US states, and 40 were university coaches with outrageous salaries. Europe doesn’t (yet) have the fancy-dorms-with-luxury-spas system we are building, which venally corrupt the idea of a serious-level education.

Und auch aus England kommen kritische Töne, nach “venally corrupt” käuflich und korrupt,  hier “ill conceived” schlecht durchdacht.

Although the department was excellent, it was freighted to breaking point with imperious and ill-conceived demands from much higher up the food chain – from people who don’t teach or do research at all… The incessant emphasis was on cash: write grant applications rather than books and articles in order to fund one’s research … accept anyone for study who could pay, unethical as that was especially at postgraduate level, where foreign applicants with very poor English were being invited to spend large sums on degrees …

Ist das nun wirklich eine Systemfrage, eine Frage der falschen Anreize? Ginny Barbour findet dazu deutliche Worte.

Science is set up with perverse incentives that reward scientists for ‘impact’ and ‘productivity’ rather than for the quality of their research or the ability to replicate studies. These are sentiments which have been stressed by Ginny Barbour, Chair of COPE who cites the recent report from the Nuffield Council on Bioethics on the Culture of Scientific Research in the UK.

Der Neoliberalismus in der Wissenschaft scheint wohl nie genug zu bekommen. Dabei geht die Kommerzialisierung und Industrialisierung längst über wissenschaftliche Projekte hinaus, braucht enormee adminstrative Unterstützung und verschlingt Unsummen an Ressourcen. Parturient montes, nascetur ridiculus mus. Aber es kommen nur kleine Mäuse heraus.

Wer hat jemals die Mär in die Welt gesetzt, daß Wissenschaft eine ernstzunehmende Renditeerwartung hat?