Vermessen

Vermessen hast reichlich widersprüchliche Bedeutungen. Zum einen bedeutet vermessen aktiv – ich bestimme die genauen Maße. Dagegen bedeutet, ich habe mich vermessen, ich habe etwas falsch gemessen. Und als Adjektiv gibt es nochmal eine andere Bedeutung: ich bin vermessen, meint ich bin überheblich.

Woher diese Unterschiede? In der mehrteiligen SWR2 Podcast Serie “Der vermessene Mensch” wird die Frage nicht beantwortet, dafür aber gezeigt, wie die Vermessung immer weiter fortschreitet.

Das Daten-Ich
Unsere Welt ist voller vernetzter Sensoren. Sie stecken in den Mautbrücken über der Autobahn, in den Diebstahlsdetektoren an der Kaufhaustür, in Heizungsanlagen, Türschlössern und sogar Toiletten. Wir tragen sie mit uns herum: im Handy, unter den Etiketten unserer Kleidung, auf den Kundenkarten in unserem Portemonnaie. Die Daten, die sie permanent erzeugen, sind äußerst wertvoll.

Die Selbst-Vermesser
Am Tag läuft der Schrittzähler, in der Nacht das Stirnband zur Schlafanalyse. Den Alltag messbar machen, danach strebt die Quantified Self-Bewegung, in der Menschen große Datenmengen über sich selbst auswerten. Ihre Ziele sind vielfältig: Einige wollen ihre Fitness verbessern, andere psychische Krankheiten kontrollieren, dritte versuchen ihre Freundschaften zu optimieren und wieder andere haben mit der echten Verschmelzung von Mensch und Maschine begonnen: Die ersten Cyborgs sind bereits unter uns.

Es gibt eine neue Spezies homo iphone,  “Selbstvermesser”, die sich mit Fitness und GPS Armbändern quasi selbst zum Objekt der Forschung gemacht haben.

Bayern 2 “Evangelische Perspektiven” hatte im Januar ebenfalls einen Podcast mit dem Thema “Der vermessene Mensch”. Er erklärt, warum der Versuch, sich selbst zu vermessen, vermessen ist.

So genannte “Wearables”, also Minicomputer am Körper wie ein Fitness-Armband oder eine Smartwatch, machen das Leben leichter und effektiver, aber sie sammeln auch permanent Daten über das Privatleben und die Gesundheit ihrer Nutzer. Was passiert mit den sensiblen Daten? Wird der Mensch künftig erst vermessen und dann ganz auf Zahlen reduziert? Rita Homfeldt sammelt Meinungen von Theologen, Ethikern und Soziologen zu den neuen Schnittstellen zwischen Mensch und Computer.

Interessant ist die theologische Perspektive, die Johanna Haberer (“Digitale Theologie“) hier eröffnet: Im Mittelalter beherrschte die Kirche den Menschen, es gab mit dem Ablass ein hoch komplexes Heilökonomie System, das auf einer Selbstvermessung religiöser Art beruhte. Luther hat dieses System zerschlagen, man kann sich Gottes Gnade nicht verdienen. 1567, nur 21 Jahre nach Luthers Tod,  hob Papst Pius V.  alle Almosenablässe auf.

Mit dem Beginn des digitalen Zeitalter vermessen sich die Menschen nun wieder. Wer ihnen wohl digitalen Ablass gewähren, das freiwillige Formatieren der Festplatte?