Gesund und krank: Diskriminierung bei Bipolar I Störung

Die Bipolar-I-Störung ist eine chronisch verlaufende psychiatrische Erkrankung, früher auch als manisch-depressive Psychose bezeichnet und gehört zu den affektiven Störungen. Kennzeichen der Erkrankung sind wiederholte manische und depressive Episoden, seltener einer Mischung aus beiden, sowie lange Phasen von unauffälligem, situativ angepasstem Verhalten (LUNDBECK.COM). “Menschen mit Bipolar-I-Störung können ungewöhnlich intensive Stimmungen haben, die jeweils über einen bestimmten Zeitraum anhalten, der als ‘Episode’ bezeichnet wird.”

Der übersteigert positiv überdrehte Zustand wird als manische Episode bezeichnet und zeigt ein erhöhtes Energie- und Aktivitätsniveau mit übersteigertem Selbstbewusstsein und Gedankenflucht, vermindertem Schlafbedürfnis, übermässigem Reden und einer Neigung zu impulsivem und leichtsinnigem Verhalten. Manische Episoden können mit längeren depressiven Episoden wechseln, bei denen eine gedrückte Stimmung, passivem Verhalten, Schwarzmalerei, und Verzweiflung  vorherrscht mit einem insgesamt vermindertem Energie- und Aktivitätsniveau (LUNDBECK.COM).

Die Fachliteratur geht von bis zu 2 % der Europäer aus, die zu irgendeinem Zeitpunkt in ihrem Leben an einer bipolaren Störung leiden, realistisch ist allerdings eher eine Prävalenz von 0,1%. Es gibt keine Heilung für die bipolare Störung Typ I, den meisten Betroffenen gelingt es aber, mit sinnvoller Lebensführung und einer intermittierenden oder dauernden medikamentösen  Behandlung, die Stimmungsschwankungen und ihre Folgen unter Kontrolle zu bringen. Die Ursache ist unbekannt, Familienstudien legen eine Vererbung nahe, ohne dass die funktionelle Zusammenhänge mit den identifizierten Genen klar wäre. Die Bipolar-I-Störung ist bei Männern und Frauen gleich häufig und betrifft Menschen aus allen sozialen Schichten und ethnischen Gruppen. Das Risiko für das Auftreten einer bipolaren Störung ist bei jungen Erwachsenen am höchsten und beginnt in Großteil der Fälle ums das 25. Lebensjahr.

Bereits bei Hippokrates ist die phasenweise Erkrankung belegt. Die moderne Sicht geht auf das umfangreiche Standardwerk des Münchner Psychiaters Emil Kraepelin zurück. Kraepelin beklagt unter anderem die schwierige Diagnosestellung (KRAEPELIN 1899), dass es schwierig sei, einen einfachen Anfall von der periodisch auftretenden Erkrankung zu unterscheiden „dass uns hier die Thatsache der Wiederkehr allein nicht helfen kann, liegt auf der Hand; wir müssten ja sonst unter Umständen 30 und mehr Jahre warten, bis wir unserer Diagnose gewiss wären“. Lange völlig symptomfreie Intervalle waren und sind also die Regel und nicht die Ausnahme, auch wenn sich die klinische Psychiatrie aus einsichtigem Grund nur für die Krankheitsphasen interessiert.

KRAEPELIN fährt fort „Die einzelnen Anfälle des manisch-depressiven Irreseins sind, wie schon aus der klinischen Schilderung hervorgeht, untereinander nicht gleich, sondern können sich recht unterschiedlich gestalten“. In der englischen Ausgabe (KRAEPELIN 1921) zeigt er viele handgezeichnete Verläufe, alle mit vieljährigen symptomfreien Intervallen.

Niemals später wurde das Krankheitsbild so genau beschrieben; auch hat sich an diesem Kenntnisstand bis heute nicht viel geändert. So kommt die deutsche WIKIPEDIA zu dem Schluss „Zwischen diesen Episoden kehrt der Betroffene in der Regel immer in einen unauffälligen Normalzustand zurück.“

Das fasst korrekt den aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand zusammen, wiedergegeben in einer Übersicht in der britischen Ärztezeitschrift Lancet (GRANDE 2016): “recurrence is normal“. Leider sind aber Studien wegen der geringen Fallzahlen und den doch sehr individuellen Verläufen nur bedingt auswertbar. Eine Längsschnittstudie an 160 Patienten mit Bipolar I Erkrankungen (ANGST 2003) zeigt, dass 81% der Lebenszeit die Patienten symptomfrei waren. Symptomfreier Zustand ist also die Norm, selbst wenn es ausnahmsweise individuelle Verläufe gibt, welche nicht in dieses Raster fallen.

Und auch wenn Patienten in der symptomfreien Zeit voll arbeitsfähig sind, kommt die deutsche Leitlinie (PFENNING 2013) zu dem bedrückenden Schluss „Bipolare Störungen sind jedoch mit einem hohen Maß an Arbeits- oder gar Erwerbsminderung- bzw. unfähigkeit und vorzeitiger Berentung assoziiert, was für die Betroffenen bedrückend ist, eine adäquate Teilhabe verhindert und wiederum den Erkrankungsverlauf negativ beeinflussen kann“.

Die Gründe dafür sind vielgestaltig, ein Hauptgrund ist sicherlich der geringe Kenntnisstand deutscher Gerichte, die weder den episodischen Charakter der Bipolar I Störung verstehen, noch dass es auf den individuellen Krankheitsverlauf ankommt.

Literatur

http://www.lundbeck.com/de/gehirnerkrankungen/psychosen/bipolar-i-stoerung

Kraepelin, E.: Psychiatrie. Ein Lehrbuch für Studirende und Aerzte . Sechste, vollständig umgearbeitete Auflage. 2 Bde. Leipzig: J. A. Barth 1899, S.405

Manic-depressive insanity and paranoia. Kraepelin, Emil Manic-depressive illness, Paranoia, Psychiatry E. & S. Livingstone, Edinburgh 1921, S.147

https://de.wikipedia.org/wiki/Bipolare_Störung

Bipolar disorder. Grande I, Berk M, Birmaher B, Vieta E. Lancet. 2016 Apr 9;387(10027):1561-72. doi: 10.1016/S0140-6736(15)00241-X

Recurrence of bipolar disorders and major depression. A life-long perspective. Angst J, Gamma A, Sellaro R, Lavori PW, Zhang H. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci. 2003 Oct;253(5):236-40

The diagnosis and treatment of bipolar disorder: Recommendations from the current s3 guideline. Pfennig A1, Bschor T, Falkai P, Bauer M. Dtsch Arztebl Int. 2013 Feb;110(6):92-100