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Politische Meinung: Umso überzeugter umso geringer das Wissen

Epidemiologie hat eher wenig mit Politik zu tun, obwohl politische Überzeugungen unstrittig mit den Lebensumständen zusammenhängen. Um so mehr war ich doch überrascht, wie sehr die individuelle politische Einstellung bei COVID-19 die Infektionsraten und damit auch die Mortalität beeinflusst hat – siehe unsere Studie in ZRex, die es vor 3 Tagen nun sogar in den Bundestag geschafft hat.

Überrascht bin ich nun auch von einer neuen Studie in Sci Rep die politisches bzw historisches Wissen mit politischer Ausrichtung in Zusammenhang bringt.

Contrary to the dominant perspective, we found no evidence that people at the political extremes are the most knowledgeable about politics. Rather, the most common pattern was a fourth- degree polynomial association in which those who are moderately left-wing and right-wing are more knowledgeable than people at the extremes and center of the political spectrum.

Je extremer die Überzeugung um so weniger Ahnung? Das stimmt nur begrenzt für Deutschland obwohl es ein neuer SZ Artikel so vermuten lässt

Am besten informiert waren jene, die moderat nach links oder rechts tendierten. Ganz in der Mitte des politischen Flusses beobachteten die Forscher eine kleine Untiefe, auch hier war das Wissen eher flach.

Damit ist die arme Grafik des Artikels überinterpretiert.

Die Unterschiede sind allenfalls grenzwertig auf 0.05 Niveau signifikant, wobei auch fraglich ist ob denn die 0.05 Punkte Wissenszuwachs überhaupt relevant sind.

In anderen Ländern sieht die Situation allerdings komplett anders aus…

Querdenken

Es gibt bisher wenig gute Erklärungen der Querdenken Bewegung.

Warum verfallen Menschen auf bestimmte  Meinungen? Und was unterscheidet sie zum Beispiel von den wahnhaften Störungen in der Psychiatrie oder aber auch von Fehlschlüssen in der Wissenschaft? Irgendwie scheint sich doch alles auf einem Kontinuum zu bewegen?

Bei dem Versuch einer Antwort folge ich dabei mehr oder weniger dem Psychiater Manfred Lütz, der auch nicht viel auf unsere psychiatrischen Diagnosen gibt, da sie nur Hilfskonstruktionen sind die nur einem Zweck dienen, nämlich Menschen medizinisch zu helfen (S.32ff)

Manfred Lütz. Irre! – Wir behandeln die Falschen: Unser Problem sind die Normalen. Goldmann 2019.

Unbestrittenes Kennzeichen des Wahns ist jedenfalls die Unfähigkeit, die Perspektive zu wechseln.  Mit dieser Definition gelingen nun auch die Unterscheidungen: So sind Psychotiker und Querdenker beide unfähig, die Perspektive zu wechseln, während das den meisten Wissenschaftlern aber möglich sein sollte.

Psychotiker leiden unter dieser Unfähigkeit (zumindest im symptomfreien Intervall) während Querdenker darüber in ihrer Gemeinschaftserfahrung Bestätigung erfahren. Die “self enforcing loops” bei der Psychose sind wohl hirnorganisch  bedingt, während sie bei Querdenker eher sekundär und erlebnisreaktiv sind. Die Ideenwelt der Psychose ist kreativ, während Querdenker kaum zu neuen oder innovative Ideen in der Lage sind.

Dennoch: Querdenken sollte  nicht pathologisiert werden – Labels helfen nicht, sie verstärken nur eher den Zusammenhalt der Gruppe. Mit Wegfall von Youtube und Telegram würde die Bewegung wohl in sich zusammen fallen. Da dies nicht passierte, sucht sie sich neue Ziele etwa Russland.

Im selbst gewählten Asyl ist es dann aber mit dem Gemeinschaftserlebnis vorbei, so auch bei den zwei prominentesten Ärzteaccounts diese Woche zu sehen.

Bodo Schiffmann https://twitter.com/Tzerberus1/status/1589185591127977984
Carola Javid Kistel https://twitter.com/Alemanniel/status/1589318971769196551