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Zum Gewaltpotential der christlichen Religion

2012 hat Papst Benedikt XVI. in der Weihnachtsansprache gesagt

dass in der Geschichte der Monotheismus als Vorwand für Intoleranz und Gewalt gedient hat. Wahr ist, dass Religion erkranken und so sich ihrem tieferen Wesen entgegenstellen kann, wenn der Mensch meint, selbst die Sache Gottes in die Hand nehmen zu müssen, und so Gott zu seinem Privateigentum macht.

Die brutale Seite der Religionen wird einem bald jeden Tag vor Augen geführt. Das ist aber beileibe nicht nur ein Problem des Judentums oder des Islam, es ist auch ein bestürzendes Problem des Christentums.
Im Rahmen einer Studie über Wahn und Religion habe ich diverse Beispiele gefunden, darunter auch Karl K., der “Jesus von Ratzeburg”. Er hat im Streit über den Lebenswandel seinem 22-jährigen Sohn Thomas ein Küchenmesser in den Rücken gestoßen  (und verbüßt dafür nun eine lebenslängliche Freiheitsstrafe ). Herr K. liess mir heute über die Staatsanwaltschaft ausrichten, dass er sich nicht mit mir unterhalten will. Das ist bemerkenswert, da er ansonsten doch alle Menschen missionieren wollte. Seine Begründung jedenfalls war

es steht geschrieben: Wer zurücksieht, ist nicht geeignet für das Reich Gottes.

Er bezieht sich dabei auf eines der wenigen, in der Tat radikalen Jesusworte aus dem Lukasevangelium: “Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt zum Reich Gottes“.
Die Absage von Herrn K.  soll wohl heissen, dass seine ansonsten gerade gezogene Furche krumm wird, wenn er in einem Interview zurückschaut. Auch die Satzeinleitung ist bezeichnend, nach Kant (Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft)

verschlägt nichts wider den alle Einwürfe niederschlagenden Machtanspruch: da steht’s geschrieben

Wie wenig Einsicht doch aus diesem einen Satz spricht, oder wie Benedikt es sagen würde, wie krank ist doch die Religion dieses Mannes, der selbst die “Sache Gottes” in die Hand genommen hat.
Aber kann man nun dieses Verhalten nun dem Christentum anlasten oder sind es sind es ganz einfach bestimmte Persönlichkeiten, die sich die Religion als Spielwiese, oder sagen wir besser als Schlachtfeld für ihren Fanatismus aussuchen?
Die Begründung des eigenen Handelns – von einem liberalen Protestantismus, über den reaktionären Pietismus bei  Rudolf Ebertshäuser, Wolfgang Bühne, Stephan Holzhaus, Wolfgang Nestvogel,  bis hinab zu dem Straftäter Karl K. – wird dabei von derselben Bibel abgeleitet. Erstaunlich, oder?
Aus dieser Tatsache ergibt sich zwingend, daß die Texte der Bibel vieldeutig sind — nur im Zusammenhang mit dem  Urheber und dem Adressaten und oft auch nur aus der jeweiligen Epoche verstehbar.

Wenn aber auch die Bibel nicht irren kann, so könnte doch ein Ausleger derselben in verschiedener Weise irren.

schreibt Galileo Galilei an Piero Dini vom Mai 1615. Eine göttliche Eingebung hätte keine missverständliche Formulierungen im textus receptus oder Aland zugelassen, keinen variablen Kanon, Abschreib- oder Übersetzungsfehler.

Aber so kann sich der Fanatiker Karl K. aus einem riesigen Vorrat von Erzählweisheiten genau das heraussuchen, was ihm passt — Abram hätte schliesslich auch seinen Sohn Isaak geopfert “Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen” wenn auch nur in einer Erzähltradition aus dem 2. Jahrtausend v. Chr.

Dagegen würde jeder andere evangelische oder katholische Christ das 5. Gebot halten oder besser noch die wiederholte Anweisung (Eph 6,4 und Kol 3,21) “Ihr Väter, reizt eure Kinder nicht zum Zorn”. Die Liebe (nicht die Toleranz) war zumindest eine urchristliche Tugend “Die Liebe erträgt alles” (1.Kor 13,7) oder “einer trage des andern Lasten” (Gal 6,2).

Wo der christliche Glaube aber nur noch zu einer fundamentalistischen Bücherverehrung wird, wo er die Verbindung zu den Kirchen, der Kultur, der Politik, der Wissenschaft und den Rest der Gesellschaft abschneidet, da ist das Missbrauchspotential auch im Christentum zu menschenverachtenden, mordenden Aktionen erschreckend da. Das Risiko ist vielleicht nicht so hoch, wie in anderen monotheistischen Regionen, da die christliche Soziallehre eigentlich klare Schranken aufweist. Die Situation wird aber auch hier jederzeit brandgefährlich, wenn bedingungslose Hingabe gefordert wird, die Aufgabe des Ichs wie von Ignatius überliefert

Wir müssen immer festhalten, um in allem das Rechte zu treffen: Von dem Weißen, das ich sehe, glauben, dass es schwarz ist, wenn die hierarchische Kirche es so bestimmt, ….

Christlicher Fundamentalismus und islamischer Fanatismus haben etymologisch nur wenig gemeinsam (Fundus ist der Grund und Fatum der Tempel), aber inhaltlich bauen sie aufeinander auf, der Tempel auf dem Grund, wie der Fanatismus auf dem Fundamentalismus.