Ihr Wittenberg ist Kairo

Oft fiel in den letzten Wochen das Argument, der Islam bräuchte auch eine Reformation, einen neuen Luther (FAZ, Welt, ZEIT). Das Argument ist allerdings nicht übermässig originell. Die Reformation war zwar langfristig gesehen ein Modernisierungsschub aber

Die lutherische und reformierte Orthodoxie der Voraufklärung war kein Deut freiheitlicher als die Lehre ihre katholischen Kollegen. Im Gegenteil: Der Altprotestantismus der Reformatoren war im Kern reaktionär, ging es doch um die Erneuerung der ursprünglichen Botschaft des Evangeliums und eine Rückbesinnung auf die Kernbestände des christlichen Glaubens – gegen jede weltliche und historisch bedingte angebliche Verformung der biblischen Botschaft.

Der IS Krieg hat zudem wenig mit den “fortschrittlichen” Bauernkriegern gemein, er ist ein letztendlich gegen den Islam selbst gewandter Fundamentalismus.

Ursprünglich unpolitisches salafistisches Gedankengut verschmolz im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts mit Positionen der ägyptischen Muslimbrüder, die Gottes direkte Herrschaft in Form seines Gesetzes einforderten und bewaffnete Aufstände gegen die ungläubigen, repressiven Regierungen in der arabischen Welt propagierten.

Eine Reformbewegung im Islam gibt es längst, die Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ). Oder um nochmal Cicero zu zitieren:

So bitter es klingen mag: Der Islam braucht keine Reformation, seine Reformation ist im vollen Gange. Ihr Wittenberg ist Kairo, ihr Luther heißt Hassan al-Banna, ihr Calvin Sayyid Qutb und ihr Thomas Müntzer Abu Bakr al-Baghdadi … Erst die Aufklärung hat den Protestantismus zum Bannerträger der Moderne, von historisch-kritischer Forschung und nüchterner wissenschaftlicher Analyse geformt.