Bildung und Freiheit

Das neue Laborjournal hat rechtzeitig zum 25. Geburtstag eine ganze Reihe interessanter Artikel – herzlicher Glückwunsch!

Ein buntes Allerlei, unter welch prekären Bedingungen fetales Kälberserum gewonnen wird (Lindl), zur Spezifität von Antikörpern (Odenwald), RNA Editierung (Stafforst) hin zu mehr theoretischen Essays, wie man Tierversuchsgegegner überzeugt (Grüninger), Überleben einer Doktorandin in der Replikationskrise (Tkotz), hin zur Großwetterlage der Biotechlandschaft (Heinrich). Überzeugend vor allem das Plädoyer der Genommedizin, nicht komplett den Anschluss zu verlieren Krawczak) in der Neuaufstellung der Medizin (Kroemer). Ebenfalls gut beobachtet: die Unfähigkeit der Protagonisten und Defizite des Wissenschaftsjournalismus in der NO2 Diskussion (Günther). Drei der Essays sind aber besonders herausragend:
Bildung und Freiheit (Pfeilschifter)
Disruption der Forschungsförderung (Heller, Rümpel)
Metrik-Wahn (Morgenstern)
Eigentlich ist ja nichts daran wirklich neu, aber so konkret auf den Punkt gebracht, sind die Essays im deutschen Sprachraum einzigartig.
Freiheit wird meist nur im Kontext einer grundgesetzlich garantierten Forschungsfreiheit zitiert, meist nur salbungsvoll an hohen Festtagen. Pfeilschifter und Wicht zitieren Adorno (dessen 50. Todestag sich gerade jährt)

… in seiner ätzenden „Kritik der Halbbildung” von 1959 [schreibt]: „Das einzige Maß des heutigen Schlechten ist das frühere.” So geht das, gut negativ- dialektisch. Natürlich war früher nicht alles besser, sondern nur anders schlecht …
Karl Jaspers besitzt noch 1946 die – aus heutiger Sicht – Frechheit, gleich dreien der vier klassischen universitären Fakultäten das wissenschaftliche Fundament abzusprechen, indem sie nicht frei seien, sondern Zwecken dienten. Zweck der Medizin sei das Leibeswohl, das der Theologie das Seelenheil, der Zweck der Juristerei sei es, ein wohlgeordnetes Staatswesen mit Rechtsexperten zu versehen – einzig die philosophische Fakultät sei zweckfrei, und daher rein wissenschaftlich. Jenseits des Zwecks aber – was ist das, diese akademische Freiheit? Erneut Jaspers, krass formuliert und ex negativo gedacht: Es ist auch die Freiheit des Scheiterns. Man muss scheitern können. Als Forscher. Als Student. Heutzutage jedoch – Studierbarkeit, Minimierung der Abbrecherquoten, alle möglichen staatlichen Eingriffe, mit dem Ziel: jedem sein Zertifikat. Die Scheiternsquote im Medizinstudium liegt bei weniger als zehn Prozent. Ist ein Studium, das jeder bestehen muss, noch frei? Ist ein Forscher, in dessen Zielvereinbarung soundso viele Impact- Punkte stehen, noch frei?

Noch detaillierter Ihre Kritik dann am Ende

Universitäten sind keine Nivellierungs-, sondern Differenzmaschinen, das ganze Bildungssystem ist eine. Natürlich ist Chancengleichheit herzustellen. Aber ebenso, wie der Satz „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich” (Artikel 3 des Grundgesetzes) nicht besagt, dass alle Menschen gleich seien, sondern vielmehr sogar impliziert, dass das Gesetz sie ungleich macht, indem es sie in die scheidet, die ihm genügen, und jene, die es übertreten, so tritt der Mensch auch nicht vor seine Bildungsmöglichkeiten, um gleichgemacht zu werden, sondern um zu erfahren, wer er sei, was sein empirischer Charakter sei. Wer alle überallhin inkludierend mitnehmen will, leugnet die Individuation, es ist vielmehr ein totalitäres Unterfangen.

Heller und Rümpel beschreiben in dem folgenden Essay den Versuch, die Forschungsförderung von Output auf Outcome Orientierung umzustellen und – das wusste ich nicht – dass es die partielle Lotterie bei der Volkswagenstiftung schon gibt.

Morgenstern findet die Idee, wissenschaftliche Leistung quantitativ zu bewerten, merkwürdig. Man kann ja nur gleiche Merkmale miteinander vergleichen und was ist bei Forschung schon ein gleiches Merkmal?

Welche gemeinsame messbare Eigenschaft aber können verschiedene wissenschaftliche Leistungen haben? Ein wissenschaftliches Ergebnis ist seiner Natur nach etwas prinzipiell Neues – jedenfalls dann, wenn es um Wissenschaft im eigentlichen Sinn geht, also um Grundlagenforschung. Dass Entdeckung A doppelt so gut oder doppelt so groß wäre wie Entdeckung B – ein solcher quantitativer Vergleich wäre selbst innerhalb einer wissenschaftlichen Teildisziplin absurd, und erst recht zwischen verschiedenen Disziplinen. So, wie sich die Resultate verschiedener wissenschaftlicher Tätigkeiten nicht zahlenmäßig vergleichen lassen, weil sie eben kein gleiches Merkmal haben, das sich messen ließe, so lassen sich auch die Forschungsleistungen nicht quantitativ vergleichen, die diese – grundsätzlich nicht vergleichbaren – Resultate zustande bringen. Der Versuch, wissenschaftliche Leistungen quantitativ zu messen, ist daher ziemlich widersinnig…
Auch hier gehen die zuständigen staatlichen Stellen offenbar davon aus, dass niemand irgendetwas aus eigenem Antrieb tun würde – womöglich aus Interesse an der Sache, oder weil man ihre Notwendigkeit einsehen würde. So sind Wissenschaftspolitiker darauf verfallen, Forschungsmittel nicht mehr einfach zur Verfügung zu stellen, sondern Systeme von Belohnungen und Schikanen einzuführen, um Forschende und Lehrende ordentlich auf Trab zu bringen – von selbst tun diese Faulpelze ja nichts.