Repressive Toleranz

Aus einem alten, aber längst nicht überholten Beitrag im Deutschlandfunk

Toleranz ist ja in offenen Gesellschaften – in der Theorie – eine Selbstverständlichkeit. […] Vor diesem Hintergrund brandmarkte der Philosoph Herbert Marcuse die „repressive Toleranz“. Oft sei die gefeierte Toleranz in Wahrheit blanke Parteilichkeit im Sinne der Mehrheitsmeinung. So oder so gilt: Die natürliche Grenze jeder Toleranz ist die Intoleranz. In Thomas Manns Zauberberg heißt es: „Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt.“ Und Umberto Eco forderte: „Um tolerant zu sein, muss man die Grenzen dessen festlegen, was nicht mehr tolerierbar ist.“
Als Weichspüler wäre Toleranz in konfliktreicher Zeit in der Tat verschenkt. Wer tolerant sein will, muss die Menschenrechte der Andersdenkenden achten – aber keineswegs jede Überzeugung dulden. Im Gegenteil. Toleranz ist die Lizenz zum zivilisierten Konflikt. Sie ist nicht so sehr ein Wert in sich, sondern die Grundlage, auf der man um Werte streitet.