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Ralf Frisch und sein “Fuck you Greta” Artikel auf Zeitzeichen

Sogar Amazon hatte ein Einsehen und entfernte die unsäglichen Greta Aufkleber von der Webseite, nachdem Timo Stein den US Konzern darauf aufmerksam gemacht hatte. Auch der europäische Gerichtshof kennt kein Pardon mit dieser Art von beleidigenden Sprüchen. Ganz im Gegensatz dazu hat Ralf Frisch, evangelischer Theologe aus Nürnberg, Ex-Militärdekan, Science fiction Fan, keine Hemmungen, sich über die letzten drei Aufkleber auszulassen, die er noch bei Amazon ergattern konnte. Alles im Detail nachzulesen auf www.zeitzeichen.de/node 7759.

Was soll man dazu sagen? Ein evangelischer Theologe als Klimatroll? Gedruckt von einem Magazin, bei dem der EKD Ratspräsident Herausgeber ist? Rainer Oechslen hatte Frisch schon früher als Populist bezeichnet, auch das Resume von Karl Eberlein  war wenig wohlwollend. Und nun – ein 49jährige Mann, der sich an einem 16jährigen Mädchen abarbeitet? Allerdings nur platonisch, denn der Ausspruch “Fick Dich” ist für ihn eine Geste “frei von jeglicher sexuellen Konnotation”. “Darf ich?”,  “Könnte ich”,  “Nehmen wir an”, “Mit dem Gedanken spielen” – der ganze Artikel scheint in der Angst redigiert worden zu sein, wie denn eine Staatsanwaltschaft Nürnberg das wohl rezipieren könnte.

Frisch ist ja generell der Meinung, die evangelische Kirche sei im dauerhaften Zustand der Verblendung. Sein eigenes Credo am Fahrzeugheck „Unterwegs im Auftrag des Herrn“ ist allerdings mehr Tote-Hosen-Klamauk als echtes Glaubensbekenntnis. Jedenfalls hat er keine Berührungsängste mit den klassischen Argumenten der rechten Szene “man wird das ja mal noch sagen dürfen”. Im Original liest sich das dann so:

Und so erlaube ich mir an dieser Stelle anzumerken, ob nicht auch und gerade das Feld des Klimaschutzes ein Ort für jene theologisch gebotene Ideologiekritik sein könnte.

Wieder so ein “könnte”. Und was ist schon t h e o l o g i s c h geboten, frei nach Anaïs Nin “we don’t see things as they are, we see them as we are”?

Aber nun sapere aude geschieht ein Wunder direkt vor unseren Augen: Ein Theologe, Experte für Glauben und Jenseitiges, befindet sich in der Metamorphose zum Experten für Fakten und Diesseitiges. Dabei lässt er keine Peinlichkeit aus, geriert sich auch noch als warmherziger Fürsprecher von AfD Wählern. Das ist entgegen jeder anderslautenden Beteuerung die permanente Provokation des Artikels, um über Nürnberg hinaus etwas Aufmerksamkeit zu bekommen.

Demokratie wird als “Kompromisserzeugungsmaschinerie” verhöhnt, Frisch schwafelt von “Ökodiktatur”und “sogenanntem” herrschaftsfreien gesellschaftlichen Dialog. Greta Thunberg wird als “Jeanne d’Arc” oder “Prophetin” gehänselt – ist das aus Compact, der Sezession oder einer sonstigen rechten Postille abgeschrieben? Der “totaler Verdacht” hört sich auch mehr nach Nazirhetorik an und wer immer noch Zweifel hat: Die Greta Aufkleber wurden im Sortiment mit Stickern wie “Lieber Kernkraft als Flüchtlingsstrom” verkauft.

Jede Kritik wird vorsorglich schon mal als intolerant gebrandmarkt – Frisch gibt ja schliesslich laut Homepage auch “Rhetoriktrainings für Menschen, die etwas zu sagen haben”. Leugnet er nun die Klimaänderung? Ich bin mir nicht sicher. Einerseits räumt er ein, dass sich der Tanker der “biosphäregefährdeten Zivilisation” zu wenden habe, andererseits redet er von “kognitiver Dissonanz”, “Wutbürgertum”, “Klimaschutzsemantik”, “Szenario”,  “neuer Glaube” und “Klimahysterie”. Ziehen wir einen Strich und addieren auf,  dann ist Frisch ohne Zweifel Klima(wandel)leugner.

Habermas ging in seiner Friedenspreisrede auf die Reflexion der Gläubigen zu ihrer Stellung in einer pluralistischen Gesellschaft ein.

Das religiöse Bewusstsein muss erstens die kognitiv dissonante Begegnung mit anderen Konfessionen und anderen Religionen verarbeiten. Es muss sich zweitens auf die Autorität von Wissenschaften einstellen, die das gesellschaftliche Monopol an Weltwissen innehaben. Schließlich muss es sich auf die Prämissen des Verfassungsstaates einlassen, die sich aus einer profanen Moral begründen. Ohne diesen Reflexionsschub entfalten die Monotheismen in rücksichtslos modernisierten Gesellschaften ein destruktives Potenzial.

Dieses destruktive Potential ist offensichtlich da.

Aber schauen wir uns die theologischen Aussagen an. Frisch meint, im Windschatten Karl Barths unterwegs zu sein. Angeblich hätte Karl Barth im ersten Band seiner „Kirchlichen Dogmatik“ Häresie als Unglaube in Gestalt des Glaubens definiert. Nur, Originalzitat Barth,

Wir verstehen unter Häresie eine solche Gestalt des christlichen Glaubens, der wir zwar formell (weil auch sie sich auf Jesus Christus, auf seine Kirche, auf die Taufe, auf die Heilige Schrift, auf gemeinsame christliche Bekenntnis-formeln usw. bezieht) ihre Eigenschaft als Gestalt des christlichen Glaubens nicht abstreiten können, ohne doch in der Lage zu sein, zu verstehen, was wir damit tun, wenn wir sie als solche anerkennen, weil wir ihren Inhalt (die in ihr stattfindende Interpretation dieser gemeinsamen Voraussetzungen) nur als Widerspruch gegen den Glauben verstehen können.

ist Häresie eine systemimmanente Abweichung (“im engeren Sinn eine Aussage oder Lehre, die im Widerspruch zu kirchlich-religiösen Glaubensgrundsätzen steht”). Eine physikalische Beschreibung der Erdatmosphäre fällt aber nicht wirklich in die “Gestalt des christlichen Glaubens”, sie ist ohne Zweifel der Physik zuzuordnen. Es ist – und das mein eigentlicher Einwand gegen Frisch – kein neuer Glaube, sondern eine wissenschaftliche Erkenntnis. Diese Erkenntnis hätte er überall nachlesen können, ein einziger populärwissenschaftlichen Artikel hätte gereicht. Mit den Worten von Hannah Arendt “Der wohl hervorstechendste und auch erschreckendste Aspekt der deutschen Realitätsflucht liegt in der Haltung, mit Tatsachen so umzugehen, als handele es sich um bloße Meinungen.”

https://www.jetzt.de/glotzen/klimaaktivistin-greta-thunberg-in-der-daily-show-mit-trevor-noah

So wirft sein Elaborat dann auch kein “erhellendes Licht” auf die theologische Problematik, sondern zeigt nur, dass er nicht mal korrekt zitieren kann. Kann Barth wirklich als Legitimation für Kritik an Fridays for Future herhalten? Barth, der die theoretische Grundlage “für den Widerspruch gegen Krisenphänomene der Moderne wie wirtschaftliche Ungleichheit, völkische und nationalsozialistische Ideologie und atomares Wettrüsten” gelegt hat wie kein anderer?

Die “malträtierte Welt gelassen und heiter der Fügung und Vorsehung Gottes überlassen”, er wird sich schon erbarmen? Auschwitz spricht dagegen, wenn sich Gott nicht mal seines auserwählten Volkes erbarmt.

Der Auftrag an Adam war im übrigen Bewahren der Schöpfung und nicht Zerstörung. Und selbst Paulus weiss: was ein Mensch sät, das wird er auch ernten. Oder ist das alles sowieso egal, da  mit den evangelikalen Untergangsbeschwörern die Endzeit nun angebrochen ist, in der Himmel und Erde vergehen werden? Frisch’s Unterscheidung von “vorletzten” und “letzten” Dingen und die Unterscheidung der zwei Regimenter erinnert fatalerweise auch an die „christliche Weltflucht“ des deutschen Luthertums. Barth jedenfalls hielt nichts von der Zwei Reiche Lehre, Frisch ist nicht im Windschatten, sondern in der Abluft unterwegs.

Dabei würde ich das Thema nicht einmal Barth, sondern eher Bonhoeffers Ethik zuordnen, der die Spannung von Vorletztem und Letztem als extreme Formen beschreibt, aber weder die „radikale“ Lösung (mit Christus als Feind des Vorletzten und  Gott als letztem Richter) noch die “Kompromiss”-Lösung (das Letzte als metaphysischer Glaubensinhalt und Gott als Schöpfer) akzeptieren kann.

Beide Lösungen sind in gleicher Weise extrem und enthalten in gleicher Weise wahres und falsches… Beides sind unerlaubte Verabsolutierungen an sich gleich richtiger und notwendiger Gedanken. Die radikale Lösung denkt vom Ende aller Dinge, von Gott dem Richter und Erlöser, her, die Kompromißlösung denkt vom Schöpfer und Erhalter her; die einen setzen das Ende absolut, die anderen das Bestehende. So gerät Schöpfung und Erlösung, Zeit und Ewigkeit in einen unauslösbaren Widerstreit, und so wird die Einheit Gottes selbst aufgelöst, der Glaube an Gott zerbricht.

Ralf Frisch bleibt in seiner Argumentation davon unangefochten – frei nach Wittgenstein “daß die Sonne morgen aufgehen wird, ist auch nur eine Hypothese”. Irgendwann geht ihm aber dann bei seinem “Spiel mit dem Feuer” doch der Mut aus. Zeitzeichen hat in einem Postskriptum schon eingeräumt, daß der Text zunächst mit anderer Überschrift und in einer anderer Fassung erschien. (Zeitzeichen befasst sich ansonsten gerade mit Heidi Klums Hochzeit und hat mich auf den Autor verwiesen, der aber nicht geantwortet hat. Weder bei archive.org, idea.de und kath.net war die zuerst veröffentlichte Version zu bekommen).

Das ist vielleicht auch besser so. Bleibt nur noch die Frage zu klären, warum denn überhaupt diesen Text kommentieren. Wäre nicht besser gewesen, ihn zu ignorieren? Frisch ist in Tateinheit auch noch theologischer Referent der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Würde sein Beitrag ohne Widerspruch bleiben, wäre das ein triftiger Austrittsgrund. Zweitens gibt es in der evangelischen Kirche noch sehr viel mehr narzisstisch gekränkte ältere Männer. Nach Ferdinand Otto ist der anthropogen verursachte Klimawandel nun bereits die vierte Attacke auf ihr Weltbild.

So sei das schon gelaufen, als Nikolaus Kopernikus herausfand, dass sich die Erde um die Sonne dreht – seinerzeit eine Ungeheuerlichkeit. Charles Darwin konfrontierte seine Zeitgenossen dann mit der Tatsache, dass der Mensch nicht Gottes Ebenbild ist, sondern ein hochentwickelter, haarloser Affe. Die dritte Kränkung des Menschen schließlich machte sich der Wiener Psychoanalytiker ganz unbescheiden selbst zu eigen: Die Erkenntnis nämlich, dass der Mensch nicht einmal Herr über sich selbst ist, dass da nämlich noch Es und Über-Ich unter unserem Bewusstsein schlummern.

Für manche Christen ist die vierte Kränkung besonders schmerzhaft – der Mensch, obwohl “Krone der Schöpfung”, ist offensichtlich so wenig intelligent, dass er nun die Schöpfung vernichtet.

 

 

Addendum 7.9.2019

chb = Christoph Breit  hat unter dem Account der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern am 16.8.19 den Frisch Artikel auf Facebook verbreitet. Er verlinkt dazu auch noch zu idea, wo 21 der aktuell 25 Kommentare Frisch zustimmen (Die “evangelische Nachrichtenagentur idea” zensiert im übrigen kritische Kommentare, die nicht auf idea Linie liegen).

Screenshot facebook

Ganz im Gegensatz zu der offiziellen Reaktion der ELKB stehen die Anmerkungen der Theologen Mertin und Diebel-Fischer.

Andreas Mertin. Ein Bekenntnis zur Umwelt-Häresie. Not-wendige Anmerkungen zu Ralf Frischs umstrittenen Text zur Klimahysterie. https://zeitzeichen.net/node/7784

Zur Diskurskultur gehört auch, dass man mediale Zuschreibungen nicht den handelnden Figuren zurechnet. Greta Thunberg kann nichts dafür, dass einige Medien sie zur Ikone oder zur Zielscheibe erklärt haben. Sie muss in ihrem Sachanliegen wahrgenommen und diskutiert werden. …Nicht einmal im Ansatz erkenne ich ein Bemühen um ein Verständnis dessen, was Greta Thunberg und die Bewegung „Fridays for Future“ antreibt – ganz im Gegenteil, ich würde es als Hetze bezeichnen. Auch so etwas ist indiskutabel.

Hermann Diebel-Fischer. Theologische Brandstiftung. Ein Kommentar zu Frischs Klimakrisenkritik. https://netzwerktheologie.wordpress.com/2019/08/18/theologische-brandstiftung/ und https://zeitzeichen.net/node/7773

Von Frisch als problematisch Wahrgenommenes wird von ihm zur Religion theologisiert und dann zur Häresie erklärt. Das ist eine perfide Abwehrstrategie, die man sich genauer ansehen muss. Sie dürfte politisch nicht neu sein und lässt protestantismustheoretisch alle Alarmglocken ob einer unbotmäßigen Inanspruchnahme theologischer Topoi schrillen.
Ein dritter Theologe meint, er sei Schiedsrichter: Stephan Schaede. Sine ira et studio. Zu Ralf Frischs Klimahäresie-Vorwurf und seinen Kritikern. https://zeitzeichen.net/node/7815

Die Gewissheit dieser Bewegung ist eine weltliche. Sie ist insofern für geistliche Kontexte ein immer nur tönerner Gewissheitsproduzent…

Also noch ein Irrlicht. Und was meint die säkulare Presse?

Thomas Assheuer in dieser Woche: “der Teufel trägt Öko

In tiefer Sorge um die Freiheit blicken viele konservative Geister auf grüne Politiker, sie warnen vor Buß- und Wanderpredigern, vor klimareligiösen Selbsterlösern und Menschen, die es genießen, das Genießen zu verbieten.

Matthias Drobinski “der Protest hat eigene Rituale entwickelt

Eine säkulare Klimareligion sei da entstanden, sagen vor allem jene, denen das alles zu weit geht, die gar behaupten, es gäbe kein Problem mit dem Klima – und wer in der Welt nasse Füße bekomme, solle halt die Beine hochziehen. Das ist infam, weil es die Erkenntnis der Wissenschaftler, dass die Erderwärmung menschengemacht und menschheitsgefährdend ist, in den Bereich des Irrationalen verlagert: Kann man glauben oder nicht, was die Klimapfaffen predigen. Es gibt aber trotzdem eine säkularreligiöse Dimension der Klimaproteste, die man diskutieren kann.

Andreas Mertin “Vom Elend heutiger Theologie” Theomag 2019; 120

Ich nenne das, was hier von Ralf Frisch zelebriert wird, die intellektuelle Verwahrlosung deutscher Theologie… Man muss sich das wirklich einmal vor Augen halten: am Anfang des 21. Jahrhunderts bezeichnet ein lutherischer Theologe eine junge Klima-Aktivistin zumindest sprichwörtlich als Teufel.

Bei Twitter herrscht mehr die Fassungslosigkeit vor.

 

Addendum 15.1.2020

Selbst der nachträglich revidierte Titel “Zwischen Klimahysterie und Klimahäresie” enthält noch das Umwort des Jahres 2019.

 

Addendum 9.1.2022

Auf Zeitzeichen ein sehr schöner Beitrag von Constantin Groehn “Verschwörungstheorien im Mantel theologischer Reflexion?