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Corona als Strafe Gottes?

Allein die Frage ist schon reichlich schräg.

Für den Menschen der Antike war der Zusammenhang allerdings klar: Auf jede Gesetzesübertretung folgt Strafe. So etwa die Abschiedsreden des Mose an das versammelte Volk Israel, das sich gerade auf die Überquerung des Jordan vorbereitete

Wenn du aber nicht gehorchen wirst der Stimme des Herrrn, deines Gottes, und wirst nicht halten und tun alle seine Gebote und Rechte, die ich dir heute gebiete, so werden alle diese Flüche über dich kommen und dich treffen… Der Herr wird dich schlagen mit ägyptischem Geschwür, Beulen, Krätze und Ausschlag, dass du nicht geheilt werden kannst.

Das Volk wusste, wovon Mose da redete. Denn bei den zehn Plagen in Ägypten, die sie durchgemacht hatten, waren auch die schwarze Blattern dabei, wohl eine besonders schwere Verlaufsform der Pocken (die Plage hatte Mose im übrigen der Quelle nach mit Russpulver erzeugt).

Heute wissen wir, was die Ursache ist. Es sind in der Tat submikroskopisch kleine Partikel. Viren bestehen aber nicht nur aus Kohlenstoff, sondern auch Phosphatsäureresten, Russpulver ist  dennoch nicht schlecht für eine 3000 Jahre alte Beschreibung. Damals wurden solche Gebote den Menschen mit überirdischer Anordnung  überbracht, weil sie sonst nicht durchzusetzen gewesen wären (viele Gebote waren eigentlich nur Regeln des Infektionsschutzes), heute kann sie jeder verstehen, der etwas Verständnis von Wissenschaft hat.

Eines aber ist gleich – die eigenartige Affinitiät des Virus für Menschen in bestimmten Situationen. Was damals als Strafe für die jeweilige Situation angesehen wurde – verbotene Sklaverei, Hurerei, Landdiebstahl – wird heute wieder als Strafe von ultrarechten amerikanischen Evangelikalen gepredigt [1, 2, 3].

For some conservative Evangelical Christian leaders like Jeffress, the frenzy surrounding the spread of coronavirus—an international pandemic according to the World Health Organization—has provided fertile ground for inserting an absolutist religious narrative with an emphasis on punishment. Along with Jeffress, evangelist Rick Wiles called coronavirus a “death angel” sent in retaliation for sin—“God is about to purge a lot of sin off of this planet,” he warned.

Nicht anderes war es schon 1918 bei der Influenza, so Laura Spinney über den berüchtigten Bischof Ballano

On 
30 
September,
 Bishop
 Álvaro
y 
Ballano 
defied 
the 
health authorities by
 ordering
 a
 novena–evening
 prayers
 on
 nine
 consecutive
 days–in
 honour of 
St 
Rocco, 
the
 patron 
saint 
of 
plague
and 
pestilence,
 because
 the 
evil 
that had
 befallen 
Zamoranos
 was
‘due 
to 
our 
sins 
and 
ingratitude,
 for
 which 
the avenging
 arm
 of
 eternal
 justice
 has
 been
 brought
 down
 upon
 us’.

Evangelikale in Deutschland 2020 steht dem nicht nach (genausowenig wie katholische und orthodoxe Hardliner) Corona als Strafe Gottes [1, 2] zu verkünden

Gott kann Sünde nicht ungestraft lassen … vertritt der Dekan am Bibelseminar Bonn, Prof. Friedhelm Jung. Nach seinen Worten werden sowohl im Alten wie im Neuen Testament Epidemien als Strafe Gottes für die Sünden der Menschen gesehen … Doch wer am biblischen Gottesbild festhalte, wisse um die Heiligkeit des Schöpfers, „der (wie eine gerechte Regierung) Sünde nicht ungestraft lassen kann. Weil viele Menschen gottlos und in schweren Sünden leben (Stolz, Lüge, Pornografie, Diebstahl, Homosexualität usw.), schickt Gott Strafen.

(die akademische Bezeichnung “Prof.” stammt im übrigen von einer privaten US Einrichtung in Texas und die akademische Bezeichnungen “Dekan” und “Seminar” von dem eingetragenen Verein eines russlanddeutschen “Bundes taufgesinnter Gemeinden”). Wie geht das nur zusammen, auf der einen Seite Viren als wissenschaftliche molekularbiologische Beschreibung zu akzeptieren, aber die epidemiologische Ausbreitungsdynamik als Strafe anzusehen?

Interessanterweise lässt die Interpretation als Strafe aber nun plötzlich nach, da Corona eine Krankheit ist, die bevorzugt Gottesdienstbesucher von russischstämmigen evangelikalen Gemeinden trifft, nach Frankfurt jetzt auch Bremerhaven.

Es bleibt natürlich das Theodizee Problem, immer wieder und mit jedem neuen Toten. Auch wenn es theologisch üblich ist, dann solche Sachen zu sagen wie

Darum sollten wir vorsichtig sein, die Corona-Pandemie religiös aufzuladen … Dass diese Sinnknoten sich einmal lösen werden –das ist eine der Verheißungen für das Ende aller Zeiten.

Dabei wäre es doch nicht schlecht gewesen, einmal so ein direktes Zeichen vom Himmel, dass Fluggesellschaften nicht ungestraft mit Abgasen das Klima zerstören dürfen genausowenig wie die Automobilkonzerne.

So ein direktes Zeichen vom Himmel, dass Großschlachtereien, die von Menschenhandel und Tierquälerei leben, nun ihre Rechnung bekommen.

So ein direktes Zeichen vom Himmel, dass gottlose brasilianische und amerikanische Präsidenten nun von ihrem Thron gestürzt werden.

Was das mit Religion zu tun hat

Nach den Protesten gestern im Gazastreifen sind 58 Menschen tot und 2800 verletzt. Es ist die Konsequenz aus dem Umzug der amerikanischen Botschaft nach Jerusalem. Die Botschaft wurde, nach allem was wir wissen, aus der evangelikalen Überzeugung heraus verlegt, dass der Geschichte etwas nachgeholfen werden muss. Gottes Wille ist schliesslich die Landnahme Kanaans . Schon 1230 v. Chr. wurde Jericho und Ai gebrandschatzt, Makkeda, Hebron und andere Städte zerstört. Gleich wie die Landnahme vor 3000 Jahren ablief, Eroberung, Penetration, Revolte, die SZ heute sieht eine Ursache des Konfliktes in der religiösen Überzeugung. Die Auseinandersetzung im Gazastreifen ist nur vordergründig ein Konflikt zwischen Juden und Muslime/Schāfiiten; es sind US evangelikale Christen, die hier die Fäden ziehen.

Es gilt aber auch für viele konservative, evangelikale Christen, die eher republikanisch wählen. Sie nehmen die Bibel wörtlich. Wenn dort steht, Israel sei das gelobte Land der Juden, wo dereinst das Tausendjährige Reiches Gottes beginnen wird, dann ist das so. Weltliche Dinge wie die politische und militärische Unterstützung Israels, die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt und der Umzug der Botschaft sind in diesem Milieu religiös eingefärbt … Trump, der nie als besonders frommer Mensch aufgefallen ist, mag das vielleicht früher nicht so genau gewusst haben. Aber man darf annehmen, dass Leute wie Bannon, der immerzu von der “judäo-christlichen” Kultur redet, und Vizepräsident Mike Pence, ein sehr gläubiger Christ, dem Präsidenten die wahltaktische Tragweite des Themas erklärt haben.

Da die Evangelikalen Trump wählten, musste er  jetzt auch etwas für sie tun (“promises made, promises kept”).  Konservative Evangelikale haben ein Faible für tausendjährige Reiche. Es ist die hässliche Kehrseite der monotheistischen Religionen, die Frieden predigen aber Hass, Zerstörung und Vernichtung bringen.

Nachrichten aus der evangelikalen Welt

Dass die katholische Kirche jahrelang pädophile Priester geduldet hat, ist erschütternd.

Nun kam mehr beiläufig heraus, dass auch der Evangeliumsrundfunk ERF in Wetzlar über längere Zeit einen pädophilen Mitarbeiter nicht nur gedeckt, sondern sogar befördert hat.  Auch wenn seit heute morgen die damalige Pressemitteilung des ERF über die Ernennung von Markus M. nicht mehr abrufbar ist (nur noch bei pressesprecher.de und idea. de), so wurde vom ERF stolz die Industrieerfahrung von Markus M. bei Coca-Cola und Microsoft hervorgehoben, Motto ist egal, ob man den Menschen den rechten Glauben oder Coca Cola verkauft. Was die Anschuldigungen angeht, ist es nun Sache der Staatsanwaltschaft, ein Ermittlungsverfahren durchzuführen.

Nicht ganz so egal, ist der Umgang des spendenfinanzierten ERF (15 Million jährlich), wenn er zwei langjährige Mitarbeitern in die Kündigung treibt, weil sie ERF interne Vorgänge recherchiert haben.

Vorstandsvorsitzender von ERF Medien ist Jörg Dechert, ein Physiker, der auf pixelpastor.com als Pseudopastor seine moralischen Werturteile verbreitet. Auf idea Nachfrage will er sich allerdings nicht zu dem aktuellen Fall äußern, da es sich um ein laufendes Verfahren handeln würde. Ist die ganze Welt nicht ein laufendes Verfahren? Und ist ihr letzter Blogeintrag nicht etwas zynisch, Herr Dechert: “Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden”?

Interessant auch das Zitat Dechert in Willow Creek Magazin 3/17 über Bill Hybels “Hier sieht man, wie viel man erreichen kann, wenn man einfach an seiner Überzeugung festhält. Wir brauchen in Deutschland glaubwürdige Organisationen, und Leiter, die das verkörpern und glaubensvoll agieren.” Hybels ist mittlerweile wegen der Anschuldigung sexueller Belästigung zurückgetreten, nachdem er zunächst alles als “flat out lies” bezeichnet hat. Nein, Herr Dechert, solche Organisationen brauchen wir nicht und schon gar nicht solche Leiter.

Nachtrag 19.5.2019

Wie man sein Versagen als positive Eigenschaft verkauft

Die Mitarbeiterin – eine zweifache Mutter, die seit 1990 beim ERF beschäftigt ist – kann ihre Arbeit „in Kürze“ wieder aufnehmen, teilte der Vorstand von ERF Medien in einer Pressemitteilung am 18. Mai mit. Man habe sich entschieden, die Weiterbeschäftigung der Mitarbeiterin „insbesondere als Zeichen christlicher Versöhnung und als Auftakt für eine interne Aufarbeitung zu sehen“, sagte der Vorstandsvorsitzende Jörg Dechert.