Genetische Ausnahmslosigkeit?

Peter Dabrock im Deutschen Ärzteblatt

Die Keimbahn als solche ist nicht sakrosankt. Das mag auf den ersten Eindruck erstaunen, weil viele Menschen die Keimbahn als etwas Besonderes einschätzen. Aber der Mensch geht in seiner Keimbahn nicht auf – das wäre eine ethisch unstatthafte Biologisierung menschlichen Daseins.

Die Keimbahn sakrosankt? Es ist ein klassische Strohmann Argument hier: irgendetwas behaupten, widerlegen und einen Schluss zu ziehen, der nicht gerechtfertigt ist.

Ohne hier einen genetischen Exzeptionalismus zu vertreten, ist die Keimbahn natürlich etwas Besonderes – der individuelle Code des Lebens, der Blueprint von drei Milliarden Basenpaaren anhand derer sich durch einen mehrfach abgesicherten Mechanismen jeder Mensch entwickelt hat. Und zwar indivduell, jeder Mensch einzigartig, als Kind seiner Eltern, das schätzen die meisten Menschen auch völlig richtig ein.

In der Keimbahn geht der Mensch nicht auf, er entwickelt sich daraus. Hier ist dann auch noch Ursache und Wirkung vertauscht, um das vernichtende Argument abzugeben – ethisch unstatthaft – mit entsprechenden Konsequenzen.

Die Menschwerdung ist etwas Besonderes, wie es Karl Eibl es wunderbar einmal beschrieben hat.

Und Gott der HERR machte den Menschen aus einem Erdenkloß, und blies ihm ein den lebendigen Odem in seine Nase. Und also ward der Mensch eine lebendige Seele.” (1. Mose 2,7). Diese alte Geschichte gibt knapp und schmeichelhaft Auskunft über die Stellung des Menschen in der Natur, aber sie wird in der Regel nur am Sonntag erzählt. Die andere, neuere und werktagsgeeignete Geschichte trägt so unangenehm plärrende Titel wie “Der nackte Affe” oder “Der dritte Schimpanse” oder “Von Menschen und anderen Tieren”. Sie hat zwar einige Plausibilität, wenn wir das Verhalten unserer Mitmenschen ansehen, aber uns selbst und ein paar Freunde würden wir gerne ausnehmen, sprechen deshalb lieber von Bewusstsein, Emanzipation von Naturzwängen, Emergenz und ähnlichen schwer definierbaren Kostbarkeiten, die uns letzten Endes doch eine Sonderstellung im Kosmos sichern sollen. Dagegen ist auch gar nichts einzuwenden. Auch der Elefant ist nicht irgendein Dahergelaufener, und wenn er sprechen könnte, würde er uns vielleicht ärgerlich versichern, dass auch er eine Sonderstellung im Kosmos hat. Eigentlich ist jede Gattung oder Art etwas Besonderes, sonst könnten wir sie ja nicht von anderen unterscheiden. Die Frage ist eher, ob das Besondere des Menschen ein besonders Besonderes, ein ganz Anderes ist.