Natürlich kritisieren Wissenschaftler/innen unzulässige politische Einflussnahmen (zuletzt in Deutschland in der Fördermittelaffäre). Und natürlich haben auch Universitäten unterschiedliche politische Ansichten, gerade live zu sehen wo die eine Universität Widerstand zeigt, und die andere einknickt.
Aber dann geht er zur Frage über, was bedeutet das eigentlich, daß die politische Agenda immer mehr die wissenschaftliche Ergebnisse beeinflusst?
Forschung wird von der Politik gerne in eine Richtung gelenkt, die politische Ziele unterstützt, anstatt neutral und faktenbasiert zu bleiben. Die öffentliche und akademische Debatten werden eingeschränkt, dabei werden kritische Stimmen oder abweichende wissenschaftliche Ansichten unterdrückt oder sogar delegitimiert, wenn sie nicht dem vorherrschenden politischen Narrativ entsprechen.
Wenn Finanzierung und Karriere aber von politischer Anpassung ab hängen, dann sind– Forschende zunehmend darauf angewiesen, ihre Arbeiten an politische Erwartungen anzupassen, um Fördergelder und akademische Positionen zu sichern. Die Gefahr dabei: Es wird nicht ohne langfristige Folgen bleiben. Sobald Wissenschaft als politisches Werkzeug wahrgenommen wird, verliert sie die Glaubwürdigkeit und damit das Vertrauen der Gesellschaft und ihre Fähigkeit, objektive Erkenntnisse abzuliefern.
Ein hervorragender Artikel in der ZEIT vom 2.2.2025 von Johannes Böhme erklärt “warum die Welt nach rechts rückt”. Zusammengefasst zunächst
Historische Parallelen. Soziale und wirtschaftliche Umbrüche haben in der Geschichte immer wieder Revolten und populistische Bewegungen hervorgebracht. Die Mechanismen sind oft dieselben: Verdrängung, Angst vor sozialem Abstieg und die Suche nach Schuldigen.
Der gesellschaftliche Bildungsgraben. Der massive Anstieg von Hochschulabsolventen hat eine neue Konfliktlinie geschaffen: Gebildete tendieren eher zu progressiven, kosmopolitischen Werten, während diejenigen ohne akademischen Abschluss sich wirtschaftlich und gesellschaftlich abgehängt fühlen, und den Nährboden für rechtspopulistische Strömungen bilden,
Die Angst vor sozialem Abstieg. Die Globalisierung, Automatisierung und der Strukturwandel in der Arbeitswelt haben viele traditionelle Arbeitsplätze bedroht oder zerstört. Besonders die untere Mittelschicht, die noch viel zu verlieren hat, fühlt sich existenziell bedroht und wendet sich rechten Parteien zu, die einfache Lösungen versprechen. Es ist weniger die Unterschicht, die nichts mehr zu verlieren hat.
Soziale Ungleichheit und relativer Statusverlust. Menschen vergleichen sich vor allem mit ihrem unmittelbaren Umfeld. Wenn die Unterschiede zwischen „oben“ und „unten“ wachsen, entsteht Frustration – besonders, wenn der Aufstieg immer schwieriger wird. Diese Frustration führt zur Suche nach den Ursachen mit Sündenböcken und der Distanzierung von der Gesellschaft.
Die Rolle der sozialen Medien. Rechtspopulistische Parteien konnten durch soziale Netzwerke enorm an Reichweite gewinnen. Es ist der Brandbeschleuniger ohne den der Rechtspopulismus nie die Reichweite und ein “Wir”-Gefühl hätte entwicklen können. Algorithmen verstärken Empörung, Ängste und Verschwörungserzählungen.
Migrationsängste als politisches Mobilisierungsthema. Migranten werden zum zentralen Feindbild erklärt, um gesellschaftliche Ängste zu bündeln. Menschen, die direkten Kontakt zu Migranten haben, sind dabei weniger anfällig für rechte Propaganda sind – die stärkste Ablehnung kommt von denen, die Migration nur aus rechten Medien oder sozialen Netzwerken kennen.
Die Lust an der Zerstörung des politischen Establishments. Viele Wähler rechtspopulistischer Parteien wählen bewusst destruktiv, um das bestehende politische System abzustrafen. Die Hoffnung besteht, dass ein Umbruch ihre eigene gesellschaftliche Position verbessert oder zumindest die Eliten bestraft werden. Dass sie sich dabei selbst viel mehr in das eigene Fleisch schneiden, wird verdrängt.
Das Fehlen politischer Repräsentation. Die Politik ist zunehmend von Akademikern geprägt, während Nicht-Akademiker kaum noch vertreten sind. Das führt zu einem Gefühl der Ohnmacht und des „Nicht-Gehört-Werdens“, das rechtspopulistische Parteien ausnutzen.
Die Schwäche der etablierten Parteien. Traditionelle Parteien haben es versäumt, die Sorgen und Ängste der unteren Mittelschicht ernst zu nehmen. Statt konkrete Antworten auf Globalisierung und soziale Unsicherheit zu bieten, setzen sie oft auf symbolische Politik oder moralische Appelle, die viele Menschen nicht erreichen.
Die Notwendigkeit von Reformen. Die einzige nachhaltige Lösung gegen den wachsenden Rechtspopulismus liegt in weit reichenden Reformen, die soziale Ungleichheit abbauen, wirtschaftliche Sicherheit bieten und den politischen Einfluss breiterer Gesellschaftsschichten wiederherstellen. Eine höhere politische Teilhabe und vor allem wirtschaftliche Sicherheit könnte die Dynamik bremsen.
Daß der Rechtsruck kein isoliertes Phänomen ist, sondern aus der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung folgt, ist offensichtlich. Und es scheint so, daß dies weltweit sehr ähnliche Prozesse sind. Wenn der Rechtspopulismus in der Tat den Nachschub aus der unteren Mittelschicht und Arbeiterschicht bezieht, dann hat er mit 30% nun fast schon seine maximale Kapazität erreicht. Wierklich gefährlich wird es, wenn die Bewegung nun auch noch auf die weitere Mittelschicht übergreift. Mit der Bundestagsabstimmung am letzten Mittwoch bei der die CDU/CSU zusammen mit der AfD in der Migrationsfrage abstimmte, ist dies nun auch immer wahrscheinlicher (“werden es nach der Wahl wieder machen“).
Zurück zur historischen Parallele: Auch Franz von Papen glaubte. den Rechtspopulismus kontrollieren zu können, was nicht einmal ein halbes Jahr gelang. Die NSDAP erzielte bei der Reichstagswahl 1930 erstmals 18%. Viele der Wähler kamen von der DNVP, wobei die NSDAP zudem von der Agrarkrise profitierte und zunehmend das bürgerliche Lager anzog. Nicht zuletzt die Weltwirtschaftskrise trieb viele Bürger in radikalere politische Bahnen. So erreichte die NSDAP bei den Wahlen 1932 dann auch 37,3%, ihr letzte Wahlergebnis vor dem Ermächtigungsgesetz 1933.
Ich habe es schon immer vermutet, was bei der Horvath Studie nun schwarz auf weiss herauskam
Die deutschen Bundesministerien sind einer Studie zufolge auf Leitungsebene von Expertinnen und Experten mit politikwissenschaftlichem und juristischem Hintergrund dominiert. Nur knapp ein Viertel verfüge über ein abgeschlossenes Studium im Bereich der Wirtschaftswissenschaften oder der MINT-Fächer, heißt es in der Studie „Top-Verwaltung im Fokus“ der Unternehmensberatung Horváth. Zudem hätten nur 42 Prozent vor ihrer Tätigkeit in einem Bundesministerium Berufserfahrung in der Privatwirtschaft gesammelt.
Epidemiologie hat eher wenig mit Politik zu tun, obwohl politische Überzeugungen unstrittig mit den Lebensumständen zusammenhängen. Um so mehr war ich doch überrascht, wie sehr die individuelle politische Einstellung bei COVID-19 die Infektionsraten und damit auch die Mortalität beeinflusst hat – siehe unsere Studie in ZRex, die es vor 3 Tagen nun sogar in den Bundestag geschafft hat.
Überrascht bin ich nun auch von einer neuen Studie in Sci Rep die politisches bzw historisches Wissen mit politischer Ausrichtung in Zusammenhang bringt.
Contrary to the dominant perspective, we found no evidence that people at the political extremes are the most knowledgeable about politics. Rather, the most common pattern was a fourth- degree polynomial association in which those who are moderately left-wing and right-wing are more knowledgeable than people at the extremes and center of the political spectrum.
Je extremer die Überzeugung um so weniger Ahnung? Das stimmt nur begrenzt für Deutschland obwohl es ein neuer SZ Artikel so vermuten lässt
Am besten informiert waren jene, die moderat nach links oder rechts tendierten. Ganz in der Mitte des politischen Flusses beobachteten die Forscher eine kleine Untiefe, auch hier war das Wissen eher flach.
Damit ist die arme Grafik des Artikels überinterpretiert.
Die Unterschiede sind allenfalls grenzwertig auf 0.05 Niveau signifikant, wobei auch fraglich ist ob denn die 0.05 Punkte Wissenszuwachs überhaupt relevant sind.
In anderen Ländern sieht die Situation allerdings komplett anders aus…
Die höchste Repräsentantin der Wissenschaft in Deutschland schreibt in der FAZ
Schon lange wollen Tierrechtsaktivisten und Gentechnikgegner Forschungsmöglichkeiten umfassend einschränken und schrecken dabei auch vor Drohungen gegen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Sachbeschädigungen nicht zurück.
Die radikale Rechte möchte den Hochschulen ganze Fächer oder Vorlesungsreihen verbieten … Genau diese Botschaft senden auch linke Gruppen, die mit wissenschaftsfernen und -feindlichen Begründungen Kampagnen gegen ihnen nicht genehme Themenschwerpunkte, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fahren.
In der Tat, Wissenschaftsfreiheit ist bedroht, wie noch kaum zuvor.
Ein schon älterer Essay in “Forschung und Lehre” von Thomas Naumann zeigt einige Grundsätze der Wahrheitsfindung in der Wissenschaft
Ziel der Naturwissenschaften ist es, die uns umgebende Welt zu erkennen. Das heißt, Aussagen über die Wirklichkeit zu gewinnen und sie in Form von Beobachtungen und Gesetzen abzubilden. Diese Aussagen und Abbildungen bezeichnen wir als wahr, wenn sie mit der widergespiegelten Realität übereinstimmen.
Die Aussage, so Naumann, bleibt aber subjektiv und ist nicht deckungsgleich mit der objektiven materiellen Realität. Im Experiment wird die wissenschaftliche Wahrheitsaussage sprich Hypothese immer wieder überprüft. Wo dies nicht möglich ist, wird wenigsten versucht, die Beobachtung zu verifizieren (die aktuelle Replikationskrise ist deshalb auch eine Krise der Wissenschaft) wobei Hilfskriterien wie Logik und Widerspruchsfreiheit helfen können genauso wie Vorhersagen, die dann eintreffen oder auch nicht. Doch zurück zur Wahrheitsfindung bei Karl Marx, wieder nach Naumann zitiert
“Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme – ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muss der Mensch die Wahrheit … seines Denkens beweisen.” Auch Max Born, einer der Begründer der Quantentheorie, riet zu Realismus: “My advice is not to rely on abstract reason, but to decipher the secret language of Nature from Nature’s documents, the facts of experience”.
Wissenschaftler sind damit der unbedingten Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit verpflichtet.
Die primäre Anforderung an Politiker ist eine andere, sie sollen mit sozial verantwortlichen Entscheidungen gesellschaftliche Probleme lösen , Fortschritt ermöglichen und wo immer möglich, Krisen verhindern. “Ehrlich wärt am längsten” gilt auch hier, obwohl man Politiker im allgemeinen zugesteht, ihre Ziele nicht auf direktem Weg zu erreichen. Ihre Ziele sollten aber doch mehr am Allgemeinwohl als an ihrem privaten Nutzen orientiert sein, ansonsten wird er abgewählt. Die Washington Post hat im übrigen über 30.000 Lügen von Donald Trump gezählt.
Der Gegenstand dieser Überlegungen ist ein Gemeinplatz. Niemand hat je bezweifelt, daß es um die Wahrheit in der Politik schlecht bestellt ist, niemand hat je die Wahrhaftigkeit zu den politischen Tugenden gerechnet. Lügen scheint zum Handwerk nicht nur der Demagogen, sondern auch des Politikers und sogar des Staatsmannes zu gehören.
Seit eh und je haben die Wahrheitssucher und die Wahrheitssager um das Risiko ihrer Unternehmung gewußt… Wiewohl es im Politischen zumeist die Tatsachenwahrheiten sind, die auf dem Spiel stehen, ist der Konflikt zwischen Wahrheit und Politik zuerst an der Vernunftwahrheit ausgebrochen und entdeckt worden. In den Wissenschaften ist das Gegenteil der Wahrheit der Irrtum oder die Unwissenheit.
Modern würde man also sagen – Politik und Wissenschaft ist ein Clash of Cultures. Wissenschaftspolitik ist eindeutig dem politischen und nicht dem wissenschaftlichen Lager zuzuordnen – es geht primär um Finanzierung von Hochschulen und Forschungseinrichtungen in einem undurchsichtigen Mix aus Prioritätensetzung, Bildungsauftrag, technische Weiterentwicklung und Folgenabschätzung, Wirtschaftsförderung verbunden mit dem massiven Eingriffen in die eigentlich garantierte Wissenschaftsfreiheit.
Interessant wird das Thema vor allem dann, wenn Wissenschaftler in die Wissenschaftspolitik oder sagen wir mehr allgemein, den politischen Apparat wechseln. Waren sie vorher schon verkappte Politiker? Oder gibt es da eine Phase der Adaptation und Neuorientierung die nun Lüge erlaubt? Das ist eine, wie ich finde, neue und interessante wissenschaftliche Fragestellung für Wissenschaftssoziologen. Schade, ich hätte zu gerne hier Latour befragt. In den Zettelkästen Luhmanns habe ich nur einen passenden Zettel zu dem Thema gefunden “Politik als Wissenschaft kann es nicht geben”…
Nochmal Arendt a.o.O.
Der Streit zwischen Wahrheit und Politik besteht nach wie vor, nur ist an die Stelle der Vernunftwahrheit die Tatsachenwahrheit getreten. Zwar hat es vermutlich nie eine Zeit gegeben, die so tolerant war in allen religiösen und philosophischen Fragen, aber es hat vielleicht auch kaum je eine Zeit gegeben, die Tatsachenwahrheiten, welche den Vorteilen oder Ambitionen einer der unzähligen Interessengruppen entgegenstehen, mit solchem Eifer und so großer Wirksamkeit bekämpft hat.
Natürlich muss Wissenschaft Ergebnisse kommunizieren, vor allem wenn Forschung staatlich gefördert ist. Schon immer wurden Ergebnisse veröffentlicht oder auf Kongressen vorgetragen.
Die Frage ist lediglich, ob jeder alles verstehen kann? Ich bin da skeptisch. Auszug aus dem DHV Newsletter von gestern:
Bundesbildungsministerin Anja Karliczek hat angekündigt, dass die Wissenschaftskommunikation einen größeren Stellenwert bei der Vergabe von Forschungsmitteln einnehmen soll. In einem Gastbeitrag für die “Zeit” stellt Karliczek das Ziel eines Grundsatzpapiers ihres Ministeriums vor, nach dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler “in ihren Projekten die Kommunikation von Anfang an mitdenken und Ressourcen dafür einplanen” sollten. Es sei an der Zeit, “konkrete Anreize für mehr Kommunikation im Forschungsalltag zu geben”. Die Ministerin kündigte an, dass es eine Plattform zur Evaluation der Wissenschaftskommunikation geben solle. Zudem werde sie eine Denkwerkstatt “#FactoryWisskomm” ins Leben rufen, die Selbstverpflichtungen der Wissenschaft erarbeiten solle. Wissenschaftskommunikation solle “endlich zur Chefsache in den Wissenschaftseinrichtungen” werden, so die Ministern weiter.
Wen interessiert schon der Forschungsalltag? Wir brauchen valide Ergebnisse und zwar dringend in vielen Bereichen. Mit begrenzten Ressourcen wäre es sinnvoller, das Geld in Personal und Ausstattung zu stecken. PR Abteilungen gibt es genügend, was fehlt sind mehr Postgraduierten Studiengänge zu Wissenschaftsjournalismus und damit Wissenschaftsredaktionen, die nicht auf jede PR und auf jede Stimmung hereinfallen, wie an dem berühmten “6000 Tote”-Beispiel zu sehen war.
Ansonsten sind wir auf dem besten Weg, dass bald 80% in den Overhead gehen, wenn wir auch noch die “Kommunikation von Anfang an mitdenken” sollen. Die EU macht es vor mit unzähligen Auflagen zu Timesheets, A1 Formularen, Equality, Ethik, SMEs, GDPR, Communication, Progamm Management … Fakt ist doch, dass es viel zu viele prekäre Arbeitsplätze in der Wissenschaft gibt.
Es gab im übrigen auch empirische Untersuchungen zu dem Thema vor mehr als 10 Jahren (Small 2007)
This study aims at exploring and explaining scientists’ responses to calls for increased dialogue and engagement with the public on the social and ethical implications of scientific research. Findings are presented from interviews with scientists regarding their views on the democratization of sci- ence and on the impacts of the increasing commercialization of science. Scientists supported the democratization of science but were divided on the extent of the public’s role.
Die Reaktion auf den Vorschlag fällt somit auch vernichtend aus.
Der Deutsche Hochschulverband hat die Newsletter-Leserinnen und -Leser im November gefragt, ob sie es für eine gute Idee halten, dass Bundesministerin Karliczek Wissenschaftskommunikation zum Kriterium für Forschungsförderung erheben will. 98,5 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer antworteten mit Nein und 1,5 Prozent mit Ja.