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Nochmal zur Freiheit der Wissenschaft

Die höchste Repräsentantin der Wissenschaft in Deutschland schreibt in der  FAZ

Schon lange wollen Tierrechtsaktivisten und Gentechnikgegner Forschungsmöglichkeiten umfassend einschränken und schrecken dabei auch vor Drohungen gegen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Sachbeschädigungen nicht zurück.
Die radikale Rechte möchte den Hochschulen ganze Fächer oder Vorlesungsreihen verbieten … Genau diese Botschaft senden auch linke Gruppen, die mit wissenschaftsfernen und -feindlichen Begründungen Kampagnen gegen ihnen nicht genehme Themenschwerpunkte, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fahren.

In der Tat, Wissenschaftsfreiheit ist bedroht, wie noch kaum zuvor.

Vgl auch die frühren Einträge zu

Viele Worte zu machen, um wenige Gedanken mitzuteilen

Viele Worte zu machen, um wenige Gedanken mitzuteilen, ist überall das untrügliche Zeichen von Mittelmäßigkeit. Das des eminenten Kopfes dagegen, viele Gedanken in wenige Worte zu schließen.
Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena (Nebenwerke und Nachträge) II 558

Das, was man weiß, hat doppelten Wert, wenn man zugleich das, was man nicht weiß, nicht zu wissen eingesteht.
Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena (Nebenwerke und Nachträge) II 12

Alle Wissenschaft kann nie ein letztes Ziel erreichen, noch eine völlig genügende Erklärung geben, weil sie das innerste Wesen der Welt nie trifft.
Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung  I 33 f.

Was die Wissenschaften voraussetzen und ihren Erklärungen zum Grunde legen und zur Grenze setzen, ist gerade das eigentliche Problem der Philosophie, die folglich insofern da anfängt, wo die Wissenschaften aufhören.
Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung I 97

Die Wissenschaft denkt nicht

Mit dem Heidegger Zitat eröffnet Paul Hoyningen-Huene den Aufsatz “Irrationalität in der Wissenschaftsentwicklung“.

Tatsächlich wurde die Wissenschaft, insbesondere die Naturwissenschaft, die meiste Zeit ihrer Existenz als rational verstanden, sowohl in ihrem eigenen Selbstbild als auch im Fremdbild, etwa durch die Philosophie oder das allgemeine Bewusstsein.  …  so wurden bestimmte wissenschaftliche Entwicklungen als steril oder scholastisch angeprangert, Wissenschaft wurde als gefährlich oder einseitig angesehen …. Kuhn behauptet … neben der Wichtigkeit von Paradigmen allem Anschein nach auch die Irrationalität der Wissenschaftsentwicklung. Bei den entscheidenden Weichenstellungen der Wissenschaftsentwicklung, nämlich der Auswahl und Akzeptanz einer Theorie aus einer Gruppe von konkurrierenden Theorien durch die jeweilige wissenschaftliche Gemeinschaft, würden durchaus nicht rationale Gründe den Ausschlag geben. … Ähnliche Diagnosen von Irrationalität in der Wissenschaftsentwicklung waren auch von dem bekannten (und z.T. berüchtigten) Philosophen Paul Feyerabend zu hören, der in seinem Buch Against Method von 1975 für die Wissenschaften gar den Slogan ausgab: „Anything goes“. Ein Dutzend Jahre später schien Feyerabend die Vernunft sogar ganz und gar verabschieden zu wollen, indem er 1987 ein Buch mit dem Titel Farewell to Reason publizierte.

Der initialen Bestandsaufnahme von Hoyningen-Huene kann ich aus eigener Erfahrung durchaus zustimmen, denn die Auswahl aus den konkurrierenden Ursprungstheorien in meinem Bereich folgte nicht rationalen Gründen sondern mehr der Medienpräsenz einiger zentraler Figuren, dem “gesunden Menschenverstand” einiger Kommission und Kongresspräsidien, dem allgemeinen politischen Trend und wohl auch handfesten wirtschaftlichen Interessen.

Aber warum um Himmels willen Feyerabend berüchtigt und nicht auch als berühmt zu bezeichnen? Es scheint der running gag bei Hoyningen-Huene zu sein

Für den Aufklärer Feyerabend ist dieser Verstoß unmittelbar auch antihumanitär, denn „Fortschritt ist immer dadurch erreicht worden, dass man wohlverschanzte und wohlbegründete Lebensformen an unpopulären und grundlosen Werten gemessen hat. So hat sich der Mensch schrittweise von Furcht und von der Tyrannei ungeprüfter Systeme befreit“.

Nun ja, im Vorwort einer Einführung in die Philosophie Feyerabends seines Doktoranden Eric Oberheim wird Hoyningen-Huene schliesslich auch zitiert mit “If you join any one philosophical school, you loose ten IQ points”.

Wer nicht fragt bleibt dumm

Carsten Dippel “Wer nicht fragt bleibt dumm”

Woher kommt die besondere Wertschätzung der Frage im Judentum? Sie reicht weit zurück, bis in die biblischen Ursprünge der jüdischen Religion, so Grözinger. Es fing schon mit einem Gespräch zwischen Gott und Abraham an. Da will Gott die Stadt Sodom zerstören. Er spricht mit Abraham über das drohende Strafgericht. Doch Abraham will Gottes Tun nicht einfach akzeptieren. Er fängt an, mit Gott zu diskutieren.
Karl Erich Grötzinger erklärt: „Abraham fragt dann immer, willst du denn als Gerechter den Gerechten wie die Ungerechten zerstören? Und Gott gibt dann nach, es gibt dann eine Reihe von Zahlen, wie viele Gerechte in der Stadt sein sollen, Abraham lässt nie nach und fragt immer weiter und fragt immer weiter

legendär auch Bernd Ginzel mit “Der Zweifel ist konstitutiv fürs Judentum”

Im Christentum – jetzt wohlgemerkt aus jüdischer Sicht – ist das Problem, dass man alles auf Jesus konzentriert. Und alles muss schön sein und alles muss wunderbar sein; und es fehlt der jüdisch-kritische Geist, der sagt: Warum? Wieso? Muss das so sein? Wenn ich sage: Jesus ist Gott selbst, warum klagt er mit dem jüdischen Gebet: ‚Mein Vater, mein Vater, warum hast du mich verlassen?‘

bis dann hin zu Lichtenberg.

Wissenschaftspolitik ist Politik, nicht Wissenschaft

Ein schon älterer Essay in “Forschung und Lehre” von Thomas Naumann zeigt einige Grundsätze der Wahrheitsfindung in der Wissenschaft

Ziel der Naturwissenschaften ist es, die uns umgebende Welt zu erkennen. Das heißt, Aussagen über die Wirklichkeit zu gewinnen und sie in Form von Beobachtungen und Gesetzen abzubilden. Diese Aussagen und Abbildungen bezeichnen wir als wahr, wenn sie mit der widergespiegelten Realität übereinstimmen.

Die Aussage, so Naumann, bleibt aber subjektiv und ist nicht deckungsgleich mit der objektiven materiellen Realität. Im Experiment wird die wissenschaftliche Wahrheitsaussage sprich Hypothese immer wieder überprüft. Wo dies nicht möglich ist, wird wenigsten versucht, die Beobachtung zu verifizieren (die aktuelle Replikationskrise ist deshalb auch eine Krise der Wissenschaft) wobei  Hilfskriterien wie Logik und Widerspruchsfreiheit helfen können genauso wie Vorhersagen, die dann eintreffen oder auch nicht.  Doch zurück zur Wahrheitsfindung bei Karl Marx, wieder nach Naumann zitiert

“Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme – ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muss der Mensch die Wahrheit … seines Denkens beweisen.” Auch Max Born, einer der Begründer der Quantentheorie, riet zu Realismus: “My ad­vice is not to rely on abstract reason, but to decipher the secret language of Nature from Nature’s documents, the facts of experience”.

Wissenschaftler sind damit der unbedingten Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit verpflichtet.

Die primäre Anforderung an Politiker ist eine andere, sie sollen mit sozial verantwortlichen Entscheidungen gesellschaftliche Probleme lösen , Fortschritt ermöglichen und wo immer möglich, Krisen verhindern. “Ehrlich wärt am längsten” gilt auch hier, obwohl man Politiker im allgemeinen zugesteht, ihre Ziele nicht auf direktem Weg zu erreichen. Ihre Ziele sollten aber doch mehr am Allgemeinwohl als an ihrem privaten Nutzen orientiert sein, ansonsten wird er abgewählt.  Die Washington Post hat im übrigen über 30.000 Lügen von Donald Trump gezählt.

Hannah Arendt hat 1963 einen schönen  Aufsatz geschrieben “Wahrheit und Politik

Der Gegenstand dieser Überlegungen ist ein Gemeinplatz. Niemand hat je bezweifelt, daß es um die Wahrheit in der Politik schlecht bestellt ist, niemand hat je die Wahrhaftigkeit zu den politischen Tugenden gerechnet. Lügen scheint zum Handwerk nicht nur der Demagogen, sondern auch des Politikers und sogar des Staatsmannes zu gehören.

Seit eh und je haben die Wahrheitssucher und die Wahrheitssager um das Risiko ihrer Unternehmung gewußt… Wiewohl es im Politischen zumeist die Tatsachenwahrheiten sind, die auf dem Spiel stehen, ist der Konflikt zwischen Wahrheit und Politik zuerst an der Vernunftwahrheit ausgebrochen und entdeckt worden. In den Wissenschaften ist das Gegenteil der Wahrheit der Irrtum oder die Unwissenheit.

Modern würde man also sagen – Politik und Wissenschaft ist ein Clash of Cultures.  Wissenschaftspolitik ist eindeutig dem politischen und nicht dem wissenschaftlichen Lager zuzuordnen – es geht primär um Finanzierung von Hochschulen und Forschungseinrichtungen in einem undurchsichtigen Mix aus Prioritätensetzung, Bildungsauftrag, technische Weiterentwicklung und Folgenabschätzung, Wirtschaftsförderung verbunden mit dem massiven Eingriffen in die eigentlich garantierte  Wissenschaftsfreiheit.

Interessant wird das Thema vor allem dann, wenn Wissenschaftler in die Wissenschaftspolitik oder sagen wir mehr allgemein, den politischen Apparat wechseln. Waren sie vorher schon verkappte Politiker? Oder gibt es da eine Phase der Adaptation und Neuorientierung die nun Lüge erlaubt? Das ist eine, wie ich finde, neue und interessante wissenschaftliche Fragestellung für Wissenschaftssoziologen. Schade, ich hätte zu gerne hier Latour befragt. In den Zettelkästen Luhmanns habe ich nur einen passenden Zettel zu dem Thema gefunden “Politik als Wissenschaft kann es nicht geben”…

Nochmal Arendt a.o.O.

Der Streit zwischen Wahrheit und Politik besteht nach wie vor, nur ist an die Stelle der Vernunftwahrheit die Tatsachenwahrheit getreten. Zwar hat es vermutlich nie eine Zeit gegeben, die so tolerant war in allen religiösen und philosophischen Fragen, aber es hat vielleicht auch kaum je eine Zeit gegeben, die Tatsachenwahrheiten, welche den Vorteilen oder Ambitionen einer der unzähligen Interessengruppen entgegenstehen, mit solchem Eifer und so großer Wirksamkeit bekämpft hat.

Doktorarbeit zu kaufen gesucht

Mit immer mehr Hochschulabsolventen steigt auch der Betrug um die Promotionen, so Nature in der letzten Woche mit einem Beitrag von Tracey Betrag, der Autorin des “Academic Integrity Handbook“.

Stories of students paying others to do their work come from all around the world. In the 2015 MyMaser scandal in Australia, hundreds of students who were enrolled in more than a dozen universities paid a total o f at leas US$160,000 ‘service’ that provided ghost-written essays and responses to online tests. In 2018, YouTube stars on more than 250 channels received money for promoting a cheating service called EduBirdie. Similar companies have been uncovered in the United States and elsewhere.

Ihre Schätzung:  6% der Doktoranden betrügen. Und auch ein  weiteres Review ist  der Meinung, dass der Betrug inflationär zunimmt.

Auf Deutsch heisst das dann auf wenig verschleiernd Beratung, Korrektur, Lektorat, Feedback, Weiterbildung – seit dem Urvater “Dr. Frank Grätz” (den es aber in der Form seit 2008 nicht mehr gibt), hat sich nicht viel geändert, ausser dass die Preise deutlich gestiegen sind.

Dilettiere mit uns.
Ist Promocode hier ein unfreiwilliges Wortspiel?
wir verfassen keine Plagiate, wir verfassen Falsifikate
Beachten Sie bitte, dass wenn Ihre Arbeit einen praktischen Teil, eine Auswertung (statistische oder qualitative), eine empirische Untersuchung oder einen Zugang zu spezifischen Programmen, Büchern oder Databasen (sic!) beinhalten muss, wenden Sie sich bitte erst an Support (sic!)
Ist das ein Schreibfehler? Scientia?

Wo bleibt die Lex Wissenschaft? Mizaru, Kikazaru, Iwazaru?

Irgendwie gibt es wenig Kommentare zu dem EuGH Urteil, daß alle Arbeitgeber in der Europäische Union die Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer komplett erfassen müssen.

Der Hochschulverband schrieb bisher (auszugsweise)

Universitätsprofessoren unterliegen […] nicht den Regeln festgesetzter Arbeitszeit. Insbesondere das Recht, im Rahmen der selbständigen Aufgabenwahrnehmung (bspw. der Forschung) auch den Ort der Erfüllung der Dienstaufgaben selbst bestimmen zu können, ist eine wesentliche Voraussetzung für wissenschaftliche Arbeit. Dies bedeutet, dass Professoren grundsätzlich nur insoweit in ihrer Hochschule ihren Dienst versehen müssen, als eine Präsenz vor Ort durch die jeweils zu erledigenden konkret-funktionalen Dienstaufgaben faktisch vorausgesetzt ist.

Und dann hat wohl im Mai der HRK Präsident eine Lex Wissenschaft gefordert. Zitat

Was aber bedeutet das EuGH-Urteil für die Wissenschaft? Zieht an Hochschulen und Forschungseinrichtungen die Stechuhr ein? […] Peter-André Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) spricht dagegen von einer “grotesken Regelung” und einem “Rückfall in eine Arbeitsorganisation früherer Zeiten”. Das Urteil verkennt die Flexibilität von Arbeitsorten und Arbeitszeiten, die heute Realität sei. “Es ist nicht zeitgemäß, erst recht nicht für die Wissenschaft.” Als Präsident der Freien Universität Berlin habe er sich immer gegen Zeiterfassungs-Modelle ausgesprochen, “aus guten Gründen”, wie Alt sagt: “In der Verwaltung mag das noch angehen, aber als Wissenschaftler im Labor haben Sie doch keinen Nine-to-Five-Job. Da sind sie auch mal abends da, zwischendurch arbeiten Sie woanders, zu Hause, in Bibliotheken, auf Konferenzen.”

Was ist da nun eigentlich der Stand?
Wird das EuGH Arbeitszeiturteil nun genauso gehandhabt wie das DSGVO Fotoverbot? Oder das A1 Dienstreiseformular? Mizaru, kikazaru, iwazaru?

Ein Haltung der Integrität

Steigende  Wissenschaftskritik gab es ab ca 2010. Nach den wachsenden Betrugsfälle  Ende der neunziger Jahren mit Herrmann/Brach, Schön, Suk, Han, Bulfone kam dann um 2010 Retraction Watch auf die Bühne. Continue reading Ein Haltung der Integrität