Category Archives: Philosophy

Universitäten in Zeiten alternativer Fakten

Es ist noch Hoffnung´, solange es noch Advokaten wie Björn Brems gibt. Lesenswert das Laborjournal 10/2018, S. 24

Wird ein Maß zum Ziel, ist es kein gutes Maß mehr. Für den Neoliberalismus ist der Wettbewerb das Maß aller Dinge: Gesellschaftliche Bereiche, die bisher ohne Wettbewerb auskamen, wurden mit Wettbewerbsmerkmalen versehen – mit der Absicht, Effizienz zu steigern und Kosten zu senken. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks kollabierte der politische Widerstand gegen diese gefährliche Ideologie schließlich auch westlich der Mauer. Seit nunmehr fast dreißig Jahren – einer ganzen Generation – hat sich dieses Geschwür durch die westlichen Demokratien gefressen.

Und natürlich kritisiert auch der sinnlosen Wettbewerb, dabei ist Forschung doch eine Investition darstellt, die der Gesamtwirtschaft zugute kommen soll.

Wer also seine Erkenntnisse, Daten und Quellcodes vor der Wirtschaft abschottet, nur um die ei- genen Kennzahlen zu maximieren, handelt explizit wider die gesellschaftliche Begründung, warum sie oder er überhaupt öffentlich gefördert wird. Da wir Wissenschaftler dies jedoch immer noch mehrheitlich so praktizieren – schließlich müssen wir ja kompetitiv bleiben – brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn dies gegen uns ausgelegt wird. Mit anderen Worten: Die wissenschaftliche Gemeinde hat sich selbst ein System erschaffen, in dem Wissenschaftler im Wettbewerb um öffentliche Mittel nur bestehen, wenn sie sich aktiv gegen die politische Begründung wenden, aufgrund welcher das Geld überhaupt in die Wissenschaft fließt. In der heutigen Zeit kann so ein System nur kontraproduktiv sein.


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We depend too much on science and not enough on faith

Datasource: Social values, science and technology 2013 Special EU Barometer 401, p81. Figure (c) Science Surf 2018

 

Respondents remain divided on the issue of whether we depend too much on science and not enough on faith. Almost four in ten (39%) agree, while almost one third (32%) disagree that we depend too much on science and not enough on faith. A considerable proportion, 25%, is neutral on the issue.
There has been little change since the last wave, with agreement increasing by 1 percentage point, and disagreement down by 2 points. But there has been a big change since 1905

In der Tat, eher laufen die meisten Menschen von einem Arzt zum andern, eher versuchen sie es mit allen Mitteln, die ärztliche Wissenschaft und Aberglaube angeben, eher reisen sie von Bad zu Bad, als sie nur einmal mit rechtem Ernst und mit vollem Glauben an Gottes Allmacht und Güte betend an Gottes Thür anklopfen.

Anselm in Voigt, Religion in bioethischen Diskursen, de Gruyter 2010 p 69 refers to Ludwig Lemme, Christliche Ethik, Gr. Lichterfelde-Berlin 1905, p 681


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Das jüdische Bioethik Paradox

Es ist ein interessantes Phänomenon.

Auf der einen Seite gibt es kein liberaleres Land für Stammzellforschung, genetische Tests, IVF und Abtreibung. Gleichzeitig aber wird assistierten Suizid und Sterbehilfe abgelehnt.

Die häufigste Erklärung dafür ist die jüdische Einstellung pro Science. So etwa hat in Tikkun Olam die Verpflichtung auf eine bessere Welt eine lange Tradition. “Gentechnik” gab es schon 1.800 v. Chr. in der Jakobsgeschichte. Das erklärt allerdings nicht die Ablehnung der Sterbehilfe.

Dmit kommen wir zum nächste n Punkt: Das Judentum ist auch pro vita eingestellt, alles ist gut, was Leben schafft und bewahrt. Der Genesis Auftrag heisst “fruchtbar zu sein und sich zu mehren”.

Allerdings spricht die Freigabe der Abtreibung (auf Entscheidung eines Komitees) dann doch gegen eine reine Vermehrungsstrategie.. Wie kann nur eine “konservative” Religion eine so “progressive” Ansichten hervorbringen? Shai Navi bietet dafür zwei Erklärungen.  Zum einen unterscheidet das Rabbinertum deutlich zwischen Mittel und Zweck. Mittel und Zweck lassen sich trennen, damit läuft im Endeffekt doch alles auf der pro vita Schiene.

Die folgende Erklärung dagegen scheint mir am überzeugendsten: Rabbiner folgen einer alten phänomenologischen Überlieferung und nicht der modernen wissenschaftlich ontologischen Tradition.

The Jewish position concerning the status of the fertilized egg is based on the Talmud which says that before the 40th day the fetus is “mayim be alma” no more than plain water
[…]
Several leading Orthodox rabbis have rejected the modern definition of brain death and have insisted on maintaining the traditional definition of the cessation of respiration and heart beat.

Wasser bleibt Wasser, selbst wenn man mit dem Mikroskop darin etwas lebendiges erkennen kann. Aber ein Mensch, der atmet, ist niemals tot, selbst wenn sein EEG nur eine Nulllinie zeigt.
Das ist in der Tat eine konsistente phänomenologische Argumentation.

Die Phänomenologie wurde Anfang des 20. Jahrhunderts maßgeblich von Edmund Husserl geprägt. Und Husserl ist im Alter von 27 Jahren vom Judentum zum Protestantismus übergetreten…


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Ratatouille der Gedanken

Silvia Strahm spricht mir aus der Seele wenn sie in ihrem neuesten Beitrag auf feinschwarz.net fragt, was bleibt denn vom Denken, Nachdenken, Hinterfragen in Zeiten der Meinungen, der Informations- und Wissensflut?

Ich war einmal ein denkender Mensch, vor vielen Jahren. Ich hatte viel gelernt, über alles Mögliche und über viel Unmögliches auch, habe Schul- und andere Weisheiten erworben, nachgedacht über das Leben und die Welt im Allgemeinen und im Besonderen. Das war anstrengend, beglückend, manchmal schwindelerregend, aber das Werkzeug hatte ich beisammen, alles war da, dem, was geschah, geschehen war und noch im Gang, ordnend beizukommen.
Geblieben davon ist das Hantieren. Mit den Werkzeugen. Die habe ich behalten. Immer wieder etwas geputzt und geschliffen, aber im Grossen Ganzen sind es noch dieselben.
Geändert hat sich trotzdem alles.

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Das Gespenst des Populismus

Gibt es das?

André Mumot hat einen Rezension des Stegemann-Essay “Das Gespenst des Populismus” verfasst

Als Beispiel für die gute alte Zeit, denn, so Stegemann: “Ibsens Bürger hatten noch ein schlechtes Gewissen, das sie verstecken wollten, die Bürger der Postmoderne sind stolz darauf, ein schlechtes Gewissen zu haben.”
Oft legt er den Finger sehr effektvoll in die Wunden unserer Gegenwart, vor allem dort, wo er erbittert gegen linksintellektuelle Selbstverständlichkeiten anrennt: “Veggie-Day statt Umverteilung, Biogemüse statt der Enteignung von Agrarkonzernen, die Afrika kolonialisieren, Political Correctness statt Klassenkampf.”

Political correctness erstickt in der Tat linksintellektuelle Selbstverständlichkeiten, nicht im Frontalangriff, sondern zieht nur schleichend die Schlinge zu.


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Non-fake journals can be recognized

according to https://oaspa.org/principles-of-transparency-and-best-practice-in-scholarly-publishing/ by

1. Peer review process
2. Governing Body
3. Editorial team/contact information
4. Author fees
5. Copyright
6. Identification of and dealing with allegations of research misconduct
7. Ownership and management
8. Web site
9. Name of journal
10. Conflicts of interest
11. Access
12. Revenue sources
13. Advertising
14. Publishing schedule
15. Archiving
16. Direct marketing

non fake conferences
1. give you a defined topic to talk about
2. offer to pay your travel cost
3. have a backup by a major scientific organization
4. you know the person who is inviting you
5. as well as the chairmen of the session


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On Bullshit

The famous book “On Bullshit” of the American philosopher Harry Frankfurt has now been extended. Frankfurt originally described the relationship of spoken words and truth as being completely independent.

As I learned now, Jim Holt’s “When Einstein Walked with Gödel” now updated the “On Bullshit” chapter on the administration of president George W. Bush with a depressing reference to Donald Trump.

9/6/20

The ultimate reference, however, will be coming August 4th, 2020: Calling Bullshit: The Art of Skepticism in a Data-Driven World, by Carl Bergstrom and Jevin West.


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Reprint „Das Neue ist selten das Gute”

Aus dem FAZ Artikel 2015 “Hegel wohnt hier nicht mehr hier

Ist nicht die analytische Philosophie gut beraten, sich in viel stärkerem Maße der Philosophiegeschichte zu besinnen? Nicht aus naseweiser Bescheidwisserei (wie Adorno das nannte), die einem Gedanken, statt seine Wahrheit zu prüfen, einen Vorgänger nachweist. Sondern um zu vermeiden, dass sie das Rad neu erfindet oder uns gar ein weit schlechter rollendes andreht als das alte. Schließlich tut uns die Geschichte nicht überall den Gefallen, in Richtung ,Fortschritt‘ zu verlaufen. Wichtige gedankliche Durchbrüche werden durch falsche Meinungen oder Theoriemoden verdrängt. Dem apokalyptischen Aktualismus derer, die einen Text schon darum für verdächtig halten, weil er älter als fünf Jahre ist, ist Schopenhauers Diktum entgegenzuhalten: „Das Neue ist selten das Gute, weil das Gute nicht lange neu bleibt.“

mit einem Update auf www.feinschwarz.net


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Weiterbildung

Der Wissenschaftsnarr schreibt diesmal über Weiterbildung. Nicht über immer mehr Forschung, sondern über Weiterbildung:

Piloten müssen … jedes Jahr unzählige Flugstunden nachweisen und dazu noch einen Flug mit einem Instruktor absolvieren. Ärzte müssen – unabhängig davon, ob sie niedergelassen, ermächtigt oder angestellt sind – innerhalb von fünf Jahren mindestens 250 Fortbildungspunkte bei ihrer Kassenärztlichen Vereinigung nachweisen. Die Idee hinter all dem: Sicherstellen, dass man wissensmäßig auf der Höhe der Zeit ist und seinen Beruf gemäß den aktuellen Standards ausführt.


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An explanation of heredity

An explanation of heredity can be found at the Wired interview of Carl Zimmer.

People have been trying to use genetics as a form of identification for a very long time. Of course they didn’t always call it that. DNA is just a modern substitute for the old idea of blood. But in many ways it hasn’t evolved much from the time we thought of ancestry as a pure substance. We still say “I’ve got some Irish blood in me,” but it’s not like you can take out just the Irish blood and fill a cup with it. It’s the same with the bits of DNA in your genome that came from people that once lived in that part of the world. We’re all an amalgam of fragments that have all traveled different paths and each only influences us in very subtle ways. What we really want from heredity is an explanation of why we are the way we are, and genes alone can’t give us that. There are other things we inherit that matter just as much—like the chemical modifications to our DNA that turn genes on and off or the microbes that abound in our bodies or the human-made environments we’re born into. We literally pass down the whole world to our children, and right now our children are inheriting climate change.

This is clearly an argument against the European genetic exceptionalism. But even accepting that argument to a large extent, I do not understand why Zimmer uploaded now the genomes of his children Charlotte and Veronica for public viewing? Because it is largely irrelevant?


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Dead links

Eine Initiative von www.ennopark.de

Im Zuge der Reform der Datenschutzgesetze ging ein Gerücht um: Viele Blogger_innen würden ihre Blogs schließen. In meinem direkten Umfeld waren das nur sehr wenige, deshalb wollte ich es genauer wissen und fragte auf Twitter nach URLs von Blogs, Foren und ähnlichen Seiten, die wegen der DSGVO dicht gemacht haben. Ehrlich gesagt habe ich selber nicht mit soviel Resonanz gerechnet….

Und weiter geht es mit https://gdprhallofshame.com oder der Frage vor wem mich das Gesetz eigentlich schützt?


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Unter dem Deckmantel der Wissenschaft

Ohne dass mich der Inhalt des Interviews besonders interessiert hätte — aber wenn eine Politikerin in einem Interview sagt, dass Argumente “unter dem Deckmantel der Wissenschaft” daher kommen, dann ist das eine inkazeptable Formulierung. Eine grandiose Selbstüberschätzung die über dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand steht? Die Unterstellung dass Kriminelle Wissenschaft als Tarnung benutzen?
So geschehen in dem Zündfunk Podcast zur Cannabis Legalisierung als die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Marlene Mortler zu dem Thema Stellung nimmt.
Aber was will man auch von einer CSU Bauersfrau erwarten, die Strafrechtsprofessoren hier öffentlich erklärt, was die Rechtslage ist?


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Vergängliche Wissenschaft

Weiter im Text mit Max Weber 1917

Jeder von uns dagegen in der Wissenschaft weiß, daß das, was er gearbeitet hat, in 10, 20, 50 Jahren veraltet ist. Das ist das Schicksal, ja: das ist der Sinn der Arbeit der Wissenschaft, dem sie, in ganz spezifischem Sinne gegenüber allen anderen Kulturelementen, für die es sonst noch gilt, unterworfen und hingegeben ist: jede wissenschaftliche »Erfüllung« bedeutet neue »Fragen« und will »überboten« werden und veralten….
Wissenschaftlich aber überholt zu werden, ist – es sei wiederholt – nicht nur unser aller Schicksal, sondern unser aller Zweck. Wir können nicht arbeiten, ohne zu hoffen, daß andere weiter kommen werden als wir. Prinzipiell geht dieser Fortschritt in das Unendliche. Und damit kommen wir zu dem Sinnproblem der Wissenschaft.

Vom Achsantrieb 1917 hat sich Wissenschaft 2018 auf den Auspuff verlagert. Wissenschaft produziert in vielen Disziplinen nur noch volatile Abgase. Viele wenn nicht sogar die meisten naturwissenschaftlichen Artikel sind nicht in 10, 20 50 Jahren veraltet, sondern bereits bei der Emission.


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Jahr um Jahr Mittelmäßigkeit nach Mittelmäßigkeit

Max Weber am 7.11.17 bei seinem berühmten Vortrag hier in München, Adalbertstr 15, in der Buchhandlung Steinke

Das akademische Leben ist also ein wilder Hazard. Wenn junge Gelehrte um Rat fragen kommen wegen Habilitation, so ist die Verantwortung des Zuredens fast nicht zu tragen. Ist er ein Jude, so sagt man ihm natürlich: lasciate ogni speranza. Aber auch jeden anderen muß man auf das Gewissen fragen: Glauben Sie, daß Sie es aushalten, daß Jahr um Jahr Mittelmäßigkeit nach Mittelmäßigkeit über Sie hinaussteigt, ohne innerlich zu verbittern und zu verderben? Dann bekommt man selbstverständlich jedesmal die Antwort: Natürlich, ich lebe nur meinem »Beruf«; – aber ich wenigstens habe es nur von sehr wenigen erlebt, daß sie das ohne inneren Schaden für sich aushielten.

So ist es.


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