18.3.2020
John Ioannides, ein Epidemiologe, den ich sehr schätze, äussert sich heute das erste Mal zur Covid-19 Pandemie.
Projecting the Diamond Princess mortality rate onto the age structure of the U.S. population, the death rate among people infected with Covid-19 would be 0.125%. But since this estimate is based on extremely thin data — there were just seven deaths among the 700 infected passengers and crew — the real death rate could stretch from five times lower (0.025%) to five times higher (0.625%). It is also possible that some of the passengers who were infected might die later, and that tourists may have different frequencies of chronic diseases — a risk factor for worse outcomes with SARS-CoV-2 infection — than the general population. Adding these extra sources of uncertainty, reasonable estimates for the case fatality ratio in the general U.S. population vary from 0.05% to 1%.
Die Diamond Princess würde ich wie Ioannides auch als ein einzigartiges großes Labor ansehen [1, 2, 3, 4, 5], wobei wir allerdings nicht genau wissen, wieviele der Passagiere nun endgültig gestorben sind. Aber gehen wir von 7 Toten von 700 Toten aus (eine Quelle sagt 8), dann sind wir bei 1% (realistisch ist wohl doch eher noch mehr).
Die Letalität von 1% kann man auch halbwegs für die infizierte Bevölkerung extrapolieren, denn die Passagiere sind zwar älter, aber im Altersdurchschnitt eben doch eher gesunde, reiche, ältere Herrschaften und nicht häufiger chronisch krank als der Querschnitt der Bevölkerung wie Ioannides meint. Dazu kommt die optimale Versorgung aller Erkrankten, die auch die Letalität senkt gegenüber der Situation in Italien, in der Triage notwendig ist. Sein Intervall zwischen 0.05% und 1% ist für eine Letalitätsangabe auch unüblich breit.
Schauen wir uns das Alter der Fälle an.
Die erwartet Mortalität liegt bei dem Alter der Diamond Princess Passagiere bei ca 1% pro Jahr, also 7 Personen. Allerdings sind die 7 Personen auf der Diamond Princess bereits innerhalb 4 Wochen verstorben, also eine hohe Übersterblichkeit.
Richtig schräg wird es dann am Ende des Artikels:
If we assume that case fatality rate among individuals infected by SARS-CoV- 2 is 0.3% in the general population — a mid-range guess from my Diamond Princess analysis — and that 1% of the U.S. population gets infected (about 3.3 million people), this would translate to about 10,000 deaths.
Die Zahl der Infizierten stimmt hier auch nicht, denn auf der Diamond Princess waren bei der letzten Erhebung 634 von 3063, also 20% infiziert. Hätte man das Schiff noch länger in Quarantäne gehalten, dann wäre die Zahl der Infizierten vermutlich auf 60%-70% gestiegen. Die Argumentation von Ioannides ist zudem extrem statisch und bildet nicht das dynamische Geschehen ab. Es geht hier nicht um chronische Erkrankungen (wo er den Großteil seiner eigenen Erfahrung bezieht), sondern um wechselnde Hotspots in der Bevölkerung, wo Mittelwerte wenig weiter helfen.
Lipsitch betont daher auch in seiner Replik: die Infektionsepidemiologie ist ein sehr spezielles Fach. Ein zweites Kontrollschiff liegt nun mal nicht daneben. Ioannides vertritt hier eine Aussenseitermeinung – die uns kaum weiter bringt, selbst wenn er Recht hätte – dafür aber massiven Schaden anrichtet, was die öffentliche Meinung zu Isolationsmassnahmen angeht “If I just found something no one else has, good chance I am wrong and they are right“. Warum Ioannides auch plötzlich in STAT schreibt? Weil PLoS das als Editorial abgelehnt hat?
Mein wichtigster Einwand zum Schluss: Ioannides ignoriert die aktuellen Daten aus den Intensivstationen, die noch nicht als Mortalität in den Statistiken erscheint, sondern nur als Case Reports. Das Gesundheitssystem in den westlichen Ländern ist nicht auf eine Pandemie eingestellt. Weder ist das Personal der Wachstationen noch ist die Bevölkerung immun, es gibt politisch kaum eine andere Wahl als Vorsorgemassnahmen bis man mehr weiss.
Seine Argumentation ignoriert dazu die Evidenz aus den Tierversuchen; sie ignoriert die Molekularbiologie. Ich werde den Verdacht nicht los, dass er sich hier in seinem eigenen (“Evidenz”)-Netz verheddert hat. Es gibt auch keine prospektive doppelblinde Studie, welche die Todeswahrscheinlichkeit eines Sprungs ohne Fallschirm beweist.
Nur bei seiner letzten Forderung würde ich ihm recht geben: uns fehlen grundlegenden Daten, ein Punkt den ich auch immer wieder angesprochen habe. Die Pandemie Situation erschwert es nur leider, diese Daten zu erheben.
What is the point of him writing this? He himself says there's no data, so his speculation on how what we are doing could be disastrous serves no purpose other than to give Covid severity deniers more ammo. He proposes no alternative solutions.
— Kelly (@Kelephant78) March 17, 2020
Ist bei der ganzen Geschichte nicht auch ein Stück Egomanie und Lust an der Provokation dabei? Ioannides sagt über sich selbst
Current citation rates suggest that I am among the 10 scientists worldwide who are currently the most commonly cited, perhaps also the currently most-cited physician. This probably only proves that citation metrics are highly unreliable, since I estimate that I have been rejected over 1,000 times in my life.
Why Some Published Ioannides’ Research Findings Are False…
Nachtrag 24.3.2020
Laut CDC (Zahlen vom 13.3. veröffentlicht am 23.3.) gibt es bereits 9 Tote. Die Zahl könnte sich noch erhöhen, da 37 noch auf Intensivstation liegen. In der Tat meldet der Worldometer heute 10 Tote mit noch 15 “critical ill”.