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Die Meinung der Epidemiologen (6000 Tote XI)

Joachim Müller Jung lässt in der FAZ “unabhängige” Experten zu Wort kommen.

Das „Science Media Center“, das unabhängig von klassischen Medien, Institutionen und Verbänden recherchiert, hat Stimmen internationaler Forscher eingeholt, die – anders als die Verfasser der Stellungnahme – mit der Erforschung der Gesundheitsgefahren von Luftschadstoffen befasst sind.

Unabhängig von klassischen Medien, wie geht das? Und Position beziehen, bereits im ersten Satz? Ich gehöre nicht zu den Unterzeichnern der Stellungnahme, aber natürlich haben viele der Unterzeichner auch zu Luftschadstoffen gearbeitet.

Trotzdem solle es jetzt nicht zu Wissenschaftsjournalismus gehen, sondern zu den Experten aus der Umweltepidemiologie. Ganz so unabhängig sind sie nicht wie angenommen, denn sie bekommen ihre Flugkosten, Vortragshonorare und Arbeitsgruppen nicht von der Autoindustrie bezahlt (was man gerade den Ärzten vorwirft), sondern von EU, WHO, BMBF oder UBA (vielleicht kann jemand mal die CO2 Bilanz der WHO Experten recherchieren?).

Und natürlich gibt es auch da ein Gefälligkeitsrecycling: das UBA braucht Positivergebnisse zum Existenznachweis. Was soll das Amt auch mit Negativberichten anfangen? (Das UBA könnte auch mal offen legen, warum es gerade eine bestimmte Arbeitsgruppe fördert). Eine unvoreingenommene Zusammenfassung des Berichtes wäre schliesslich auch gewesen “Es gibt keine erhöhte Mortalität”. WHO, EU und EPA raten davon ab, für NO2 Mortalitätsziffern zu publizieren, warum macht das dann das UBA?

Statt zu deeskalieren, die vielen Fehler des UBA Reports einzuräumen, gehen die Umweltepidemiologen nun  in den Gegenangriff. Sie merken nicht, dass sie damit in einen Skandal schlittern, der dem Epidemiologie Skandal vor 20 Jahren um nichts nach steht. Epidemiologen sind schon immer gern gegen die Toxikologen zu Felde gezogen (im Endeffekt geht die Diskussion ja auch um den Konflikt beider Disziplinen – erinnern wir uns an die Kritik der Affentests).

Die Toxikologie ist das ältere und wissenschaftlich arrivierte Fach, klassische Experimente sind eben schwer zu widerlegen. Und Stickstoffdioxid fällt als Gas eben doch mehr in die Domäne der Toxikologie. Statt sich aber nun um eine integrative Würdigung toxikologischer Positionen zu bemühen, war die Umweltepidemiologie immer schon eine eingeschworene und kritikresistente Fraktion, das zeigt sich jetzt in der Stellungnahme von Nino Künzli

Die Grenzwert-Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO beruhen auf der gesamten weltweit verfügbaren wissenschaftlichen Evidenz zu den Auswirkungen der Luftverschmutzung auf die Gesundheit. Diese experimentelle und epidemiologische Forschung schlägt sich allein in den letzten 30 Jahren in etwa 70.000 wissenschaftlichen Arbeiten nieder. Diese Literatur wird von großen interdisziplinären Fachgremien regelmäßig neu beurteilt. Die Herren Köhler, Hetzel (zwei der Autoren der Stellungnahme; Anm. d. Red.) und ihre Jünger sucht man in dieser Wissenschaftsgemeinde vergeblich. Sie haben noch nie zu diesem Thema geforscht, weshalb sie auch noch nie in wissenschaftlichen Gremien zu diesen Fragestellungen tätig sein durften. In diesen Gremien wird Sachwissen verlangt. Köhler, Hetzel und Co. verfügen über keinerlei epidemiologische Ausbildung, die sie dazu befähigen würde, die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Umweltepidemiologie sachkundig zu beurteilen. Das sogenannte ‚Positionspapier‘ dieser Ärzte entbehrt jeglicher wissenschaftlicher Grundlage und argumentativer Kohärenz. Leider fehlt Köhler, Hetzel und Co. nicht nur die Fähigkeit, diese Wissenschaft kritisch zu würdigen, sondern auch die Einsicht über die Grenzen der eigenen Kompetenzen.“

Künzli argumentiert

  • ad personam (“fehlt die Einsicht”)
  • macht sich unanfechtbar (“weltweit verfügbaren wissenschaftlichen Evidenz”)
  • nur seine peer group ist qualifiziert (“von großen interdisziplinären Fachgremien”)
  • welche die Qualifikationen vorgibt (“über keinerlei epidemiologische Ausbildung”)
  • und über Logik entscheidet (“entbehrt argumentativer Kohärenz”)

Irgendwie ist das wohl das genaue Gegenteil von dem was zur Kommunikation bei Krisen geraten wird.
Fakten sehen ich in der Stellungnahme allerdings nur wenige. Unter den polemisch bezeichneten “Jüngern” sind auch viele renommierte Lehrstuhlinhaber und frühere Koautoren von mir. Eine Zahl von 70.000 epidemiologischen Arbeiten zu Langzeiteffekten von NO2 bezweifle ich jedenfalls, oder wird hier jetzt auch alles in einen Topf geworfen? Es geht doch auch nicht um Quantität, sondern um Qualität.

Ich versuche das Problem an einem (weitgehend unpolitischen) Beispiel zu erklären. Zur Assoziation von Vitamin D Spiegel im Blut mit diversen Krankheiten gibt es eine riesige Zahl von Studien. Die genaue Zahl weiss ich nicht, vermutlich aber auch in der Grössenordung von 50.000 Studien. Es gibt so viele Studien, dass es insgesamt 74 Metaanalysen von Beobachtungsstudien und 87 Metaanalysen von randomisierten klinischen Studien erschienen sind. Wer soll das jemals noch überschauen? 2014 ist dann die wohl erste Metaanalyse der Metananalysen erschienen. Sie kommt zu dem Schluss, dass sich die in Beobachtungsstudien berichteten Effekte nicht in klinischen Studien beweisen lassen. Was auch immer inhaltlich dahinter steht, eines ist unmissverständlich: Qualitativ bessere Studien machen Studien mit geringerer Qualität obsolet.

Die Hierarchie der Evidenzlevel kann man auf Wikipedia nachlesen:

  • Stufe Ia: Wenigstens eine Metaanalyse auf der Basis methodisch hochwertiger randomisierter, kontrollierter Studien
  • Stufe Ib: wenigstens ein ausreichend großer, methodisch hochwertiger RCT
  • Stufe IIa: wenigstens eine hochwertige Studie ohne Randomisierung
  • Stufe IIb: wenigstens eine hochwertige Studie eines anderen Typs, quasi-experimenteller Studie
  • Stufe III: mehr als eine methodisch hochwertige nichtexperimentelle Studie wie etwa Vergleichsstudien, Korrelationsstudien oder Fall-Kontroll-Studien
  • Stufe IV: Meinungen und Überzeugungen von angesehenen Autoritäten (aus klinischer Erfahrung); Expertenkommissionen; beschreibende Studien
  • Stufe V: Fallserie oder eine oder mehrere Expertenmeinungen

70.000 Studien auf Stufe IV sind also nichts mehr wert, wenn es eine bessere Studie auf Stufe I gibt. Das verstehe ich unter “argumentativer Kohärenz”.

Schauen wir uns also nun den UBA Bericht noch einmal an. Schwierig zu sagen, ob das nun IV oder III ist. Ich entscheide auf IV, da nicht methodisch hochwertig. Schauen wir dann die letzte Studie zu “Background”-NO2 Wert von 40 µg/m3 an. Nach meiner Meinung ist das IIa.

(Die outcomes sind unterschiedlich, eingeräumt, aber es käme auch niemand auf die Idee die Toten in London zu zählen). IIa ist jedenfalls höher als IV, vergessen wir die 40 µg/m3.

Scholar Abfrage “traffic + health effects” 24.1.2019
Sie Exot! Sie Exot!

Die Meinung der Lungenfachärzte (6000 Tote X)

Es sieht so aus, als sei ich nicht ganz allein mit meiner Kritik an dem NO2 Grenzwert, wenn ich mir die Unterschriftenliste der 112 Lungenfachärzte im Netz ansehe.

Das stärkste Argument gegen die extrem einseitige Auswertung der [epidemiologischen] Studien ist jedoch eine Besonderheit, die nur beim Feinstaub und NOx vorliegt. Normalerweise müsste man zur Absicherung eines Grenzwertbereiches eine Expositionsstudie am Menschen durchführen mit höheren und niedrigeren Dosen. Das ist ethisch jedoch nicht vertretbar. Beim Feinstaub und NOx ist die Situation anders, denn die Raucher Inhalieren freiwillig außerordentlich hohe Dosen, so dass diese quasi freiwillig an einer riesigen Expositionsstudie teilnehmen.

Die Diskussion geht aber nun doch etwas durcheinander – ich würde vorschlagen, bei  dem ursprünglichen Thema NOx und Langzeiteffekte zu bleiben. Also weder NOx und Partikel zu vermischen, auch nicht Kurz- und Langzeiteffekte.

Wichmann in seiner “Expertise zu gesundheitlichen Risiken von Stickstoffdioxid” für Baden-Württemberg mit eindeutiger Aussage:

Quantitative Abschätzungen der Auswirkungen der NO2 Langzeitexposition auf die Mortalität: US-EPA und WHO/EU sehen die Datenlage für quantitative Aussagen zur vorzeitigen Todesfällen und verlorenen Lebensjahren als begrenzt an. Deshalb verzichtet US-EPA auf die Durchführung entsprechender Abschätzungen für NO2. WHO/EU empfiehlt solche Abschätzungen nur für Sensitivitätsanalysen und verweist darauf, dass NO2 möglicherweise ein Schadstoffgemisch repräsentiert und man nicht ausschließen kann, dass derartige Abschätzungen nicht die Wirkungen des NO2-Gases allein wiedergeben.

Schulz versteigt sich immer höher: “Die Grenzwerte sind sogar noch zu hoch”.

Bartens von der SZ hat sich etwas besonderes ausgedacht – er versucht Köhler persönlich zu diskreditieren. Wie auch bei letzten SZ Wissen Thema diverse Faktenfehler.

Derjenige, der Sinn und Höhe der Grenzwerte anzweifelt, ist Dieter Köhler, ein 70-jähriger Pneumologe, früher Chefarzt einer Lungenfachklinik im Hochsauerland und zwei Jahre Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (DGP). Köhler ist medienerfahren … Holger Schulz, Direktor des Instituts für Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum München, hat mehrere Studien zu den Gefahren durch Luftverschmutzung geleitet.

Jasper von Alternbockum trifft meine Meinung

Die Umweltpolitik ist besonders anfällig dafür, Wissenschaft zu verformen. Doch gerade auf diesem Feld ist die Politik auf Vertrauen angewiesen. Die Debatte um Diesel-Fahrverbote droht dies nachhaltig zu zerstören.

Nicht allzuviel Neues im Deutschen Ärzteblatt

Berlin – Lungenspezialisten haben eine kritische Überprüfung der Auswirkungen von Feinstaub und Stickoxiden auf die Gesundheit gefordert. In einer heute veröffentlichten Stellungnahme äußerte eine Gruppe von mehr als 100 Medizinern erhebliche Zweifel an der wissenschaftlichen Methodik bei der Festlegung der Grenzwerte. Zugleich drängen die Ärzte auf eine Neubewertung der Studienlage. Es gebe derzeit „keine wissenschaftliche Begründung für die aktuellen Grenzwerte“, hieß es in der Stellungnahme. Die Ärztegruppe kritisierte, die Daten zur Gefährdung von Luftverschmutzung seien „extrem einseitig“ interpretiert worden. Andere Faktoren wie Lebensstil, Rauchen, Alkoholkonsum oder Bewegung hätten weitaus stärkere Auswirkungen auf Krankheitshäufigkeit und Lebenserwartung.

Der Spiegel versucht sich an einer ausgewogenen Formulierung (die Betonung liegt auf versucht)

Auch wenn sich Argumente der Ärzte widerlegen lassen, für den wissenschaftlichen Diskurs ist der Beitrag sinnvoll. Es gehört zur Natur von Wissenschaft, Thesen, Ergebnisse und vor allem Interpretationen anzuzweifeln, andere Erklärungen anzubieten. Das heißt nicht, dass die Antithese der Wahrheit entspricht. Aber durch den Diskurs nähert man sich der Realität – mehr kann Wissenschaft ohnehin nicht bieten.

Und jetzt kommt leider der Rebound, den ich befürchtet habe:

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hält die Zweifel der Lungenärzte für gerechtfertigt. „Der wissenschaftliche Ansatz hat das Gewicht, den Ansatz des Verbietens, Einschränkens und Verärgerns zu überwinden“, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Die Initiative der 107 Fachmediziner sei ein wichtiger und überfälliger Schritt. Er helfe mit, „Sachlichkeit und Fakten in die Dieseldebatte zu bringen“.

Da nützt auch die gebetsmühlenartige Wiederholung  der Epidemiologen nichts (Handelsblatt), der ADAC will die Werte nun sogar gerichtlich überprüfen lassen. Das ZDF berichtet über den Verkehrsgerichtstag unter der Überschrift “Diesel-Fahrverbote unverhältnismäßig”:

Nach dem [geplanten] Gesetz sollen Fahrverbote nur noch in “besonders belasteten Gebieten” in Betracht kommen. Das sollen solche sein, in denen eine NO2-Belastung von über 50 Mikrogramm vorliegt. Bei geringerer Grenzwertüberschreitung (zwischen 41 und 50 Mikrogramm) sollen Fahrverbote in der Regel als unverhältnismäßig gelten. Wenn das Gesetz kommt, hätte dies erhebliche Folgen. Von 65 bislang von Fahrverboten bedrohten oder schon betroffenen Städten, blieben wohl nur noch 15 übrig.

Jetzt wird alles herausgekramt, zum Beispiel dass Fahrverbote weniger als gedacht bringen.

Ferdinand Dudenhöffer ist für klare Worte bekannt. „Diesel-Fahrverbote bewirken deutlich weniger als immer behauptet“, sagt der Direktor des CAR-Instituts an der Universität Duisburg-Essen.

So richtig informiert ist Köhler nicht, denn die Londoner Studie kennt er nicht.

Ja, sagte er auf eine Zwischenfrage Plasbergs, ja er würde bedenkenlos in eine Wohnung an einer vielbefahrenen Straße ziehen, nur der Krach würde ihn stören. Aus alten Daten würden neue Krankheitswerte abgeleitet, und leider sei niemand in der Lage, eine aktuelle Studie vorzulegen. Denn die koste 30 bis 50 Millionen Euro und dauere ewig, weil man ja warten müsse, bis die Menschen sterben.

Selbst das Geschütz der Grundrechtsverletzung wird aufgefahren. Und irgendwie streiten sich jetzt nur noch Kinder.

Joachim Müller-Jung in der FAZ diskreditiert Universitätspneumologen als “Fachärzte” und “Ärzte Aktivisten”, kann sich dabei nicht recht entscheiden ob sein eigener Satz

Grundsätzlich sind Grenzwerte zur Luftreinhaltung nicht das Ergebnis eines wissenschaftlichen, sondern eines politischen Prozesses.

denn nun stimmt oder nicht ist. Dann wirft auch er Stickoxide und Feinstaub in einen Topf, erfindet ein erhöhten Risiko für Asthmatiker und kleine Kinder (für was?) und bestreitet dass es auch Einwände von Epidemiologen gibt. Und treibt internationale Lungenärzte auf. Nur leider reden diese nicht über NO2 Werten, sondern über Partikel.

Die verunglückte Stellungnahme der Lungenärzte hin oder her:  der Wissenschaftsjournalismus erlebt damit auch gerade einen Tiefpunkt sowohl FAZ, SZ und SPON (wo man dazu ungeniert sein Buch promoten darf). Da fällt die Bildzeitung diesmal nicht mal negativ auf.

Obsoleszenz (6000 Tote IX)

Obsoleszenz ist die Zeitspanne, die ein Herstellers seinem Produkt gibt, bevor es kaputt geht. Und nachdem in Afrika viele Diesel mit über 1 Million km auf dem Tacho herum fahren, ist klar: der Diesel lebt länger, als von den Herstellern gewünscht.

Deswegen finden die Dieselhersteller es gar nicht schlecht, was die Umwelthilfe hier gerade veranstaltet. Sie finden es gar nicht schlecht, wie UBA und KBA plötzlich die Konjunktur unterstützt, so viel Support gab es noch nie von einem Ministerium. Sie finden es auch überhaupt nicht schlecht, wenn die Dieselfahrer (selbst die mit neuem Partikelfilter) auf einmal ein schlechtes Gewissen haben.

Denn jetzt können sie neue Autos verkaufen, wir leben schliesslich in einer Wegwerfgesellschaft. In Frankreich ist das absichtliche Verkürzen der Lebensdauer von Produkten eine Straftat.
Nichts anderes machen gerade die deutschen Behörden in großem Stil.

SPON heute

Fürs Klima ist [das] kontraproduktiv. Benziner verbrauchen mehr Sprit als vergleichbare Dieselmotoren und stoßen damit mehr Kohlendioxid (CO2) aus. Die 2018 zugelassenen Autos haben im Schnitt wohl mehr CO2 emittiert als 2017. Das legen die Zahlen bis einschließlich August nahe. Demnach emittierten die Wagen im Schnitt 130,1 Gramm CO2 pro Kilometer. Im selben Zeitraum in 2017 waren es 128 Gramm.

Wirklich? (6000 Tote VIII)

Das Kraftfahrbundesamt schickt mir einen Brief letzte Woche, den auch 1,5 Millionen andere Besitzer eines Diesels  bekommen haben. Und der auch schon entsprechend kritisiert wurde

In dem Brief werden nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums Halter älterer Diesel darüber informiert, dass ihr Wagen in einer Region zugelassen ist, in der ein Jahresmittelwert von 50 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft überschritten wird und ihr Wagen nicht der neuesten Abgasnorm entspricht. Es handele sich um ein “reines Informationsschreiben”. Die Halter werden darin auch auf Umweltprämien und Hardware-Nachrüstungen in besonders belasteten Regionen hingewiesen. Zugleich werden Hotlines und Internetauftritte von BMW, Daimler und VW genannt. Es heißt aber auch: “Es bleibt ihnen unbenommen, sich auch bei anderen Herstellern über laufende Umtauschaktionen zu informieren.” Der ADAC warnte nun, viele Betroffene verstünden die Briefe des Kraftfahrtbundesamts als “einseitige Werbeaussage zugunsten der genannten Hersteller”. ADAC-Technikchef Reinhard Kolke schrieb an den Vorsitzenden des KBA-Beirats, Karsten Lemmer, einige Halter hätten den Brief so verstanden, dass man drohende Fahrverbote nur durch Umtausch des Autos bei BMW, Mercedes oder VW vermeiden könne.

Mal abgesehen davon , dass es eine unverhohlene Werbung für BMW,  Daimler, VW ist, hat sich das KBA auch mit dem Grenzwert verhauen.
Wer soll mich eigentlich in den neuen UHZ (“Umwelthilfezonen”) kontrollieren? Die Polizei wohl nicht, denn sie selbst ignoriert die Anti-Dieselkampagne von KBA und UBA (siehe www.behoerden-spiegel.de).

Die für Beschaffungen bei den Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) Verantwortlichen lassen sich offenbar auch von der derzeitigen Diskussion um Dieselfahrzeuge und ihre Emissionen nicht beirren. Sie erwerben oder leasen für Polizeien und Feuerwehren in ganz Deutschland weiterhin zahlreiche derart angetriebene Personen- und Lastkraftwagen. So beträgt der Anteil von Fahrzeugen, die mit einem Dieselmotor ausgestattet sind, bei der bayerischen Polizei 88 Prozent. Von rund 8.400 Kraftfahrzeugen werden etwa 7.350 auf diese Art und Weise angetrieben.

 

 

Eine sinnvolle Verkehrspolitik (6000 Tote VII)

Die Strategie müsste eigentlich klar sein auch ohne NO2 Diskussion. Denn neben Luftverschmutzung spielen auch Aspekte wie Unfalltote, Energieverbrauch, Platzverbrauch, etc eine Rolle bei der Bewertung des motorisierten Indivudalverkehrs.  Die meiste Zeit steht man mittlerweile sowieso als Pendler im Stau.

Es ist wie mit den Tierversuchen: “Reduce, refine, replace”.

  • „reduce” weniger und weniger schnell Auto fahren, zum Beispiel durch Geschwindigkeitslimits und Home Office
  • mit „refine” echte Innovationen, wie den XL1 oder das  C1, oder auch nur mehr Sharing Angebote
  • „replace” Radverkehr Trassen wie in Berlin und nicht so alberne Radlhauptstadt Kampagnen – da ist ja BMW schon weiter als die Politik

All das würde die Luft weiter verbessern, das wäre ehrlich und nachhaltig. Selbst Söder will jetzt Klimaschutz in die bayrische Verfassung aufnehmen, dann kann München endlich aus Klimaschutzgründen auf Citymaut verklagt werden ;-)

Das Killer Argument gegen den NO2 Grenzwert (6000 Tote VI)

Nun also etwas mehr zu dem “Diesel”-“WHO”-“Background”-NO2 Wert von 40 µg/m3.

Man müsste mal bei REVIHAAP 2013 oder besser noch
WHO Air quality guidelines 2005
bzw 2002 nachschauen, wie denn dieser Wert zustande kam. Die 1987 WHO guidelines gibt es leider nicht online, was aber unwichtig ist, denn 2002 waren es noch 100 µg/m3. Also schauen wir 2005. Und voila, da sind es nun 40 µg/m3!

Allerdings schränkt die WHO den Wert massiv ein, Zitat:

Numerous epidemiological studies have used NO as a marker for the cocktail of combustion-related pollutants, in particular, those emitted byroad traffic or indoor combustion sources. In these studies, any observed health effects could also have been associated with other combustion products, such as ultrafine particles, nitrous oxide (NO), particulate matter or benzene. Although several studies – both outdoors and in- doors – have attempted to focus on the health risks of NO2, the contributing effects of these other, highly correlated co-pollutants were often difficult to rule out.

Und wenn man weiter liest:

Long-term exposures. There is still no robust basis for setting an annual average guideline value for NO2 through any direct toxic effect. Evidence has emerged, how- ever, that increases the concern over health effects associated with outdoor air pollution mixtures that include NO2. For instance, epidemiological studies have shown that bronchitic symptoms of asthmatic children increase in association with annual NO2 concentration, and that reduced lung function growth in children is linked to elevated NO2 concentrations within communities already at current North American and European urban am- bient air levels. A number of recently published studies have demonstrated that NO2 can have a higher spatial variation than other traffic-related air pollutants, for example, particle mass.

Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass man statt der volatilen NO2 Werte besser Verkehrszählungen wie bereits 1993 genommen hätte. Man könnte mit automatischer Kennzeichen Erkennung direkt die Emissionen eines Fahrzeugs errechnen, wenn das vom Datenschutz möglich ist.

Und das Killer Argument? Es gibt seit Anfang des Monats eine empirische Widerlegung des Grenzwertes aus der grössten verkehrsberuhigten Zone der Welt.

 

 

Wohnten zu Beginn noch 99% der Kinder in einer Londoner Region mit >40 µg/m3, waren es am Ende nur 34%. Und was  passierte in dem Zeitraum?

 

Das wichtigste Outcome ist in Abbildung 4C

 

Nicht viel, die Auswirkung von NO2 auf die Lungenfunktion war nie signifikant, meist war der FEV1 erniedrigt, einmal erhöht. Wenn ich nun die Werte aus beiden Tabellen herausziehe und die Daten mit R plotte,

ds <- data.frame("year" = 2009:2013, "homeDFEV1" = c(0, -.0005, -.0007, .0003, -.00015), "pctNOgt40" = c(99,75,21,69,34))
ggplot(ds, aes(x=pctNOgt40, y=homeDFEV1, label=year)) + geom_point(color="blue", size=5) + geom_text(size=10, color="blue", ,hjust=.5, vjust=1.5) + geom_smooth(method='lm',se=FALSE) + xlim(0,105) + ylim(-0.0008,0.00035) + clean_theme(base_size = 25)

 

A reanalysis of MUDWAY 2019 (doi:0.1016/S2468-2667(18)30202-0) using FIG 4C FEV1 values on the y-axis and % children in region >40 µg/m3 NOon the x-axis by examination year. It clearly shows effect sizes towards null with increasing number of highly exposed children.

 

dann sehen wir, dass mit zunehmender Zahl der Grenzwert Überschreitungen der Effekt auf die Lungenfunktion  (FEV1 Änderung pro Einheit NO2) gegen Null geht. Dabei hätte ich doch angenommen, die Auswirkungen werden grösser, wenn wir in einer höhere Expositionsklasse sind. Der Grenzwert von 40 µg/m3 NOist also empirisch sinnlos. In London. Für Kinder.

q.e.d.

p.s.

Ich frage mich, warum ich mir überhaupt die Mühe gemacht habe, etwas über den NO2 Grenzwert ausfinden zu machen. Denn dass es ein “politischer” Grenzwert ist, wiedie 20% Reduktion von Treibhausgas die das Kyoto-Protokolls der EU  bis 2020 vorschreibt, ist doch klar, wenn man zur NO2 nachliest

Bei Inkrafttreten des Grenzwerts … im Jahr 2002 galt für diesen Jahresgrenzwert noch eine Toleranzmarge von 16 µg/m3. Sie verminderte sich ab 1. Januar 2003 bis zum 1. Januar 2010 stufenweise um jährlich 2 µg/m3. Seit 2010 ist die Toleranzmarge entfallen und der Jahresgrenzwert von 40 µg/m3 ist verbindlich einzuhalten.

Warum gibt es aber nur diese Differenzen (wie in der kürzlichen ARD Doku) zwischen den “arrivierten” Epidemiologen des UBA und den “subalternen” Kritikern aus der Medizin? Den Graben zwischen statistischen Modellen und gesundem Menschenverstand? Geht es womöglich nicht um die Sachfrage, sondern um mit “Wissenschaft” direkten politischen Einfluss zu nehmen? Womansplaining?

Wittgenstein (6000 Tote V)

Bevor die Serie langsam auf die Ziellinie kommt, hiernach  ein mehr erkenntnistheoretischer Einwurf aus einem SZ Artikel über Wittgenstein’s “Blaues Buch” 1933/34, mit dem seine Spätphilosophie begann.

Den Siegeszug der künstlichen Intelligenz, der generativen Grammatik und der Gentechnologie hat Wittgenstein nicht mehr erlebt. Aber [Wittgenstein] hat die Probleme gesehen und zu klären versucht, die unseren Verstand unauflösbar verknoten würden, wenn wir nicht mehr unterscheiden könnten, was echt oder simuliert ist, menschliche Wirklichkeit oder maschinenartiges Modell, tatsächlich der Fall oder bloß Fake.

Statisches Modellieren kann, muss aber mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben.

Die UBA Quantifizierungsgrenze (6000 Tote IV)

Die UBA PR in eigener Sache – nachdem die Medien ja doch alles verdrehen

NO2 ist in dem Konzentrationsbereich 20 μg/m3 nicht toxisch. Wie die Wikipedia so schön schreibt “die Berechnung der Krankheitslast basiert dabei auf Stickstoffdioxid als Markermolekül für Gesundheitsschäden”. Also ein Marker – und wie mit dem Marker in dem UBA Bericht umgegangen wird, steht auf Seite 121 von abschlussbericht_no2_krankheitslast_final_2018_03_05 in der Abbildung 19

An der per definitionem festgelegten “Quantifizierungsgrenze” hängt letztendlich der ganze Effekt. Nach Aussage der Autoren wird bei einer Grenze von 10 μg/m3 für ca. 82 % der Einwohner Deutschlands ein gesundheitliches Risiko angenommen, bei  20 μg/m3 aber nur für 22%. Allerdings rauschen bei 20 μg/m3 die YLL in den Keller und niemand hätte den Bericht je angesehen.

Problematisch ist dazu auch dass die EWF (Expositions-Wirkungs-Funktion) dabei NUR aus  epidemiologische Studien bezogen wird –  Tierstudien, in-vitro-Versuche und toxikologische Studien werden einfach ignoriert.

Und warum in den  Datenbanken nur ab 01.09.2014 gesucht wurde? Da waren die Werte wohl zu hoch?

 

 

Ökologische Analyse (6000 Tote III)

5.771 mal zitiert: Robinson’s “Ecological Correlations and the Behavior of Individuals”

The relation between ecological and individual correlations which is discussed in this paper provides a definite answer as to whether ecological correlations can validly be used as substitutes for individual correlations. They cannot. While it is theoretically possible for the two to be equal, the conditions under which this can happen are far removed from those ordinarily encountered in data. From a practical standpoint, therefore, the only reasonable assumption is that an ecological correlation is almost certainly not equal to its corresponding individual correlation.
I am aware that this conclusion has serious consequences, and that its effect appears wholly negative because it throws serious doubt upon the validity of a number of important studies made in recent years. The purpose of this paper will have been accomplished, however, if it prevents the future computation of meaningless correlations and stimu- lates the study of similar problems with the use of meaningful correlations between the properties of individuals.

Zum Wohle der Geschichte (6000 Tote II)

uebermedien.de geht heute dem Times Titelbild nach, das die Verstümmelung einer jungen hübschen Frau mit den Taliban und der westlichen Truppen-Stationierung in Verbindung bringt.

Man könnte behaupten, dass „zum Wohle der Geschichte“ die Narrative des barbarischen Taliban-Kämpfers, der seine Ehefrau unterdrückt, eben besser herhielt als ein brutales „Familiendrama“ […], welches keinen politischen Hintergrund besaß und obendrein nicht mit der Stationierung westlicher Truppen in Verbindung gebracht werden konnte.

Was das mit dem Dieselskandal in Deutschland zu tun hat? Nichts.

Oder doch. Auch hier wurden “zum Wohle der Geschichte”  vom Umweltbundesamt, einigen Wissenschaftlern und der Umwelthilfe Tote erfunden.

Es macht Sinn, den motorisierten Individualverkehr aus den Städten zu verbannen, das ist für mich keine Frage, spätestens seit meiner eigenen Studie in München. Die epidemiologischen Studien geben aber keine Evidenz für die aktuellen NO2 Grenzwerte her.

Epidemiologie hat sich wieder mal – wie bei Taubes 1995 – bis auf die Knochen blamiert. Ökologische Studien können viellecht zur Hypothesengenerierung dienen, aber nicht als Entscheidungsgrundlage; Google Stichwort hier ist “ecological fallacy“.

Es ist nicht im Wohl der Allgemeinheit und auch nicht zum Wohl der Umwelt, jetzt alle funktionsfähigen Diesel zu entsorgen und mit Elektrofahrzeugen zu ersetzen. Im Gegenteil, es ist eine gigantische Ressourcenverschwendung, die allenfalls dem Wohle der Industrie dient.

Siehe auch die neue ARD Doku  “Irrtümer lassen sich nicht dauerhaft durchhalten”.

Doku im Ersten: Das Diesel-Desaster am 7.1.2019

Die Euro-3-, Euro-4- und Euro-5-Norm machen über 70 Prozent der 15 Millionen Fahrzeuge des deutschen Dieselbestands aus. Mit der Verlagerung von Diesel auf Benzin oder Elektro haben wir dann eben morgen eine Ozon, Partikel, VOC oder Lithium Debatte.  Aber in der Zwischenzeit haben die Deutschen dann aber 10 Millionen neue Autos gekauft, vermutlich grössere und stärkere mit mehr CO2 Ausstoss aber dunkelgrüner Plakette. Das hat dann die von der Autoindustrie gesponserte Umwelthilfe perfekt hinbekommen.  Es ist einfach ein cleverer Schachzug wie die Industrie hier auch noch an den Grenzen des Wachstums Geschäfte machtl und dabei auch noch von der Regierung unterstützt wird. Weniger Autos, das würde die Luft weiter verbessern, das wäre ehrlich und nachhaltig. Aber nicht pseudowissenschaftliche NO2 Grenzwerte.

Um auf den Anfang zurückzukommen: Nach dem Abzug der US Truppen wird die Gewalt gegen Frauen bestehen bleiben, wenn es eben keine politisch motivierte sondern ganz alltägliche Gewalt gegen Frauen ist. Im Gegenteil, die Gewalt könnte noch viel mehr ausbrechen, nachdem die Taliban nun wieder völlig freie Fahrt haben.

“Das Gegenteil von gut ist gut gemeint” (Gottfried Benn).

Auf Englisch “The way to hell is paved with good intentions”.

Auf französisch “L’enfer est plein de bonnes volontés ou désirs” (Bernard de Clairvaux).

Von Pettenkofer und die Cholera

Die neue Pettenkofer Biographie (“Max von Pettenkofer: Pionier der wissenschaftlichen Hygiene (Kleine Bayerische Biografien”) von Wolfgang G. Locher lässt doch einige Fragen offen, wenn das komplette Privatleben auf nur 3 Seiten (S. 31-33) abgehandelt wird.

Aber auch von der wissenschaftlichen Seite hätte man sich mehr Informationen gewünscht. Warum kann nur ein so begabter Chemiker so lange eine falschen Theorie vertreten?

Im Zusammenhang mit dem berühmten Zwiestreit mit Robert Koch über die Ursache der Cholera schluckte Pettenkofer am 7. Oktober 1892 sogar eine Kultur von Cholera-Bakterien. Er kam mit einer heftigen Diarrhöe davon  … erheblich größerer Bedeutung für die Entstehung einer Krankheit als die bloße Anwesenheit von Krankheitserregern. Allerdings irrte er insoweit, als er ein bestimmtes „contagiöses Element Y“ (Miasma) annahm, das – gleich einer chemischen Reaktion – die Entstehung einer Krankheit erst ermöglichte

Sind es verschiedene Cholera-Erreger? In der Tat, es gibt über 200 Serogruppen wovon nur O1 und O139 epidemisch auftreten. O1 El Tor wird wohl immer wieder aus Asien nach Afrika eingeschleppt. Und von Pettenkofer lag mit seine Miasmen also nicht völlig daneben, wenn Weil und Ryan 2018 Recht haben

V. cholerae persists in the environment by associating with zooplankton or copepods, and for this reason has classically been considered ineradicable.
The current seventh pandemic has persisted for more than 50 years, and has been punctuated by episodes of emergence and re-emergence of cholera in areas lacking modern sanitation.

Man müsste also mal die historischen Outbreaks auf Planktonvorkommen untersuchen, denn nur wo es ein Reservoir gibt, kann die Cholera Ausbruch kommen, wobei auch hochinfektiöse Patienten als Reservoir fungieren.

Es bleibt die Frage, ob esdenn  genetisch bedingte Resistenzen gibt?

Many risk factors for infection are based on fecal- oral spread of V. cholerae. Well established additional factors contributing to susceptibility include lack of previous exposure to V. cholerae, blood group O status, and low gastric pH. Several genetic polymorphisms have been associated with susceptibility to disease in the last decade, and this work has been extended using whole genome sequences from humans exposed to V. cholerae over several centuries. In this study, the genomes of ethnic Bengalis from Bangladesh were enriched for … the nuclear factor kappa-light- chain-enhancer of activated B cells.

Pettenkofer hat damit doch wohl doch recht behalten, wir müssen ihm mal ein paar Blumen auf das Grab lege, Feld 49 auf dem alten südlichen Friedhof unterhalb des Sendlinger Tores.

Ratatouille der Gedanken

Silvia Strahm spricht mir aus der Seele wenn sie in ihrem neuesten Beitrag auf feinschwarz.net fragt, was bleibt denn vom Denken, Nachdenken, Hinterfragen in Zeiten der Meinungen, der Informations- und Wissensflut?

Ich war einmal ein denkender Mensch, vor vielen Jahren. Ich hatte viel gelernt, über alles Mögliche und über viel Unmögliches auch, habe Schul- und andere Weisheiten erworben, nachgedacht über das Leben und die Welt im Allgemeinen und im Besonderen. Das war anstrengend, beglückend, manchmal schwindelerregend, aber das Werkzeug hatte ich beisammen, alles war da, dem, was geschah, geschehen war und noch im Gang, ordnend beizukommen.
Geblieben davon ist das Hantieren. Mit den Werkzeugen. Die habe ich behalten. Immer wieder etwas geputzt und geschliffen, aber im Grossen Ganzen sind es noch dieselben.
Geändert hat sich trotzdem alles.

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Ein Besuch in Auschwitz

Und hier stehen wir, gefangen und eingesperrt in ein Paradox: Wenn solche schrecklichen Dinge geschehen, wie können wir an Gott glauben? Aber wenn wir nicht an Ihn glauben als den Maßstab, der unsere menschlichen, bestialischen, animalischen Neigungen übersteigt und von uns verlangt, mehr zu sein als wir sein möchten, warum protestieren wir so sehr? Wir lehnen uns auf, weil wir wissen, dass wir mehr sind als das, als was wir uns sehen, dass wir ständig danach streben müssen, mehr zu sein als wir sind, dass die menschliche Geschichte nicht weitergehen darf wie bisher. (Eugene Borowitz: Facing Up to It, S.16).

Selektion an der Rampe. Historisches Foto am Originalschauplatz, Auschwitz II Birkenau 2017.
Birkenwald hinter Stacheldraht. Nordostgrenze Auschwitz II Birkenau 2017.
Stacheldrahtzäune. Auschwitz I Stammlager 2017.
Arbeit macht nicht frei. Eingang KL Auschwitz 2017.
Geöffnete Cyclon B Dosen. Tesch & Stabenow war ein branchenführendes Unternehmen bei der Schädlingsbekämpfung. Es belieferte das Lager mit dem Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon B, das zur massenhaften Tötung von Menschen ab Ende 1941 im Stammlager eingesetzt wurde. Auschwitz 2017.

 

 

Wir lehnen uns auf sagt Borowitz, eigentlich im Rückgriff auf Kant

Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir (Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, Kap. 34)

mit einer Argumentation die auch Rabbi Schneerson vertritt

Der Holocaust hat entschieden jeden möglichen Glauben an eine nur auf den Menschen gegründete Moral widerlegt. Im Vorkriegs-Europa war es das deutsche Volk, das Kultur, wissenschaftlichen Fortschritt und philosophische Moral verkörperte. Und dieses selbe Volk verübte die schlimmsten bekannten Gräueltaten der menschlichen Geschichte! Spätestens der Holocaust hat uns gelehrt, dass eine moralische und zivilisierte Existenz nur möglich ist durch den Glauben an eine göttliche Macht. Unsere Empörung, unsere unablässige Infragestellung Gottes wegen der Ereignisse – dies ist selbst ein starkes Zeugnis für unseren Glauben und unser Vertrauen in seine Güte. Denn wenn wir nicht in unserem Innersten diesen Glauben besitzen würden, worüber sollten wir uns dann empören? Über das blinde Wirken des Schicksals? Die zufällige Anordnung von Quarks, aus denen das Universum besteht? Nur weil wir an Gott glauben, nur weil wir überzeugt sind, das es Richtig und Falsch gibt, und daß das Richtige am Ende triumphieren muss und wird, nur deswegen rufen wir wie Moses: ‚Warum, mein Gott, hast du deinem Volk Böses getan? (Menachem Mendel Schneerson www.chabad.org/library)

Oder um es mit Job zu sagen (Barth/Gollwitzer oder besser noch Türcke): Jahwe und der Teufel sitzen gemeinsam im Himmelssaal, das Leiden umsonst, vergeblich, zu nichts gut, und unverschuldet obendrein.