Wenn die erhöhte Leukämierate nach Abschaltung eines Kernkraftwerks zurückgeht, dann war es eben doch das Kernkraftwerk die Ursache. Beginnen wir also mit der hochgradig umstrittenen Forschung zu kindlichen Leukämien in der Elbmarsch.
Es war natürlich falsch, was mein damaliger Institutsleiter behauptete, daß alles nur “natürliche Schwankungen” gewesen seien. Man muss Wichmann allerdings zugute halten, daß er weder eine epidemiologische Ausbildung noch Erfahrung in der Krebsepidemiologie hatte. Ihm wurde auch umgehend widersprochen, etwa durch Schmitz Feuerhake. Es gab dann viele Kommissionen und unzählige Studien, sinnvolle und weniger sinnvolle. Briefe an das Ärzteblatt, jeder musste sein Meinung äussern.
Waren es etwa Pestizide? Entwichene Radioaktivität bei bekannten Störfällen? Erhöhte Hintergrundstrahlung? Nach aussen getragene Kontamination durch Arbeiter? Elektromagnetische Felder? Gesteigerte Infekthäufigkeiten? Abfall aus der GKSS in der näheren Umgebung? Oder Toluol – Überreste einer Dynamitfabrik? Oder sonstiges Emissionen aus einer Chemiefabrik?
Referenz ist immer noch die Kikk Studie (Original, Version Ärzteblatt, Kommentar SSK, IPPNW), nachdem die früheren Mainzer Studien alle mehr oder weniger einen Spin hatten. Der Kikk Artikel schliesst aber dann mit einer eigenartigen Schlussfolgerung
ein direkter Zusammenhang mit der Strahlung [ist ] unplausibel. Viele eventuell miteinander kombinierte Faktoren sind als Krankheitsursache denkbar und treten möglicherweise in der Umgebung deutscher Kernkraftwerke gehäuft auf.
Nicht minder eigenartig ist die Reaktion des Kikk Studienleiters
Dabei sprach das Ergebnis doch eindeutig für Effekte in der Nahzone, zumal auch die biologische Dosimetrie in die Richtung ging. Die Diskrepanz, daß die SIR (standardized incidence ratios) im Ärzteblatt Artikel nicht erhöht war, lag an der Definition von Erkrankungsraten auf Verwaltungsebene (dh Gemeinde- oder Landkreisebene) zu der bundesdurchschnittlichen Erkrankungsrate. Es ging ja in Kikk nicht um Landkreise, sondern um Abstandskreise.
Die SIR lag nach Revision auch in Krümmel so Russo et al. für alle Leukämien bei 1.98 (1.17-3.34). Von allen deutschen AKWs hatten im übrigen nur Krümmel und Unterweser die signifikanten erhöhten Leukämieraten. Beide AKWs waren Siedewasserreaktoren der KWU. Dieser Reaktor Typ hat mehr Strahlung im gesamten Reaktorsystem, weil auch die Turbine durch direktem Kontakt mit Reaktorwasser kontaminiert ist.
So gab es einen Zwischenfall am 12.9.1986 mit erhöhter Radioaktivität im AKW Krümmel, die angeblich von aussen angesaugt wurde. Augenzeugen berichteten von einem Brand mit Feuerschein auf dem Gelände des benachbarten GKSS- Forschungszentrums, die GKSS bestreitet dies, Unterlagen der Feuerwehr sind verloren gegangen. Möglich ist also, daß es einen nicht aufgeklärter Störfall gab.
In Richtung meiner vorgeschlagenen ex juvantibus Auswertung geht auch Russo et al. leider nur bis in das Jahr 2019. Wie zu erwarten, fällt aber die SIR von 1.34 im Referenz-Zeitraum als noch alle deutsche Reaktoren liefen, zurück auf 1.06 im Zeitraum nach 2011 als das AKW abgeschaltet wurde.
Denn 2011 erlosch nach Fukushima die Betriebsgenehmigung in Krümmel. 2015 kündigte Vattenfall den Rückbau der Anlage an, er soll nun bis 2040 dauern. Einschränkend kommt daher noch dazu, daß immernoch 19 Castor Behälter mit hoch radioaktivem Material in dem aufgelassenen AKW stehen. Der letzten Einzelbrennstab wurde erst 2019 entfernt. Neben den geschätzt 500.000 m³ Abfall insgesamt (inkl. Bauschutt, Metalle etc.), 20.000 m³ schwach- und mittelradioaktiver Abfall (z. B. Rohre, Pumpen, Filter) stehen noch 3.000 m³ hochradioaktiver Abfall (z. B. Reaktordruckbehälter, Steuerstäbe) herum – immerhin war dies der ehemals größte Siedewasserreaktor der Welt.
