Das letzte Beispiel in dieser Reihe stammt aus Montchavin. Montchavin wurde vor kurzem durch einen Atlantic Artikel weiter bekannt, die Geschichte reicht allerdings weiter zurück, der Tagesanzeiger brachte sie schon vor 2 Jahren. Veröffentlicht ist sie ansonsten auch in einem neurologischen Journal.
In dem kleinen französischen Alpendorf in den Savoyen wurde eine ungewöhnlich hohe Anzahl von Fällen der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) festgestellt, einer seltenen und tödlichen Nervenkrankheit. Zwischen 2000 und 2013 erkrankten 14 Personen in oder in der Nähe des 200-Einwohner-Dorfes an ALS, was weit über dem statistisch erwarteten Durchschnitt liegt. Die Betroffenen waren nicht miteinander verwandt, lebten jedoch alle seit ihrer Kindheit in Montchavin.
In seltenen Fällen kann ALS erblich sein. Doch die in Montchavin betroffenen Personen waren nicht blutsverwandt. Dennoch waren sie auf vielfältige Weise miteinander verbunden: Manche arbeiteten zusammen, andere unternahmen in der Freizeit gemeinsam etwas, einige wohnten im selben Haus. Auch ein Ehepaar war unter den Erkrankten: Zuerst traf es den Mann, sieben Jahre später litt auch seine Ehefrau an ALS. Alle Betroffenen lebten seit frühester Kindheit in Montchavin. Auch zwei Touristen waren betroffen. Als die Erkrankungsserie nicht abriss – bis 2013 waren dort bereits fünf Personen an ALS erkrankt –, wurden auch die Behörden stutzig.
Die Ermittlungen konzentrierten sich zunächst auf Umweltfaktoren wie Schwermetalle aus früheren Bergbauaktivitäten, Pestizide oder andere Umweltgifte, jedoch ohne Erfolg. Ein entscheidender Hinweis kam 2017 von einem US-Neurotoxikologen, der fragte, ob die Erkrankten “falsche Morcheln” (Giftlorcheln) konsumiert hätten. Diese Pilze enthalten Hydrazone, die beim Abbau im Körper giftige Substanzen freisetzen und Nervenschäden verursachen können.
Weitere Untersuchungen im Sommer 2018 ergaben, dass 13 der 14 ALS-Patienten regelmäßig Wildpilze, insbesondere Riesenlorcheln, gesammelt und verzehrt hatten, oft in großen Mengen. Einige berichteten von Symptomen wie Schwindel, Gefühlsstörungen, Erbrechen oder Durchfall nach dem Verzehr, die sie jedoch nicht als Vergiftung deuteten. Die ersten ALS-Symptome traten alle erst fünf bis zwanzig Jahre später auf.
Heute isst natürlich niemand mehr diese Pilze. Aber es wird noch viele Jahre dauern, um tatsächlich ex juvantibus sagen zu können, dass es die Ursache war.