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Zur Geschichte der Heilpraktiker

Der im letzten Jahr verstorbene und nicht unumstrittene Münchner Toxikologie Daunderer schrieb auf seiner toxcenter Webseite über das Heilpraktikerwesen als ungeliebtes Hitlererbe:

Kritiker halten die Existenz des Heilpraktikerberufs für einen Betriebsunfall der deutschen Geschichte. … Weil Deutschland im frühen 19. Jahrhundert den Trend zum Zentralstaat verpennt hatte, gab es bis weit ins 20. Jahrhundert hinein keine einheitliche Regelung dazu, was in deutschen Landen unter einem Heilberuf zu verstehen sei. Heilen durfte, wer von seinem Fürsten die Erlaubnis bekam. Erst die Nazis sahen hier Regulierungsbedarf und schufen mit sicherem Gespür für monströse Wortschöpfungen die Reichsheilpraktikerschaft. Dadurch wurden tausende medizinische Therapeuten im Gebiet des Deutschen Reichs ohne ärztliche Ausbildung auf einen Schlag legalisiert. “Der Hintergedanke war, möglichst keine neuen Heilpraktiker mehr zuzulassen und unsere Zunft auf diese Weise aussterben zu lassen”, sagt Arne Krüger vom Fachverband Deutscher Heilpraktiker. [Der Text stammt vermutlich nicht von ihm selbst, sondern von Philipp Grätzel von Grätz, 2006, Heilpraktiker – ein Beruf wie ein Leberkäs].

Selbst wenn es nicht so war, es passt  recht gut in die NS Ideologie, wie auch Andreas Brieschke schreibt:

Es … ließen sich große Teile der “zurück zur Naturbewegung” von der Blut-und-Boden-Ideologie der Nazis einfangen und für die sogenannte Neue Deutsche Heilkunde instrumentalisieren. Die an sich richtigen präventiven Ansätze der weitgehend unpolitischen Naturheilkundler wurden so für die Stählung des deutschen Menschen umgedeutet und Gesunderhaltung zur “Pflicht des Einzelnen gegenüber dem Volkskörper”. Die Weiterführung dieser Gedanken führte dann zur Euthanasie.
Die Einbindung der Laienbehandler in die NS-Gesundheitspolitik und deren Legalisierung war in der NSDAP stark umstritten, gab es doch neben den Natur und Mythen verherrlichenden Teilen auch die der (pharmazeutischen) Industrie zugewandten Strömungen. Sie führte erst im Februar 1939 zum Erlass des Heilpraktikergesetzes.

Auch wenn zunächst geplant war, keine Heilpraktiker mehr zuzulassen, misslang das Vorhaben. Dies nicht zuletzt auch durch das Ansehen der jüdischen Ärzte und Professoren, die allesamt ihre Approbation verloren hatten, sich nun notgedrungen als Heilpraktiker betätigen mussten und damit zu Unrecht den Heilpraktikern Ansehen erwarben.. Dann aber ging der Nationalsozialismus unter, wie Daunderer weiter ausführt.

Das Heilpraktikergesetz hatte Bestand. Die Bundesrepublik Deutschland allerdings beschloss, dass ein Zulassungsverbot für Heilpraktiker verfassungswidrig sei. Fortan wurden die Heilpraktiker im Westen Deutschlands nicht mehr gesetzlich verhindert, sondern gesetzlich protegiert. Lediglich die DDR schaffte den Beruf ab, mit der Folge, dass zum Zeitpunkt, als die Mauer fiel, noch genau elf Heilpraktiker im Osten aktiv waren, allesamt solche, die schon vor der Staatsgründung der DDR ihren Job angetreten hatten… Als ein gewisses Korrektiv zur Verhinderung der totalen Willkür sehen die Verbände die nicht ganz einfache Heilpraktikerprüfung. Hier fallen regelmäßig 75 bis neunzig Prozent der Bewerber durch, vor allem solche mit Minimalausbildung. Auch das aber kann Beobachter von jenseits der deutschen Landesgrenzen nicht tiefer beeindrucken: “In Österreich stehen Ärzte und Gesundheitspolitiker dem Beruf des Heilpraktikers sehr skeptisch gegenüber. Wir vertreten die Auffassung, dass nur derjenige Menschen behandeln sollte, der eine medizinische Ausbildung mit festgelegtem Curriculum absolviert hat”, sagt beispielsweise Dr. Felix Wallner von der Österreichischen Ärztekammer. Um zu verhindern, dass obskure Heiler von außen ins Land kommen, verbietet Österreich die Heilpraktikerkunst als Kurpfuscherei sogar strafgesetzlich.

Wie stellt sich Europa nun zu dem deutschen Heilpraktikergesetz? Wikipedia zeigt nur eine sektorale Erlaubnis in der Schweiz, so dass langfristig wohl eher mit der Auhebung  der deutschen Ausnahmeregel zu rechnen ist.

Es gibt zwar durchaus europäische Lobbyarbeit wie der EFCAM, aber der Trend spricht wohl doch gegen den langfristigen Bestand des Heilpraktikerwesens. England verabschiedete sich jedenfalls 2012 wieder recht schnell von dem mit Euphorie gestarteten alternativen Ausbildungsprogramm, Homöopathie ist eben doch nur “18th century science”.

4-10-2014
https://ratgebernewsblog2.wordpress.com/2014/01/20/der-heilpraktiker-narrenfreiheit-grosenwahn-und-gefahrliche-folgen/

21-8-2017
Plötzlich kommt wieder Wind auf von Ärzteseite http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/heilpraktiker-den-gegenwaertigen-irrsinn-nicht-laenger-hinnehmen-a-1163792.html

15-7-2019
3 Tote, weil ein Heilpraktiker eine “für das Abwiegen von Kleinstmengen ungeeignete Waage” verwendete.

11-8-2019
Ärztekammern streichen Homöopathie Weiterbildung “Jodeldiplom”

22-6-2020
Bundesregierung plant Abschaffung des Heilpraktiker Standes

21-4-2021
Rechtsgutachten Christof Stock

15-7-2023
“Das Heilpraktikerwesen” ist grundgesetzlich geschützt – kein Wunder mit der Vorgeschichte . Ansonsten warten wir auf das nächste Gutachten. Mit der aktuellen Regierungskoalition wird  es aber nicht anders gehen wie aktuell mit dem Whistleblower-,  Heizung-, Selbsbestimmung- oder Sterbehilfegesetz.

https://freieheilpraktiker.com/aktuelles/heilpraktikerrecht-2021/313-werden-die-heilpraktiker-innen-abgeschafft 15.7.2023

 

CC-BY-NC Science Surf accessed 03.11.2025

One of my biggest problems

One of my biggest problems in science certainly is the motivation of finding truth. But as Oliver Burkeman puts it correctly

Even in the world of academia, most people aren’t motivated by the truth. What they want, above all, is not to be bored

And he continues to cite Murray Davis

What is it, Davis asks, that makes certain thinkers – Marx, Freud, Nietzsche – legendary? “It has long been thought that a theorist is considered great because his theories are true,” he writes, “but this is false. A theorist is considered great, not because his theories are true, but because they are interesting.”

Yea, yea, that’s true.

 

CC-BY-NC Science Surf accessed 03.11.2025

Verbergt nicht Eure Feigheit unter dem Mantel der Klugheit

Aus dem dritten Flugblatt der Weißen Rose, nach einem Entwurf von Hans Scholl und Alexander Schmorell im Juli 1942:

Sabotage in Rüstungs- und kriegswichtigen Betrieben, Sabotage in allen Versammlungen, Kundgebungen, Festlichkeiten, Organisationen, die durch die nationalsozialistische Partei ins Leben gerufen werden. Verhinderung des reibungslosen Ablaufs der Kriegsmaschine (einer Maschine, die nur für einen Krieg arbeitet, der allein um die Rettung und Erhaltung der nationalsozialistischen Partei und ihrer Diktatur geht). Sabotage auf allen wissenschaftlichen und geistigen Gebieten, die für eine Fortführung des gegenwärtigen Krieges tätig sind Continue reading Verbergt nicht Eure Feigheit unter dem Mantel der Klugheit

 

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No te amo como se aman ciertas cosas oscuras, secretamente, entre la sombra y el alma

Was Wissenschaft nie beschreiben kann sondern nur die Kunst:

Ich liebe dich nicht, wie ich eine Rose aus Salz lieben würde,
einen Topas, einen Nelkenpfeil, der das Feuer entfacht:
ich liebe dich, wie man die dunklen Dinge liebt,
heimlich, zwischen Seele und Schatten.
Ich liebe dich wie die Pflanze, die nicht blüht und die in ihrem Innern anderer Blumen Licht versteckt,
und dank deiner Liebe lebt in meinem Leibe dunkel das dichte Aroma, das aufstieg aus der Erde.
Ich liebe dich und weiß nicht, wie noch wann noch wo,
ich liebe dich geradezu ohne Fragen noch Übermut,
so lieb ich dich, weil anders ich nicht lieben kann,
vielmehr auf diese Weise, in der ich und du nicht sind,
so nah, dass deine Hand auf meiner Brust ganz mir gehört,
so nah, daß ich in meinem Schlaf deine Augen schließe.

(Übersetzer unbekannt, Neruda Sonnet XVII)

 

CC-BY-NC Science Surf accessed 03.11.2025

Gott braucht Dich (nicht)?

Es ist ein großartiges Buch, das Esther Maria Magnis geschrieben hat. Sprachmächtig, mit starken Bildern, nimmt uns Esther Magnis mit in die Tiefe ihres Erlebens.

Es ist eine der stärksten Stellen am Ende des Buches, wo nie die Rede davon war, dass es auf der Erde witzig sein wird und unser Glauben, der Glauben der Christen einen Schrecken hat, nämlich das Wissen um den ganzen Dreck der Welt.

Vielleicht ist auch Esther in Wirklichkeit ein Pseudonm, ein Pseudonym für Ijob? Die unglaublich direkte Anklage Gottes. Und Ijob, der sich zur Wand dreht und nicht mehr leben will. Erst durch Elihu fasst er wieder Mut. Dabei stellt Elihu das Recht des Menschen in Frage, das göttliches Wirken zu beurteilen, und zwar grundsätzlich, da die Frage nach dem Grund für das Leid nur als Frage zu dem Zweck des Leides formuliert werden kann.

Unnachahmlich auch Ihre Sicht der Evangelien, die sie als extrem schräg bezeichnet – viermal nebeneinander wie Zeugenaussagen nach einem Unfall, der in der Tat ziemlich echt wirkt. Von den vielen beschaulichen Jesus Büchern, von Schweitzers Geschichte der Leben Jesu Forschung bis zu Ratzingers Jesus von Nazareth, hat das kaum jemand so sehr auf den Punkt gebracht.

Und sie traut sich was.

Und wenn Du schreist “Es gibt keine Wahrheit”, dann beweis mir die Wahrheit an dem Satz, und wenn Du es nicht kannst, dann geh zurück in die Gräber… Und Du wirst nicht viele finden, die darauf bestehen, dass Wahrheit relativ ist, wenn es darum geht, ob man ihre Kinder foltern, ficken und fressen darf. Sie werden relativ klar, sie werden ziemlich bestimmt den Anspruch haben, die Wahrheit zu sagen, dass das ein Verbrechen wäre. Sie werden sogar <böse> sagen und es überkulturell, überkonfessionell, über den Zeiten und oberhalb der Meinungen ansiedeln. Ich weiss nicht viel. Ich weiss nicht was gut und böse ist. Ich habe Ahnungen, ich habe die Wahrheit nicht.

Magnis, Esther Maria: Gott braucht dich nicht. Eine Bekehrung, Rowohlt Verlag, 238 S., ISBN 978-3-498-06406-8, 16,95 Euro

Interview

Rezension

 

CC-BY-NC Science Surf accessed 03.11.2025

Intellektuelle Zerstörer

“Auf den ersten Blick scheint er [der Intellektuelle] ein Zerstörer, man sieht ihn, einem Metzger vergleichbar, stets die Hände voll von Eingeweiden der Dinge. Aber das Gegenteil ist der Fall. Der Intellektuelle kann nicht, auch wenn er es wollte, im Hinblick auf die Dinge Egoist sein. Er macht aus ihnen ein Problem. Das ist das höchste Kennzeichen der Liebe.” (Der Intellektuelle und der Andere, 1940)

zitiert nach der “der Freitag

 

CC-BY-NC Science Surf accessed 03.11.2025

Pointless, futile, useless, meaningless, ineffectual, mindless, absurd, wasteful, needlessly, aimless, senselessly, pointlessly competition in science

Only recently, I discovered a book of Mathias Binswanger on wasteful competition in science where he details (in German)

Die heutigen gesellschaftlichen Ideale kommen in abstrakten Begriffen wie „Effizienz“, „Exzellenz“, „Leistung“, „Markt“, „Wettbewerbsfähigkeit“, „Innovation“ oder „Wachstum“ zum Ausdruck und in unzähligen Wettbewerben versuchen wir uns gegenseitig mit diesen Idealen zu übertrumpfen. Immer noch effizienter, noch exzellenter, noch wettbewerbsfähiger und noch innovativer muss man werden, auch wenn man in Wirklichkeit gar nicht so genau weiß, warum und wozu. In unserer gründlich durchsäkularisierten Gesellschaft, sind diese Begriffe zu den letzten, nicht mehr zu hinterfragenden Werten geworden, denen zu dienen unser höchstes Ziel ist. Ein anständiger Bürger fragt nicht weiter, warum es immer mehr Wettbewerb oder mehr Wachstum braucht.

and a nice example

Während der Kolonialzeit hatten die Franzosen in Hanoi (Vietnam) mit einer Rattenplage zu kämpfen. Um deren Zahl zu reduzieren, beschlossen sie, den Bewohnern von Hanoi für jeden abgelieferten
Rattenpelz eine Prämie zu bezahlen. Das Resultat dieses künstlich inszenierten Wettbewerbs: Die Bewohner von Hanoi begannen damit, Ratten zu züchten, was die Rattenplage wesentlich verschlimmerte. Mit andern Worten: der messbare Indikator (Zahl der abgelieferten Rattenpelze) stand bald einmal in einer negativen Korrelation zur tatsächlich erwünschten Leistung (Reduzierung der Zahl der Ratten), was zu einem perversen Anreiz führte.

 

CC-BY-NC Science Surf accessed 03.11.2025

The DNA window at the King’s College Chapel at the Strand

Here is another take home item of the recent EMGS 2011 meeting at the King’s College. Located in the apse there are 5 topics as originally conceived by Gilbert Scott: Christ in the carpenter’s shop, Christ and the lawyers, Christ healing the sick, Christ teaching the people and The Cruxification. While that may all be appropriate for today’s Sunday Continue reading The DNA window at the King’s College Chapel at the Strand

 

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Open letter

a screenshot from Pubmed without words

probably as good as an email that I received recently:

This is the final reminder of your registration.
THE ABOVE BARCODE CONTAINS YOUR BADGE AND TICKET INFORMATION!
Please be sure to PRINT out this e-mail and BRING it with you to the meeting. The barcode included on this reminder will speed you through the registration and materials pick-up area.

Please consider the environment before printing this email.

 

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4 tons of CO2

I flew this night to San Francisco, having a chance to read some magazines in flight, including an interview of Stefan Klein with Peter Singer in ZEIT MAGAZIN yesterday. The interview has been done by Skype as Singer says “it is immoral to travel without serious reasons” – a classical Utilitarian perspective that does however not even stop him arguing Continue reading 4 tons of CO2

 

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God is in the house

Last Sunday night, I heard an interesting broadcast at Ö1 on the way back from St. Moritz “Nach dem Willen Gottes. Religion, Erziehung und Gewalt. Gestaltung: Sebastian Fleischer” while couldn’t find the song played during the last 30 seconds.

Finally, here is it, although the Nick Cave version on youtube is still another one than at the Ö1 broadcast. An email clarified it:
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Connect me


The new connectome website has some unusual (artistic) brain pictures that look so much “outward bound”. Although the neuronal direction is well-known for decades, the pictures there are so impressive that I moving that blog entry even in the Science + Theology section, yea, yea.

 

CC-BY-NC Science Surf accessed 03.11.2025