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Mit gemischten Gefühlen

Allgemeine Impfpflicht ja oder nein?

Ich würde sie mir wünschen aber es nicht primär mehr primär eine epidemiologische Fragestellung, die Antwort müssen  Politiker und Juristen finden nachdem auch die Ethikberatung kläglich gescheitert ist.

Theoretisch kann eine Impfpflicht die dringend notwendige Immunität der Bevölkerung herstellen. Pocken konnte man und Masern könnte man damit ausrotten. Bei Corona ist eine allgemeine Impfpflicht aber dann doch ein stumpfes Schwert, so Malte Thießen mit “Auf Abstand. Eine Gesellschaftsgeschichte der Coronapandemie”.

  • Die Impflicht kann praktisch nur mit unverhältnismässigem Mitteln durchgesetzt werden
  • Der Nutzen bei Omikron ist in Bezug auf Transmission zu gering und kommt zu spät. Delta gibt es aber auch noch.
  • Mit Einführung der Impfpflicht kommt es wohl noch zur weiteren Mobilisierung antisemitischer und antiwissenschaftlicher Strömungen – die Impfpflicht überzeugt ja nicht sondern übt Zwang aus, schafft also Distanzierung zum Staat
  • Die Impfpflicht gilt dann immer noch nicht global
  • Sie verbaut auch noch zusätzliche Maßnahmen wenn jetzt alle geimpft sind

Weitere Argumente bei

Ich fürchte daher, eine allgemeine Impflicht könnte sich daher kontraproduktiv auswirken.

Bonuslink “Der Impfgegner”

Nicht impfen lassen während einer Pandemie ist eine Art biologische Patientenverfügung

Medizinische Entscheidungen wurden schon immer triagiert, am häufigsten natürlich nach Schweregrad der Erkrankung  und wahrscheinlichem Behandlungserfolg. Triageregeln sind immer mit Unrecht verbunden, es ist kein unverrückbares Regelwerk, höchstens ein Mittel der Schadensbegrenzung. Der wichtigste Konflikt liegt  meiner Meinung nach in dem utilitaristischen Bestreben möglichst vielen Menschen zu helfen sowie dem “egalitär deontologischen Aspekt des Hilfe möglichst gerecht verteilen” (Franz-Josef Bormann).

Ein Triage nach Ursache,  selbstverschuldet oder nicht, wurde aber von allen deutschen Medizinethikern unisono abgelehnt. So zuletzt auch wieder die Ethikratsvorsitzende 

So schwer das für die Betroffenen ist: Lebensrettende Maßnahmen vorzuenthalten, weil der Zustand vermeidbar gewesen wäre, widerspricht wichtigen ethischen Prinzipien der Medizin.

Es wird allerdings nicht klar, was denn nun das wirklich vorrangige ethische Prinzip hist. Und vor allem – so die ZEIT –  findet die Triage im Stillen statt. Es spricht nicht für ein vorrangiges medizinethisches Prinzip wenn dann individuell im Stillen entschieden wird. Vielleicht ist die stille Entscheidung gar nicht so schlecht?

Zurück zu den Kriterien. Warum sollten Patienten in der Chirurgie mit Tumoren nach Hause geschickt werden weil zusätzliche internistische Beatmungsbetten für Impfgegner gebraucht werden? Ist das gerecht? Warum es nicht  bei der Kontingentierung von Betten wie in “Friedenszeiten” lassen? Wohlgemerkt wir sind in der 4. Welle wo primär die Impfgegner nun die Beatmung brauchen, nicht die Ungeimpften der 1. Welle.

Die Ursache zu ignorieren, ignoriert die Autonomie der Impfgegner, die sich bewusst und in Kenntnis der möglichen Konsequenz gegen eine Impfung entschieden haben. Wenn dann Georg Marckmann als Vorsitzender der Akademie für Ethik in der Medizin meint

Erstens sei im Einzelfall in der Regel nicht hinreichend sicher nachzuweisen, dass die Erkrankung ursächlich auf ein gesundheitsschädigendes Verhalten des Patienten zurückzuführen ist. Zweitens beruhe das Verhalten häufig nicht auf einer freien, selbstbestimmten und damit selbst zu verantwortenden Entscheidung. Drittens fehlen allgemein akzeptierte Standards, für welche selbst verursachten und frei gewählten gesundheitsgefährdenden Handlungen der Einzelne in welchem Ausmaß Verantwortung tragen soll.

so ist kein einziger stichhaltiger Einwand dabei.

Erstens. Gerade bei COVID-19 ist auch im Einzelfall über den Impfpass die schwere intensivpflichtige Infektion  auf die fehlenden Impfung zurückzuführen (vgl auch  RKI Report S.23).  Ein Argument mit Verweis auf den Einzelfall ist zudem immer ein schwaches Argument.

Zu zweitens. Die Entscheidung der Impfverweigerung ist unstrittig freiwillig und selbstbestimmt, auch wenn sie auf fehlgeleiteten Ratschlägen von Angehörigen (oder dubiosen Ärzten) beruht. Es fehlt bei der Aussage im übrigen das beweiskräftige Argument, die Behauptung einer nicht verantwortenden Entscheidung steht im luftleeren Raum. Keine Verantwortung für die Folgen haben  bei Fehlinformation? Vgl Tatbestandsirrtum mit dem Verhalten von Impfgegnern

Statt sich „zu wenig“ vorzustellen, stellt er sich ein „Zuviel“ vor. Hierbei handelt es sich um einen sogenannten umgekehrten Tatbestandsirrtum, der als untauglicher Versuch der Versuchsstrafbarkeit unterfällt.

Drittens. Natürlich gibt es Standards etwa Empfehlungen der STIKO. Auch wenn sie rechtlich nicht bindend sind, entscheiden Gesundheitsbehörden danach zB bei Entschädigungsfragen.  Das Argument  der Beliebigkeit von Standards, wen wundert es, ist auch nur ein Strohmann Argument. Wir reden hier nicht über Adipositas oder Fallschirmspringen, sondern über die konkrete Situation von COVID-19 bei Impfgegnern..

Wir halten fest: Sich nicht impfen zu lassen  trotz der vielen Appelle ist damit eine Art biologische Patientenverfügung, die implizit und  – in einigen Fällen auch explizit – die Verzichterklärung auf intensivmedizinische Massnahmen beinhaltet. Theologen kennen dies im übrigen schon lange als Tun-Ergehen-Zusammenhang, Ethik ist eben doch ein junges Fach.

Interessanterweise betont nun auch eine Juristin die individuelle Verantwortung der individuellen Entscheidung, so Tatjana Hörnle vor einer Woche “Warum der Impfstatus bei der Corona-Triage doch eine Rolle spielen darf” – immer vorausgesetzt natürlich, wir haben eine extreme Ressourcenknappheit.

Mein Argument, warum der Impfstatus kein von vornherein unzulässiges Kriterium ist, behält den Bezug zu betroffenen Individuen. Es geht hier nicht um utilitaristisch zu begründende Gesamtnutzenmaximierung. Dies ist deshalb zu betonen, weil Weyma Lübbe in einem Beitrag zum Verfassungsblog auf utilitaristische Modelle eingeht, die aggregierte Effekte hervorheben, d.h. die größere Zahl rettbarer Leben, wenn Intensivstationen nicht Patienten mit erwartbar langer Behandlungsdauer aufnehmen … Eine rationale Begründung für unabwendbare Priorisierungsentscheidungen ist, dass eine entscheidungsfähige, volljährige Person wesentlich oder gar ausschließlich durch eigenes Verhalten ihre Notlage verursacht hat.

Die Impfentscheidung sollte natürlich nicht das einzige und auch nicht das vorrangige Kriterium bei der Triage sein. Ich meine aber, der Impfstatus sollte mit in die Entscheidung mit einfliessen — also Veto zu Uwe Janssens (Leiter der Arbeitsgruppe Ethik in der DIVI) und  Alena Buyx (Vorsitzende des Ethikrates). Es wird spannend werden, was denn nun das Bundesverfassungsgericht in 5 Tagen dazu sagen wird, insbesondere weil Behindertenverbände gegen die Regeln geklagt haben, die für sie natürlich ein Nachteil darstellen.

 

Nachtrag 29.12.21

Der erste Senat hat entschieden

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass der Gesetzgeber Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verletzt hat, weil er es unterlassen hat, Vorkehrungen zu treffen, damit niemand wegen einer Behinderung bei der Zuteilung überlebenswichtiger, nicht für alle zur Verfügung stehenden intensivmedizinischer Behandlungsressourcen benachteiligt wird.

Ich interpretiere das so, dass der Behandlungserfolg nicht das einzige Kriterium sein kann wie von der DIVI gefordert. Und es steht ja auch explizit da

Dieses Risiko wird auch durch die fachlichen Empfehlungen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) für intensivmedizinische Entscheidungen bei pandemiebedingter Knappheit nicht beseitigt. Die Empfehlungen sind rechtlich nicht verbindlich und auch kein Synonym für den medizinischen Standard im Fachrecht, sondern nur ein Indiz für diesen.

Es ist nun also das zweite große Ethik Fiasko der DIVI nach ihrer Weigerung klinische Daten zu erfassen (“wir behandeln schwerkranke Menschen – alles andere ist für uns unerheblich! Geschlecht, Herkunft, sozialer Status: Das interessiert uns nicht”) oder die Daten zur Auswertung zur Verfügung zu stellen. Unvergessen sind auch die wissenschaftlichen DIVI Flops, etwa bei den Leitlinien oder der Auswertung.

Da das BVerfG nicht genau sagt, welche Form der Diskriminierung nun verboten ist, und wie die Diskriminierung praktisch verhindert werden soll, steht der Gesetzgeber vor einer nahezu unlösbaren Aufgabe. Dazu kommt dass die immer weiter ausufernde Verrechtlichung und Bürokratisierung der medizinischen Versorgung  mehr schadet als nützt.

 

Nachtrag 4.1.22

Prantl, wie so häufig in der Pandemie, ergeht sich  in schönen aber leeren Sätzen, denen man nicht widersprechen kann. Sie gehen aber komplett an der Realität vorbei, solange sie keine Alternativen anbieten.

Nein, der Wert eines Lebens kann und darf nicht gemessen werden. Nein, die medizinische Behandlung darf nicht vom Lebenswandel des Kranken abhängig gemacht werden. Nein, das Lebensrecht darf nicht von politischen Einstellungen des Kranken oder von sonstigen utilitaristischen Erwägungen abhängig gemacht werden. Nein, das Krankenhaus darf kein Ort werden, an dem Sanktionen vollzogen werden.

Böse Zungen und der Ethikrat

Böse Zungen lästern schon lange über den Ethikrat, er würde nur als PR Büro für den/die jeweilige Vorsitzende dienen.

Der Staatsrechtler Möllers kommentierte die Stellungnahmen des Ethikrates vor kurzem in einem Dlf Interview

Er muss irgendwas sagen, was alle sowieso schon wissen, was sich auch nicht in den rechtlichen Argumenten auflöst und was irgendwie einen Gehalt hat, der aber auch nicht zu umstritten sein darf, weil sonst begibt sich der Ethikrat gleich wieder in einen politischen Konflikt. Da bleiben oft doch nur ein bisschen einerseits Gemeinplätze übrig und andererseits auch mal Aufforderungen zur Solidarität, von denen ich meine, dass sie politisch wahrscheinlich richtig ist – es ist richtig zu sagen, wir müssen noch ein bisschen durchhalten und es geht nicht so schnell – aber die vielleicht dann auch keine richtig ethischen Argumente sind, sondern eher politische Argumente, die den Laden ein bisschen zusammenhalten in einem Moment, in dem sich alles etwas aufzulösen droht… Auch dazu kleben die Ausführungen doch sehr am positiven Recht und verhalten sich gar nicht dazu, dass man das ja auch gestalten kann.

Ähnlicher Tenor auch die NZZ.

 

So die Vorsitzende des Ethikrates mit  “Lockdown ist nicht verhältnismässig” kurz vor Beginn der zweiten Welle. Ethik als alternative Wissenschaft?

 

 

Impfpriorisierung – erst Empfehlung, dann Bauchschmerzen, dann Auslaufmodell.

 

Impfpflicht – keine, vielleicht, aber sicher!

 

2G -jein.

 

Sonderregelungen für Geimpfte?

 

Triage?

 

Kritische Stimmen zu dem Urteil des Bundesverfassunggerichtes

Dass der Sterbehilfe-Paragraph 217 nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist, mag rechtstherotisch nachvollziehbar sein, zerstört aber einen mühsam ausgehandelten gesellschaftlichen Kompromiss.

 

 

Bundesärztekammer: Wir brauchen Zeit für Zuwendung

Betont werden muss auch heute, dass die Beteiligung an Selbsttötungen nicht zu den ärztlichen Aufgaben zählt. Es ist vielmehr Aufgabe von Ärzten, das Leben zu erhalten, Leiden zu lindern und Sterbenden Beistand zu leisten. Daher sollten ärztliche Handlungen auf eine lebensorientierte Behandlung abzielen und Leiden durch eine geeignete schmerzmedizinische Versorgung lindern. Gerade die Palliativmedizin stellt eine adäquate Form der ärztlichen Sterbebegleitung dar.

 

Ethikrat: Der Lebensschutz wiegt nichts

(Frage) Ein 18-Jähriger mit Liebeskummer, gemobbt und ohne Lehrstelle, sagt: Ich will ernsthaft nicht mehr leben – und sucht sich einen Sterbehilfeverein. Wäre das durch das Urteil gedeckt?
(Antwort) Ja. Es sagt ausdrücklich, das Recht auf selbstbestimmtes Sterben könne nicht auf schwere Krankheitszustände und bestimmte Lebensphasen eingeschränkt werden, es bestehe “in jeder Phase menschlicher Existenz”. Das Verfassungsgericht legt dann dem Gesetzgeber nahe, Prozeduren zu entwickeln, um die Ernsthaftigkeit eines solchen Wunsches zu prüfen und die Seriosität einer Sterbehilfeorganisation. Aber grundsätzlich gilt: Das Verwirklichungsrecht des jungen Mannes auf assistierten Suizid darf nicht beeinträchtigt werden. Wollen wir, dass unsere Rechtsordnung so schrankenlos ist?

 

Kirchen: Mit großer Sorge

Mit großer Sorge haben wir zur Kenntnis genommen, dass das Bundesverfassungsgericht am heutigen Tag (26. Februar 2020) das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) aufgehoben hat. Dieses Urteil stellt einen Einschnitt in unsere auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur dar. Wir befürchten, dass die Zulassung organisierter Angebote der Selbsttötung alte oder kranke Menschen auf subtile Weise unter Druck setzen kann, von derartigen Angeboten Gebrauch zu machen.

Vorbildlicher Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten

Mittlerweile gibt es Checklisten, wie wissenschaftliches Fehlverhalten schon frühzeitig beim Review erkannt werden kann. Wie gehen Institutionen aber mit bereits zurückliegendem Fehlverhalten um? Allgemeine Richtlinien gibt es bei der DFG, aber wie sieht das Vorgehen praktisch aus? An einem Leibnitz Zentrum ist in mühsamer persönlicher Erfahrung ein Leitfaden entwickelt worden, der anderen Universitäten und Forschungseinrichtungen eine Hilfe sein kann [link]. Er bestätigt unter anderem, dass es um so schwieriger ist, Fehlverhalten zu ahnden, je höher in der Hierarchie jemand bereits aufgestiegen ist. Stefan Ehlers:

Die Ahndung wissenschaftlichen Fehlverhaltens bei unbefristet angestellten Gruppenleiter/innen oder gar Beamt/innen erfolgt häufig jedoch durch „Rügen“ oder „Abmahnungen“ oder Geldbußen unterschiedlicher Höhe. Dies ist zwar dem derzeitigen Vertragsrecht bzw. Beamtenrecht geschuldet: bei letzterem sind für eine Enthebung aus dem Amt quasi strafrechtlich relevante Tatbestände Voraussetzung (und hierbei handelt es sich bei wissenschaftlichen Fehlverhalten ohne unmittelbar bezifferbaren wirtschaftlichen Schaden meist nicht).

Das stimmt obwohl es erste Anzeichen gibt daß sich das ändern wird.

Globaler Diskurs? Ein Nirvana-Fehlschluss

Das Ärzteblatt gestern über eine BMBF Veranstaltung zu den Crispr Cas Zwillingen

Dabrock warnte vor einem Schwarz-Weiß-Denken bei ethischen Fragestellungen zur Keim­bahnveränderung. Es sei vielmehr ein globaler Diskurs erforderlich, an dem nicht nur die wissenschaftliche Gemeinde beteiligt ist – der letztlich gegebenenfalls in globale Regelungen münde.

Was soll man dazu sagen? Zu einer Rhetorik,  die feststellt daß alle anderen “Schwarz-Weiss” denken? Globaler Diskurs ist in dem Zusammenhang eine falsche Dichotomie, denn das Gegenteil von “Schwarz-Weiss” wäre ja “bunt”, eine möglichst vielfältige Alternative.

Nach vier Vorträgen zu dem Thema glaube ich mittlerweile, daß die meisten Menschen nicht mal den Unterschied zwischen somatischer und Keimbahntherapie verstehen. Und daß die Welt im Augenblick ganz andere Probleme hat.

Den Diskurs in die globale Sphäre verlagern, sagt jemand, der selbst nicht auf Emails antwortet?

“Globaler Diskurs” sieht nach einem klassischen Beispiel für einen Nirvana Fehlschluss aus.

Den Nirvana-Fehlschluss, auch Trugschluss der perfekten Lösung, begeht, wer etwas Wirkliches oder Realisierbares mit einem unrealisierbaren modellhaften Ideal vergleicht und auf dieser Basis – ohne die Realitätsferne des Ideals zu berücksichtigen – ein Urteil fällt oder eine Entscheidung trifft.

Denn wer kann denn schon – staatliche Ethiker ausgenommen – zu Ethikmeetings in die USA, nach England oder Hongkong fliegen? Und wer entscheidet auf diesen Meetings? Die gewählten Volksvertreter?

Auch bei diesen Meetings gibt es völlig unterschiedliche Vorstellungen. Die WHO will ein Register schaffen so Nature gestern. Die Kommission der US National Academy of Science und British Royal Society will das eher nicht, genaues weiss man nicht, es ist ein globaler Diskurs hinter verschlossenen Türen.

Meinen, Glauben, Wissen

… war das Thema des Ethikrates in der letzten Woche.

Ich lasse mal das blosse “Meinen” hier weg, – das am wenigsten interessantes Phänomen – die Vorstufe zu Glauben oder Wissen, ein Fürwahrhalten, Vermuten, dem aber eine subjektive und objektive hinreichende Begründung fehlt. Continue reading Meinen, Glauben, Wissen

Das Problem des deutschen Ethikrates

Das Problem des Ethikrates?

Der Rat nimmt Stellung zu allen möglichen und unmöglichen Themen, kann aber meist die Fakten in der kurzen Beratungszeit nicht einordnen. Oder aber wertet sie mit nicht nachvollziehbaren Kriterien.

Das war schon bei der (ersten) “Biobanken” Empfehlung so, das war bei dem “wohltätigen Zwang” so, das ging weiter mit der Keimbahn Empfehlung, dubiosen Datenschutz Vorstellungen und der vagen Organspende Aussage.

Nun kommen also auch noch die “Masern” dazu. Das Ärzteblatt berichtet in seiner jüngsten Stellungnahme “Kinderärzte halten Ethikratvotum zu Masernimpfungen für wirklichkeitsfremd”. Kinderärzte sind ja doch wohl die Experten hier. Was passiert wenn man nicht mehr impft ( wie auf Samoa ) kann man auch als Laie nachlesen. Zitat BVKJ-Präsident Dr Thomas Fischbach:

„Der Ethikrat erkennt an, dass Kinder – und auch ungeimpfte Erwachsene – gegen Krankheiten geimpft werden sollten, die damit eingedämmt oder sogar ausgerottet werden können“, sagte BVKJ-Präsident Thomas Fischbach. Er weise auch darauf hin, dass jeder Mensch die moralische Pflicht habe, sich solidarisch zu verhalten mit de­nen, die sich aus medizinischen Gründen nicht selbst per Impfung schützen könnten. „Doch die moralische Pflicht anzuerkennen und die rechtliche Pflicht abzulehnen, das halten wir für wirklichkeitsfremd“, monierte Fischbach.

Vielleicht sollte man sich auch in Erinnerung rufen, dass in der Sterbehilfedebatte die Mehrzahl der deutschen Ethiker sich für den fraktionsübergreifenden Vorschlag Künast/Sitte/Lauterbach ausgesprochen hatten, also genau den Vorschlag, der dann  im Bundestag durchfiel. Ab die Impfflicht für Masern so glücklich war? Zum Glück war der Bundestag dann aber auch mehrheitlich gegen die Widerspruchslösung, weil es der direkte Absturz in die NHBD Regelung gewesen wäre.

Wenn Ethik sich mit den theoretischen Voraussetzungen und der Bewertung menschlichen Handelns befasst, dann erfüllt der Ethikrat seine Aufgabe. Mangels Sachkompetenz aber sind die Schlussfolgerungen, die praktische Anwendung ethischer Regeln dann belanglos im besten Fall und wird besser ignoriert (“Dabrocks Bauchladen“) . So wie es der Bundestag dann auch regelmässig tut. Hat der Ethikrat im übrigen -2019 – etwas Sinnvolles zum Thema Klimapolitik produziert ausser Hans von Storch nach Göttingen einzuladen?

As medical doctors usually do not qualify as biologists and epidemiologists not as mathematicians, ethicists are neither great philosophers nor great theologians.

more…

Das war gestern: Der Ethikrat zu Genome Editing

Joachim Müller-Jung in der FAZ über die Stellungnahme des Ethikrates

Die „erwartbaren Manipulationen an der biologischen Hardware des Menschen“, sagte Dabrock, könne man jetzt nicht mehr allein der Wissenschaftsgemeinde überlassen, man müsse „selbst agieren“. Gewollt, getan. Das Ergebnis ist eine auf 230 Seiten ausbuchstabierte „praktische Handreichung“, deren zentrales Ergebnis – nach Buyx die Innovation des Rats – ein ethisches Flussdiagramm ist: ein „Entscheidungsbaum“, mit dem abzuklären wäre, wann und wann nicht ein Keimbahneingriff im Einzelfall möglich sein soll. Früher hätte jeder einzelne der sieben „ethischen Orientierungsmaßstäbe“ – Menschenwürde, Lebens- und Integritätsschutz, Freiheit, Natürlichkeit, Schädigungsvermeidung und Wohltätigkeit, Gerechtigkeit, Solidarität und Verantwortung – ausgereicht, Keimbahneingriffe (auch den an möglicherweise todbringenden Genen) grundsätzlich zu verhindern. Aber das war gestern.

Mittlerweile treiben 9 von 10 Frauen Kinder mit Down-Syndrom ab statt ohne sich mit Therapieversuchen abzugebenMenschenwürde, Integritätsschutz, Solidarität?

Hohe Ideale, aber wenn es die technischen Möglichkeiten gibt, dann interessiert sich bestimmt kein Paar, was sich der Ethikrat an Entscheidungsbaum ausgedacht hat. Es ist in der Tat viel Mühe, ein Kind mit Down Syndrom aufzuziehen. Carina Kühne, die selbst Down Syndrom hat, sagt aber

Für mich wäre es viel besser, wenn es den Test gar nicht gäbe. Es ist traurig, dass neun von zehn Föten abgetrieben werden. Ich wäre auch gegen eine Fruchtwasseruntersuchung. Wenn ich wirklich ein Kind mit Behinderung bekommen würde, würde ich es annehmen und liebhaben. Wenn es irgendwann gar keine Menschen mit Down-Syndrom gibt, wäre das für die Gesellschaft sehr schade.

Wenn nun in der Öffentlichkeit die neue Stellungnahme  des Ethikrates so ankommt, dass “Keimbahneingriffe derzeit zu risikoreich, aber ethisch nicht grundsätzlich auszuschließen” sind, dann ist der Umbau der solidarischen Gesellschaft damit weiter im Gang.

Jetzt also ein “Flussdiagramm” mit dem finalen Outcome, dass Keimbahneingriffe zulässig sind?

Quelle: https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/entscheidungsbaum-keimbahneingriff.pdf

Das Diagramm ist  (ungewöhnlicherweise) horizontal orientiert. Steht das auch symbolisch dafür, wie oberflächlich der Inhalt ist?

Selbst wenn man sich überhaupt auf eine solche Sicht einlässt – die Konsequenzen K6.1 … K6.3 “Keimbahneingriffe sind zulässig” bleiben generell schwer unterscheidbar.

  • K6.1. “monogen” ist technisch machbar, wird aber viele Enttäuschungen produzieren, denn es gibt viele monogene Anlagen, die nicht exprimiert und damit auch nicht korrigiert werden, aber mit variabler Penetranz in der nächsten Generation auftreten können.
  • K6.2. “polygen” ist technisch nicht im entferntesten vorstellbar, weil es keinen einzigen Tierversuch gibt, der je ein polygenes Risiko korrigiert hätte.
  • K6.3. “enhancement” ist technisch  machbar. Auch wenn nun die Erlaubnis zu Gendoping nicht gleichzusetzen ist mit der Abschaffung des Leistungssports (vgl Pechstein Sphärocytose oder Semenya Hypernadrogenämie) aber Olympia, Weltmeisterschaft und Tour de France sind dann sinnlos.
  • Die Übergangsbedingungen B1 und B2 sind mehr oder weniger identisch und damit lapidar, obwohl hier der meiste Sprengstoff vergraben liegt. Der komplette Block “Klinische Studien” in dem Diagramm ist zudem hochgradig redundant. Auch wenn das ganze mehr oder weniger den Zulassungszyklen der Pharmaentwicklung von präklinischen Forschung über Phase I -IV nachempfunden ist mit Tausenden von Teilnehmern, so geht es hier um Einzelfallentscheidungen, die sicher nicht der Logik der Medikamentenentwicklung folgt.
  • Es bleibt also lediglich der Bereich Grundlagenforschung. Was soll aber hier das angeflickte “nur als letztes Mittel” bei der “Embryonenforschung”? Die entscheidende Frage ist doch im Vorfeld, ob man Keimbahntherapie will, denn Forschung zu Keimbahntherapie wird letzendlich immer Embryonenforschung sein.

Letzendlich ist das ganze Digramm sinnlos, weil es keine Klärung der wichtigen Fragen bringt. Flowdiagramme beschreiben auch im sonstigen Gebrauch etwas ganz anderes – Arbeitsabläufe, die auf Entscheidungskriterien basieren – etwa als Illustration eines Algorithmus.

Binärer Entscheidungsbaum zur Vorhersage, ob ein Apfelbaum Früchte tragen wird. Quelle Wikipedia, André Flöter

Im Flussdiagramm des Ethikrates steht aber an keiner einzigen Stelle ein Entscheidungskriterium, sondern immer nur die wiederkehrende Frage “Darf/soll man…?” Wenn nicht mal klar ist, ob man etwas darf, wie kann dann eine Frage mit einem Soll daraus werden?

Aber kommen wir nochmal auf das Anfangsbeispiel zurück und die Frage nach der Gerechtigkeit. Der Ethikrat geht in 68) darauf ein

Natürlich würde die Freigabe von Genome Editing die Beziehung von Menschen verändern, das “vermutlich” in dem Satz lässt sich problemlos streichen.

Strittig ist es auch nicht, ob die Veränderung negativ oder positiv sind – das hängt lediglich vom Standpunkt ab. Ist der Kapitalismus tendenziell negativ oder tendenziell positiv? Das hängt davon ab, ob man davon profitiert oder nur ausgebeutet wird. In einer gerechten Gesellschaft sollte niemand ausgebeutet werden. In einer gerechten Gesellschaft sollte aber auch niemand das Lebensrecht genommen werden.

Datenschutzethik ?

Peter Dabrock bevorzugt Apple Produkte, sogar imm er dabei am Handgelenk.

Es ist ja auch praktisch, immer informiert zu sein. Dass dann bei der Gelegenheit dann auch andere informiert werden, worüber man selbst informiert ist, nun das liegt in der Natur der Sache, aber wir haben ja einen guten Datenschutz, so sein Credo.

Wir wollen ja die Vorteile, so jedenfalls seine Aussage nach dem Besuch des Silicon Valley, von dem er  mit leuchtenden Augen in Tutzing im November 2018 berichtet hat.

Die Diskussion dazu war kurz, aber ich habe mich dann doch noch zu Wort gemeldet:

… Mit ein paar Tagen Abstand ist mir doch etwas mulmig mit einigen Ihrer Thesen … Es ist illusorisch, dass man den Daten „output“ kontrollieren kann, allenfalls den Daten „input“.
Der Hackerangriff auf den Bundestag oder auf das Kreiskrankenhaus Fürstenfeldbruck (das gerade tagelang stillgelegt war) – so recht Ahnung hat ja niemand mehr von Computern und Netzwerken.
Datenvermeidung ist im übrigen nicht meine fixe Idee, sondern steht im BDSG … Es sollte nun nicht das übliche Totschlag Argument sein, aber die Deutschen haben ihre eigene Geschichte. Es ist nicht mal ein Menschenleben her, da wissen schon viele nicht mehr, dass der Holocaust mit einer Stricknadel begann.
Und das ist auch der Grund warum die Deutschen auch nicht immer mit machen, selbst bei Aktionen, die an sich  sinnvoll wären … Ich sehe da auch kein besonderes Misstrauen in Deutschland, sondern eine vernünftige Nutzen / Schaden Abwägung. Ein Frage des Kontextes oder Framings wie Sie gesagt haben.
Und was passiert mit Ihren ganzen Daten wenn sich auf einmal sich das Blatt in der Politik wendet, die Rechten wieder die Überhand gewinnen, die PiS in Polen, die AfD in Deutschland, die Fidesz in Ungarn, die Lega in Italien?
Oder wenn direkt vor Ihrer Haustür ein Beamter mit dem bayrischen Polizeiaufgabengesetz  in der Hand steht und eine “drohende Gefahr“ wittert?

Es geht gerade mal ein paar Tage – und schon wieder sind Firmen mit den besten Rechenzentren der Welt nicht in der Lage, die Datensicherheit zu garantieren, z. B.  Facebook

Facebook soll sensible Nutzerdaten an ausgewählte Werbekunden weitergegeben haben, darunter Netflix, Tinder und Airbnb. Dies berichtet die Washington Post auf Grundlage eines mehr als 200-seitigen Ermittlungsberichts aus Großbritannien.

oder Amazon

Amazon hat einem Kunden in Deutschland, der Auskunft über die von ihm gespeicherten Daten haben wollte, 1700 Sprachdateien zugeschickt. Allerdings besitzt dieser Kunde überhaupt keinen Sprachassistenten, die Dateien stammten von einer ganz anderen Person.

oder Adobe mit 150 Millionen Datensätzen. Das waren alles nur die “Versehen”.  Dabei geht die Strategie weltweit zur  totalen Überwachung, nicht nur in China, sondern auch in den USA und Frankreich.

CLV, das steht für “customer lifetime value”, zu Deutsch: “Kundenlebenszeitwert” – ein neues machtvolles Marketinginstrument, das Unternehmen in den Vereinigten Staaten so elektrisiert wie es Verbraucherschützer alarmiert, denn einen ähnlich groß angelegten Angriff auf die Privatsphäre von Millionen Flug-, Telefon-, Einzelhandels- und sonstigen Kunden dürfte es selbst in der US-Wirtschaftsgeschichte mit ihren dauernden Datenskandalen bisher nicht gegeben haben. Immer mehr Firmen lassen anhand Dutzender, Hunderter, gar Tausender persönlichen Daten berechnen, wie viel ihnen ein einzelner Käufer über sein gesamtes “Kundenleben” wohl in Dollar und Cent einbringen wird.

Trotzdem legt Dabrock nochmal nach auf evangelisch.de am 7.2.2019

Der Ethikratsvorsitzende fügte hinzu, dass der Oxforder Philosoph Luciano Floridi eine treffende Charakterisierung der aktuellen Epoche mit dem Begriff “Onlife” gefunden habe. Dieser mache deutlich, dass man in der heutigen Zeit gar nicht mehr zwischen online und offline unterscheiden könne. Offline sei inzwischen nichts anderes als ein avantgardistischer Lebensstil.

Wir wissen nun auch wieso. Der Tagesspiegel schreibt  am 9. April 2019 über das besondere Verhältnis von Facebook und Dabrock

Für seinen Besuch in Berlin hat Mark Zuckerberg vergangene Woche die Gesprächspartner genau ausgewählt: Der Facebook-Chef traf am Montag unter anderem CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, den Grünen-Chef Robert Habeck, mit Verbraucherschutzministerin Katarina Barley (SPD) gab es 45 Minuten. Und am Vormittag gleich eineinhalb Stunden für ein Gespräch mit Wissenschaftlern, darunter mit Peter Dabrock, dem Vorsitzenden des Deutschen Ethikrates, der Regierung und Bundestag in ethischen Fragen berät. Doch nicht nur die Kanzlerin mit ihrem Kabinett und die Volksvertreter schätzen Dabrocks Rat – sondern auch Firmen wie Facebook. Seit Januar 2018 leitet Dabrock (55), Professor für Systematische Theologie an der Universität Erlangen, den so genannten „Facebook-Gesprächskreis: Digitalität & Verantwortung“. Die Runde wurde auf Initiative von Facebook hin gegründet, „in enger Zusammenarbeit“ mit Dabrock als dem Vorsitzenden des Ethikrates, heißt es in einer Mitteilung von Facebook zur konstituierenden Sitzung.